"Jeder liebt doch Döbling"

Das Döbling der Städter: drei Damen und ein Herr beim Heurigen, um 1910.
Das Döbling der Städter: drei Damen und ein Herr beim Heurigen, um 1910.(c) Imago/Brandstätter Verlag
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Nach ihrem Buch über den Millstätter See widmet sich Irmi Soravia nun Döbling - und erzählt von Geschichte und Bewohnern der einstigen Dörfer.

Warum ausgerechnet sie ein Buch über Döbling schreibe? Wo sie doch Kärntnerin sei und in Wien Landstraße wohne? Das, erzählt Irmi Soravia, sei die Frage gewesen, die sie am öftesten zu hören bekam. Tatsächlich ist die Antwort profan. Der Verlag hat sie gefragt – nachdem ihr Buch über den Millstätter See ein Erfolg geworden war, mit dem niemand gerechnet hatte („das heißt, ich schon, aber der Verlag nicht“).

Am Millstätter See, da ist der Soravia-Clan zu Hause, da wusste die Autorin von vornherein, wovon sie schreibt. Für Döbling hat die ehemalige Journalistin auf ihr Handwerk zurückgegriffen. „Man kann sich überall hineinrecherchieren.“ Und sich für den 19. Bezirk zu begeistern, sei nicht weiter schwierig gewesen, auch wenn sie bis dahin nur das Übliche kannte – die Heurigen, den Wienerwald – und die Muthgasse, wo sie einst für die „Kronen Zeitung“ geschrieben hat. Die Straße habe sich seither höchst positiv entwickelt. Und ansonsten: „Jeder liebt doch Döbling.“

Zumindest, seit die Wiener die schön gelegenen, aber armen Weindörfer, die erst 1892 zum Bezirk werden sollten, für sich entdeckt haben. Nach dem Abzug der napoleonischen Truppen, die in den Vororten dem Wein offenbar durchaus zugesprochen hatten, begannen Bürger, Intellektuelle und auch so mancher Aristokrat, das ländliche Idyll unweit des Stadtrands zu erkunden. Nach Kriegen, Seuchen und Unwettern eine neue Art der Heimsuchung. „Wie sehr müssen die verwurzelten Einheimischen gestaunt haben, als eine ganz andere Plage ihr Land vereinnahmte: die Städter“, nennt Soravia eines ihrer Lieblingszitate aus dem Buch.

Heute, da man die Gegend auch als Wohnraum schätzt, sehen sich viele dieser Städter längst selbst als Döblinger (und würden ihre 1190-Wohnadresse um keinen Preis aufgeben). Freilich: „Die nach Eigendefinition echten Grinzinger sehen sich nach wie vor als solche, die echten Döblinger wissen genau, wo die Katastralgrenze verläuft, und echte Neustifter wissen, wo ihre Wurzeln sind“, schreibt Soravia. Dass Döbling nicht nur über Weinbauern (und Sektpioniere) verfügte, sondern einst auch eine rege Biertradition hatte, gehört zu den Dingen, die sie dann doch überrascht haben. Vor allem der „Bockkeller“ war als „Sommeretablissement in Nußdorf“ eine Institution der Monarchie, allein der Gastgarten bot 4000 Menschen Platz, „quasi ein täglich stattfindendes Oktoberfest“. Spannend findet sie auch die lokale Industriegeschichte. Gründe hier waren verfügbar und günstig, die Villa stand oft gleich neben der Fabrik.

Gans und Pirsch

Daneben erzählt Soravia nach Gesprächen mit Heimatforschern und dem Studium einschlägiger Literatur Bekanntes und weniger Bekanntes aus der Döblinger Geschichte: Von der Sieveringer Gans Lilli, deren Denkmal heute vor dem Café Nest steht, dem seit dem Mittelalter angeblich heilsbringenden Agnesbrünnl, der Hauser Lacke oder der Jagdgesellschaft Döbling, die im Weingarten auf die Pirsch geht. Ein Kapitel widmet sich Familiengeschichten und Porträts von „Bürgern und Berühmtheiten“. Da gibt es die Zacherls mit ihrer orientalisch anmutenden Insektizidfabrik, Alma Mahler-Werfel, aber auch andere, „die man nicht sofort mit dem Bezirk in Verbindung bringt“, Lina Loos etwa, die nach dem Eheskandal, im Zuge dessen sich ihr Liebhaber das Leben genommen hatte, letztlich 40 Jahre lang in Sievering lebte. Auch die Unternehmerfamilie Hartl hat es Soravia angetan.

Erschienen ist das großformatige Buch in jener Städte-Serie, in der schon Kitzbühel, Salzburg, Bad Ischl oder Grado porträtiert wurden. Seit Ischl sieht das Layout dabei mehr Bilder vor, sie habe ihren Text daher um ein Drittel kürzen müssen, so Soravia – Peter Alexander, SCS-Gründer Hans Dujsik oder Almdudler-Erfinder Erwin Klein fielen dem zum Opfer. Kaum geschrieben hat sie auch über die „Schandflecken“, die es in durchaus großer Zahl gebe, wie die Frau von Immobilienentwickler Hanno Soravia meint.

Apropos: Zur heutigen Präsentation erwartet wird etwa Architekt Heinz Neumann, der die Stadt bei der Entwicklung der Muthgasse berät – und der mit seinem Büro selbst hier residiert. Gefeiert wird, wenig überraschend, beim Mayer am Pfarrplatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2017)

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