Kenneth Lonergan: „Offenbar brauche ich Unfälle“

Nimmt sich für gewöhnlich mehrere Jahre Zeit, um seine Filme und Theaterstücke zu schreiben und zu inszenieren: Kenneth Lonergan.
Nimmt sich für gewöhnlich mehrere Jahre Zeit, um seine Filme und Theaterstücke zu schreiben und zu inszenieren: Kenneth Lonergan.imago/Pacific Press Agency
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Der amerikanische Regisseur Kenneth Lonergan spricht über seinen neuen Film „Manchester by the Sea“, die Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Casey Affleck und seine Oscar-Chancen. Außerdem erklärt er, warum er in 15 Jahren nur drei Filme herausgebracht hat.

In der US-Independentfilmszene hoch angesehen, ist der New Yorker Dramatiker, Regisseur und Drehbuchautor Kenneth Lonergan einem breiteren Publikum bisher nicht bekannt. Mit seiner dritten Regiearbeit, „Manchester by the Sea“, die im Oktober die Viennale eröffnete und am 19. Jänner ins Kino kommt, dürfte sich das ändern. Lonergan erzählt darin vom traumatisierten Handwerker Lee (Casey Affleck, der soeben mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde und als Topfavorit für einen Oscar als bester Hauptdarsteller gilt), der nach dem Tod seines Bruders die Vormundschaft für dessen Teenagersohn übernimmt. „Die Presse am Sonntag“ traf den 54-Jährigen in Wien zum Interview.

Zwar ist Casey Affleck als Schauspieler kein unbeschriebenes Blatt und konnte in den vergangenen Jahren einige Achtungserfolge erzielen, hauptsächlich kennt man ihn aber als den kleinen Bruder von Superstar Ben Affleck. Ist es nicht immer riskant, jemanden für eine Hauptrolle zu besetzen, der im Schatten eines anderen steht und zwangsläufig mit ihm verglichen wird?

Kenneth Lonergan: Nein, ich sehe das überhaupt nicht so. Casey hat eine eigene, von Ben Affleck unabhängige Karriere. Vor allem ist er ein hervorragender Schauspieler, der in diesem Film einen fantastischen Job gemacht hat. Er will alles über eine Szene wissen und spielt sehr leidenschaftlich, wie ein Getriebener. Dennoch hat er nicht das geringste Bedürfnis, mit seiner Emotionalität zu prahlen, weil er die Geschichte ernst nimmt und großen Respekt vor den Autoren hat. Bei einigen Szenen war ich sprachlos angesichts der Intensität seines Spiels. Er war die richtige Wahl für diese Rolle.

Ihr Film hat schon eine Reihe von Preisen bekommen und gilt als einer der großen Oscar-Anwärter Ende Februar. Sehnen Sie die Nominierungen herbei?

Ich bekomme die Aufmerksamkeit um den Film natürlich mit, und sie freut mich auch. Sollte ich selbst bei den Oscars leer ausgehen, würde mir das aber wirklich nicht viel ausmachen, da der Film beim Publikum bisher so gut ankam und ich extrem glücklich mit dem Ergebnis bin. Ich würde mich aber schon darüber freuen, wenn meine Darsteller ausgezeichnet werden, weil sie sich ausgesprochen uneitel aufeinander eingestellt und ihren jeweiligen Rollen alles untergeordnet haben. Sie hätten den Oscar verdient.

Die Szene im Freien, als Lee auf seine Exfrau, Michelle Williams, trifft und die beiden minutenlang nicht so recht wissen, was sie einander sagen sollen, wird in die Kinogeschichte eingehen und jungen Filmemachern als Vorbild dienen. Glückwunsch.

Dabei gab es für diese Szene nicht einmal einen vorgeschriebenen Text. Wir haben die beiden einfach spielen lassen und das Ganze mit zwei Kameras gefilmt. Ich selbst kann von dieser Szene nicht genug kriegen. Casey und Michelle haben daraus etwas Einzigartiges, Unvergessliches gemacht.


Lee prügelt sich in einer anderen Szene mit zwei Männern, die ihm schöne Augen machen. Obwohl er ihre Blicke zunächst erwidert und den Streit quasi provoziert. Ist Lee eine homophobe Person? Viele Zuschauer haben sich das gefragt.

Oh, nein. Sollte das wirklich so rüberkommen, wäre das ein großes Missverständnis. Lee ist einfach jemand, der nicht allein zu Hause bleiben kann und jeden Abend in eine Bar geht, um Streit zu suchen und sich prügeln. Nur so kommt er mit dem Geschehenen und seinen Erinnerungen klar. In diesem Fall waren seine Opfer eben zwei Männer, die ihn anlächeln. Er lässt sich darauf ein und erreicht die Eskalation.


„Manchester by the Sea“ ist Ihre dritte Regiearbeit – nach „You Can Count on Me“ im Jahr 2000 und „Margaret“ im Jahr 2011. Ein Output mit Luft nach oben, oder?

Mag sein, aber ich brauche nun einmal mindestens zwei Jahre für ein Drehbuch. Inklusive Dreh und Schnitt dauert die Fertigstellung eines Films vier Jahre – und das auch nur, wenn nichts schiefgeht. Außerdem schreibe ich ja auch Theaterstücke und habe eine 14-jährige Tochter, mit der ich gern Zeit verbringe. So gesehen sind drei Filme in 15 Jahren gar nicht so wenig.


Ihre Filme beinhalten alle einen Unfall mit dramatischen Folgen. Was hat es damit auf sich? Ist das so ein dankbares Motiv?

Sie sind nicht der Erste, der mich darauf anspricht, und um ehrlich zu sein, ist mir das auch ziemlich peinlich. Denn ich mache das gar nicht bewusst. Mir geht es darum, meine Geschichte zu erzählen, und offenbar hat es dafür jedes Mal einen Unfall gebraucht.

Steckbrief

1962 wurde Kenneth Lonergan in New York City geboren.

2000 gelang ihm der Durchbruch als Regisseur mit dem Drama „You Can Count on Me“. Neben seiner Arbeit als Regisseur feierte er auch große Erfolge als Drehbuchautor – so schrieb er an den Skripts von „Reine Nervensache“ und „Gangs of New York“ mit. Sein neuer Film „Manchester by the Sea“ kommt am Donnerstag ins Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2017)

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