Mein mobiles Büro - arbeitend die Welt entdecken

Birgit Wagner kurz nach der Rückkehr von ihrer Arbeitsreise Anfang Juli mit ihrem Skoda Roomster auf der Wiener Donauinsel. Das Surfbrett war auf der Reise auch dabei.
Birgit Wagner kurz nach der Rückkehr von ihrer Arbeitsreise Anfang Juli mit ihrem Skoda Roomster auf der Wiener Donauinsel. Das Surfbrett war auf der Reise auch dabei.(c) Clemens Fabry
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Sie packen Laptop, Kundenkontakte und Surfbrett ein und gehen auf Reisen. Menschen wie Birgit Wagner arbeiten unterwegs, für eine kurze Zeit oder für immer. Sie führen ein Leben als moderne Nomaden. Was gut klingt, hat seinen Preis. ?

Die Kunden wussten, dass Birgit Wagner nicht an ihrem Schreibtisch in Wien sitzen würde, wenn sie deren Aufträge bearbeitet. Doch die meisten hatten das längst wieder vergessen, als sie auf irgendeinem Campingplatz in Südholland oder in Portugal ihr mobiles Büro aufgeschlagen hatte. Denn Birgit Wagner war zwar auf Reisen, aber nicht auf Urlaub.

Exakt 70 Tage war die 35-jährige, gebürtige Mostviertlerin in diesem Frühling allein mit ihrem Auto unterwegs. 9091,6 Kilometer. Ihre Route führte sie von Wien aus nach Köln und Holland, über Frankreich und Nordspanien nach Portugal und dann wieder zurück durch Frankreich, Südtirol und Österreich. Länger war nicht möglich, weil ein wichtiges Projekt in Wien ihre Anwesenheit erforderte. Wagner ist seit 2013 selbstständig und zwar mit einem, wie sie sagt „Bauchladen an Kommunikationsdienstleistungen“; sie bietet also klassische PR-Arbeit, Social-Media-Betreuung, Projektmanagement und die Leihgabe ihrer Handschrift für Einladungen an. Derzeit betreut sie ungefähr fünf Kunden, teils für temporäre Projekte, teils permanent. Und das lässt sich eben auch ganz gut von unterwegs erledigen.

Das Auto zum Camper umbauen

Die Idee zu dieser nicht unmöglichen, aber immer noch ungewöhnlichen Arbeitsform kam ihr im vergangenen Sommer während eines Surfurlaubs in Portugal. Inspiriert wurde sie durch Menschen, die in VW-Bussen an einem ruhigen Strandabschnitt campten, ihre Tage im oder besser gesagt auf dem Wasser verbrachten und abends oder frühmorgens irgendeine Arbeit erledigten. Noch während ihres Urlaubs skizzierte sie einen ersten groben Plan für ihren eigenen Work-Roadtrip. Zurück in Wien beriet sie sich mit einem Tischler, wie man ihren braunen Skoda Roomster, Baujahr 2010, zu einem Schlafwagen umbauen könne. „Ich wollte es so einfach wie möglich machen und nicht groß in Equipment investieren.“ Der Tischler hat ihr eine einfache Einzelbettkonstruktion gebaut. „Wir haben den Mittelsitz und den Sitz hinter dem Beifahrer rausgenommen und eine 1,30 Meter lange Holzkonstruktion hineingebaut, die auf den versenkten Beifahrersitz gelegt wurde. Es war 80 cm breit, ein bisschen hart, aber zum Schlafen ging es.“ Unter dem Bett hatte sie Platz, um Technik und Campingsachen zu verstauen. Investiert hat sie nur in eine Dachbox, um zusätzlichen Stauraum zu haben. So hat sie bis auf wenige Ausnahmen fast immer im Auto übernachtet.

Ihr Tagesablauf auf der Reise, sagt sie, sah meist so aus: „Früh aufstehen, Yoga, Mediation, frühstücken und dann geht es an den Computer. Es gab Tage, an denen ich sechs bis acht Stunden gearbeitet habe, und andere, an denen ich zu Mittag fertig war.“ Dazwischen hat sie auf ihrer Webseite unter dem Motto „Lass Dich fallen“, in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Joseph Beuys, über ihre Reise gebloggt. Was die Frage aufwirft, wozu man überhaupt unterwegs ist, wenn man dann ohnehin wieder einige Stunden pro Tag vor einem Bildschirm sitzt. „Mein Ansporn war, möglichst viel am Meer zu sein und schon früh im Jahr an der Sonne.“ Sie wollte einerseits neue Orte sehen, aber nicht zu sehr aus dem Alltag herausgerissen sein und doch ihre Komfortzone verlassen.

