Ob Ausstellung oder Auftragsarbeit: „Was zählt, ist Authentizität“

Boicut in seinem Atelier in der Piaristengasse im achten Bezirk.
Boicut in seinem Atelier in der Piaristengasse im achten Bezirk.(c) Stanislav Jenis
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Der Wiener Boicut bearbeitet Straßenwände ebenso wie Leinwände, Papier und Skulpturen. Beim Street-Art-Festival Calle Libre malt er vor Publikum.

Es entstand, wie so vieles in der Welt der Kreativität, aus der Not heraus. „Ich war 19 und gerade in Wien angekommen“, erzählt Boicut. „Neben meinem Psychologiestudium, das mir nicht gefiel, jobbte ich in einem Callcenter, was mir ebenfalls nicht gefiel. Ich wusste noch nicht, was ich wollte, war ziemlich perspektivlos.“ Das änderte sich aber schlagartig, als der heute 34-Jährige eine Kunststudentin aus Berlin kennenlernte und im Zweiwochenrhythmus in die deutsche Hauptstadt pendelte. „Sie schenkte mir ein Skizzenbuch, und ich fing an zu zeichnen. Da wusste ich: Das ist es, was ich machen will.“

Und so kam es dann auch. Boicut, der seinen bürgerlichen Namen so geheim hält wie Karl Lagerfeld sein Alter, schmiss das Psychologiestudium und inskribierte an der Graphischen, besuchte zunächst Kurse über Drucktechnik, später über Grafikdesign. „In diesen Kursen habe ich das Malen von Grund auf gelernt“, blickt er zurück. „Ich hing später die Meisterklasse dran und sammelte Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen, auch in Street-Art, als ich Wände bemalte.“ In dieser Zeit entstand auch der Name Boicut, um langfristig eine Marke zu etablieren. Heute würden ihn auch seine Freunde und Kollegen so nennen.

Live-Action bei Street-Art-Festival

Mittlerweile gehört der gebürtige Niederösterreicher zu den erfolgreichsten bildenden Künstlern in Wien. „Wegen meiner Vergangenheit werde ich oft als Street-Art-Künstler bezeichnet, aber das macht nur einen kleinen Teil meiner Arbeit aus“, betont er. „Ich sehe mich einfach als jemand, der in verschiedenen Formen zeitgenössische Kunst macht.“

Unmittelbaren Einblick in seine Arbeit gewährt Boicut kommende Woche (9. bis 12. August) beim Street-Art-Festival Calle Libre (www.callelibre.at), das zum vierten Mal stattfindet und Künstler aus der ganzen Welt nach Wien holt. Bei „Live Paintings“ entstehen dabei riesige Wandgemälde in der Stadt. Boicut wird ab Mittwoch eine Wand in der Neudeggergasse im achten Bezirk bemalen. Auf seine Erfahrungen in Street-Art griff auch die Cognac-Marke Hennessy zurück, als er bei der Präsentation der jährlichen Very Special Limited Edition (ab Ende August im Handel, www.hennessy.com) am Mittwoch eine Führung durch den Donaukanal machte und den Besuchern die Bemalungen an den Wänden erklärte. Das Flaschendesign der neuen Hennessy-Edition wurde nämlich vom weltweit bekannten Graffiti-Künstler JonOne aus der Dominikanischen Republik entworfen. Seine Werke werden unter anderem in Galerien in Miami, Ney York City, Singapur, London und Paris ausgestellt. Auftragsarbeiten machen auch einen beträchtlichen Teil von Boicuts täglichem Geschäft aus. Zuletzt bemalte er etwa für eine Präsentation die neue Kollektion eines großen Möbelherstellers.

„Manche Künstler schlagen solche Angebote aus, aber solange ich nicht eingeschränkt werde, halte ich diese Aufträge für eine spannende Ergänzung zu meiner sonstigen Arbeit, weil auch sie inspirieren können“, sagt er. So wie ganz banale Dinge aus dem Alltag. Das könne die ungewöhnliche Form einer Wolke sein, eine beschädigte Hausmauer oder, wie vor einigen Tagen, eine auf dem Boden liegende Unterhose. „Ich mache dann ein Foto oder eine Skizze und übertrage sie auf eine Leinwand oder auf Papier.“

Dabei setzt er vor allem auf helle, freundliche Farben wie etwa Gelb, Hellblau, Mint und Rosa. „Das Wichtigste“, so Boicut, „ist bei all den Arbeiten die Authentizität. Ich muss mir selbst, und auch dem Kind in mir treu bleiben.“ Das klinge zwar etwas naiv, aber: „So entstehen einfach die besten, ehrlichsten Bilder und Skulpturen.“

ZUR PERSON

Zeitgenössische Kunst. Boicut (seinen bürgerlichen Namen verrät er nicht) ist in Niederösterreich geboren und aufgewachsen. Nach der HTL-Matura in Wr. Neustadt studierte er Grafikdesign an der Graphischen und ist seither als bildender Künstler in Wien tätig. Kommende Woche wird er beim Street-Art-Festival Calle Libre vor Zuschauern eine Wand in der Neudeggergasse bemalen. Seine letzte Ausstellung hatte der 34-Jährige im April in Liechtenstein.

Web:www.boicut.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2017)

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