So wie ihr ging es in den vergangenen Jahren vielen anderen auf der Welt. Sie sind Digital Nomads, also digitale Nomaden; Menschen, die sich auf die Reise machen und ihre Arbeit von unterwegs erledigen; sei es auf einer Insel, auf einem Boot, in einem Zug oder am Strand. Einzige Voraussetzung: ein Computer und Internet und ein Job, der das erlaubt. Und das muss nicht immer nur ein Kommunikations- oder Digitalberuf sein. So reiste etwa eine Wiener Psychologin ein Jahr lang durch Südamerika, ihre Therapiestunden mit Patientinnen in Wien führte sie weiter, nur eben via Skype.

Früher, seit dem Spätmittelalter, gingen vor allem Handwerksgesellen auf die Walz, arbeiteten nie an einem Ort. Heute sind es gut gebildete, eher junge Menschen, zwischen 25 und 35 Jahren, kinderlos oder mit maximal einem, die reisend arbeiten, so besagt es jedenfalls der zwischen 2015 und 2016 durchgeführte Digital Nomad Survey. Mittlerweile hat das Lebensmodell Anlaufstellen auf der ganzen Welt kreiert. In Chiang Mai und Bangkok in Thailand, Medellin in Kolumbien oder in Portugals Hauptstadt Lissabon gibt es besonders viele Gleichgesinnte und eine gute Infrastruktur, wie Co-Working-Spaces. Über das Nomadenleben wird dann in den schönsten Farben und Fotos auf Instagram, Twitter und Facebook berichtet. Für die Zuhausegebliebenen sieht das stets so aus, als hätte der andere im Lotto gewonnen.

Wenn es nur so einfach wäre. Mittlerweile sprechen immer mehr digitale Nomaden offen über die Schattenseiten des Reiselebens. Die Botschaft ist im Grunde immer die Gleiche: Alles hat seinen Preis. So schrieb Mark Manson, New-York-Times Bestseller-Autor und eines der großen Vorbilder der Szene über die Isolation, die das Reiseleben mit sich bringt. Freunde und Familie sind fern, neue Leute lernt man kennen, verlässt sie aber bald wieder. Viele verstehen auch das Lebenskonzept nicht wirklich.

Stichwort: Geld

Ein weiteres Problem ist das Geld. Denn das Leben von Freelance-Jobs in Erste-Welt-Nationen, um in billigen Ländern mehr Geld zu haben, funktioniert auf die Dauer für viele nicht, weil irgendwann der Wunsch nach etwas Luxus oder einem Grundkomfort kommt. Die Bibel vieler Menschen ist daher die Vier-Stunden-Woche von Timothy Ferriss, die rät, über passives Einkommen Geld zu verdienen. Ferriss nennt Menschen, die so arbeiten und leben „the new rich“, die neuen Reichen. Der Autor misst Reichtum in Erlebnissen. Der Schlüssel zum Glück liegt für ihn darin, weniger, aber produktiver zu arbeiten – und: Arbeit zu verrichten, die sich nicht danach anfühlt. Nicht umsonst versuchen viele Digital Nomads nach seiner Anleitung ein Online-Business aufzubauen. Mit Blogs, YouTube-Tutorials, Online-Kursen oder E-Books. Bis das richtig läuft, bedeutet das aber viele Stunden (unbezahlte) Arbeit im Paradies. Tauschen wollen die meisten trotzdem nicht. Der Preis der Freiheit und die Chance so viel von der Welt zu sehen wiegt auch die negativen Seiten wieder auf. Und zieht noch immer Menschen an.

So wie Birgit Wagner. Ihre Reise war vergleichsweise kurz und daher verhältnismäßig leicht zu organisieren. Fixkosten liefen weiter, Büro- oder Wohnungsmiete wurden nicht storniert, Steuerfragen stellten sich nicht. Bei einem längeren Aufenthalt wäre das alles zu bedenken, das weiß sie auch. Neben den kleinen Anpassungen ihres Autos diente ihr zum Schutz vor Sonne, Regen und Wind eine vier Mal drei Meter Plane „darunter habe ich einen kleinen Tisch und zwei Stühle gestellt. Das war Frühstückstisch, Workspace und alles in einem.“ Sonst war die Ausstattung minimal: Bialetti-Kaffeemaschine, Gaskocher, Schneidbrett, Messer, zwei Töpfe, ein Sieb, ein Deckel.“ Unterwegs hat sie sich nur einen Wasserkocher besorgt, weil der durchaus praktisch war. Vor der Abreise hat sie im Grunde nur darauf geachtet, für den Krankheitsfall oder eine Autopanne abgesichert zu sein; ihre Dokumente gescannt und in einer Dropbox gespeichert; und das Abhebelimit ihres Kontos sowie die Geo-Control-Funktion abgeklärt. Sodass sie jedenfalls immer Zugriff auf ihr Konto hatte.

Probleme gab es kaum. Nur in Frankreich war ihr Auto zwei Mal liegen geblieben und musste repariert werden, justament als eine Freundin auf Besuch war. Die Freundin reiste dann, auch wegen einer gebrochenen Zahnkrone früher ab, was Wagner nicht gestört hat. Denn mit der Ankunft ihrer Freundin habe sie bemerkt, dass sich ihr Gefühl für die Reise irgendwie verändert hatte. Sie war allein aufgebrochen und wollte allein weiterreisen. Dabei sagt sie rückblickend: „Wenn man nicht mit sich allein sein kann, wird so eine Reise schwierig. Es gibt so einen unausgesprochenen Camper-Code, dass man sich möglichst aus dem Weg geht.“ Sie selbst hat damit kein Problem. Schon eher mit der Rast- und Ruhelosigkeit, die sich bei einer solchen Reise einstellt. „Man ist dauernd auf Achse. Ich war meist nur einen oder zwei Tage an einem Ort. Bei der Halbzeit habe ich gemerkt, ich brauche jetzt ein bisschen eine Beständigkeit und bin vier Tag wo geblieben. Das hat gut getan.“ Generell rät sie, eine Reise wie ihre nicht zu detailliert zu planen, nur einige wenige Fixpunkte vorab zu planen und sich sonst eher treiben zu lassen. Bei ihr war das unter anderem ein Besuch bei Freunden in Berlin gleich zu Beginn der Reise, ein Surfcamp in Portugal und eben der dann verkürzte Besuch ihrer Freundin.

Dass das Leben von Digital Nomads in Phasen ablaufen kann, beschreibt auch Conni von planetbackpack.de. Sie hat sich nach ein paar Jahren auf Achse eine „Homebase“ in Bali gesucht, weil sie mehr Routine wollte. „Ein Mini-Zuhause irgendwo auf dieser Welt“ beschreibt sie es. Demnächst wird sie sich eine neue Homebase suchen. Andere wie die Portugiesin Romana Siracusa (siehe Artikel rechts) pausieren vom Herumreisen oder hören damit auf. Auch weil das mit Kindern nicht mehr so leicht ist.

Problem: Infrastruktur

An das Arbeiten unterwegs hat sich Birgit Wagner sehr schnell gewöhnt. Schwierig war nur manchmal, die passende Infrastruktur zu finden. „Obwohl wir das Jahr 2017 schreiben und in Europa sind, ist es nicht gang und gäbe, dass das WLAN funktioniert. In einem Nationalpark in Südholland zum Beispiel gab es einfach kein Internet. Also bin ich zur Fähre geradelt, auf das andere Ufer und von dort sechs Kilometer in das Stadtzentrum, damit ich WLAN habe.“ Zwei Mal hat sie sich in Portugal in Co-Working-Spaces eingemietet, in Cascais und in Lissabon. „Da geht beim Arbeiten dann wirklich etwas weiter.“ Eine weitere Infrastruktur, wie etwa eine Druckerei oder ein Studio für Video- und Tonaufnahmen hat sie nicht gebraucht; wer damit aber arbeiten muss, wird diese vor allem in größeren Städten rasch finden.

Sehnsucht nach Freiheit

Im Internet gibt es mittlerweile eine recht breite Szene, die sich über das Leben als moderner Nomade austauscht. Tipps dafür gibt es zuhauf. Allein auf Amazon finden sich zum englischen Stichwort „digital nomad“ mehr als 10.000 Ergebnisse. Es ist die Sehnsucht, flexibler und freier zu leben, die viele Arbeitsnomaden antreibt und die Möglichkeiten des digitalen Wandels, die das seit einiger Zeit leichter machen.

Bei Birgit Wagner war nicht das Reisen das Problem, sondern das Nachhausekommen. „Weil sich meine Wohnung nicht mehr als Zuhause angefühlt hat.“ Ein Gefühl, das sie schon nach ihrer Rückkehr einer längeren Sri-Lanka-Reise erlebt hatte. Also hat sie ihre Wohnung, in der sie bisher auch gearbeitet hat, gekündigt und sucht etwas Neues. Und sie hat bereits neue Pläne. „Ich trage eine unendliche Sehnsucht in mir, ich vermisse das Meer, die Stille, die Weite und die Momente, in denen ich vor Freude auch mal kreischend im Auto saß, weil der Ozean wieder im Sichtfeld aufgepoppt ist.“ Ende des Jahres will sie daher eine Yogaausbildung machen und in den Wintermonaten in Sri Lanka und Bali als Yogalehrerin in Surfcamps arbeiten. Das sei eine gute Ergänzung zu ihrem Dienstleistungs-Bauchladen.

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