Mit instinktiver Sicherheit: Von Alpbach auf den Balkan

In seinen Roman über den Bosnienkrieg steigt Autor Robert Prosser mit einem Wiener Graffitisprayer ein.
In seinen Roman über den Bosnienkrieg steigt Autor Robert Prosser mit einem Wiener Graffitisprayer ein. (c) Clemens Fabry
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Robert Prosser ist mit "Phantome" auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Dass er über Bosnien schreiben könnte, war für ihn rasch klar.

Ins Thema Bosnien ist Robert Prosser eigentlich hineingerutscht: Als er einst auf der Rückfahrt von Albanien nach Wien war, mit einem kurzen Zwischenstopp in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, kam ein Gefühl auf. „Während wir mit dem Bus durchs Land gefahren sind, hatte ich so eine Ahnung, dass es da einen Text gibt“, erzählt er. „Da war eine instinktive Sicherheit, dass ich darüber schreiben kann – ohne noch zu wissen, was.“

Vier Jahre später hat der 33-Jährige das Gefühl von damals auf 336 Seiten gebracht. Und ist mit seinem Roman „Phantome“, der im August erschienen ist, auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017 gelandet. Es geht um den Bosnienkrieg, ums Überleben, um Abschiede, um Flucht. Um die junge Bosniakin Anisa, die 1992 nach Wien flüchtet, während ihr Freund Jovan, bosnischer Serbe, für die gegnerische Armee an eine winterliche Front im Nirgendwo versetzt wird.

Zunächst erzählt das ein junger Graffitisprayer in Wien, Freund von Anisas Tochter. Der ist bei seiner Reise ins Bosnien von heute, zur perspektivlosen Jugend in Tuzla, zu Demonstrationen, zu einer Gedenkfeier in Srebrenica, manchmal begeistert, mitunter ratlos und wirft nicht zuletzt Fragen über die Vergangenheit auf. „Ich habe mir gedacht, dass es jemand von außen sein muss, der von Bosnien als Fremder erzählt“, sagt Prosser. „Wenn der Sprayer erzählt, kann ich in dessen Sprache auch die Energie hineinpacken, die ich in Bosnien erlebt habe.“

Entscheidung in Urumtschi

Dass Prosser einiges über das Sprayen weiß, merkt man am Vokabular, das er bisweilen in den zunächst rasanten, stets rhythmischen Text einstreut. Tatsächlich war der Tiroler, aufgewachsen eigentlich im beschaulichen Alpbach, einige Jahre in der Hip-Hop-Szene unterwegs und schrieb auch Raptexte, von denen er hofft, dass sie nicht schon irgendwo herumschwirren. Als die Musik irgendwann an ein Ende kam, folgte eine Reise. In einem Hotelzimmer in Urumtchi, im Osten von China, kam die Entscheidung, es ernsthaft mit dem Schreiben probieren zu wollen.

„Das war ziemlich blauäugig“, sagt Prosser, der heute mit Freundin und zweijährigem Sohn zumindest teilweise wieder in Alpbach lebt. „Ich wusste nicht, was sich da tut, wie zeitgenössisches Schreiben funktioniert.“ Neben seinem Komparatistik- und Anthropologiestudium beginnt er Lyrik zu lesen und Gedichte zu schreiben. Er tritt bei Poetryslams auf, veröffentlicht die Prosabände „Strom“ und „Feuerwerk“ und 2013 den Roman „Geister und Tattoos“, der im Kaukasus spielt.

Nun also Bosnien. Ein Land, über das Prosser trotz des anfänglichen Gefühls kaum etwas wusste. Weshalb er in Wien begann, Interviews mit Menschen aus der ex-jugoslawischen Community zu führen, später auch in Bosnien, etwa mit Überlebenden des Massakers von Srebrenica. Anders als bei seiner Protagonistin Anisa waren diese auch bereit zu erzählen – jedenfalls, ihm, einem Fremden. „Je traumatischer die Erfahrungen sind, desto weniger spricht man offenbar mit den eigenen Kindern darüber“, so Prosser.

Dass sein Roman über Krieg und Flucht in und aus Bosnien mit der jüngsten Flüchtlingswelle an Aktualität gewinnt, ist Zufall. „Das Manuskript war 2015 schon sehr weit“, sagt er. Parallelen zwischen damals und heute ortet er schon. Auch bei den Zuschreibungen und Stereotypisierungen, die damals in Bosnien massiv gebraucht wurden und die er heute, hier wiedererkennt. „Wie nimmt man den Anderen wahr, wie wird das politisch und medial transportiert und verfälscht?“

Sein nächstes Buch wird, anders als die ersten zwei, nicht im Kaukasus oder am Balkan spielen, sondern in Wien. Größtenteils in der Kampfsportszene, die Prosser kennt. Er geht, nicht unbedingt klischeehaft für Schriftsteller, zum Ausgleich Boxen. Zuerst kommt aber der morgige Tag. Da wird die Shortlist für den Buchpreis veröffentlicht.

ZUR PERSON

Robert Prosser (33) ist mit seinem zweiten Roman, „Phantome“, auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis gereiht worden. Prosser ist in Alpbach (Tirol) aufgewachsen und hat 2013 mit „Geister und Tattoos“ seinen ersten Roman veröffentlicht.Weitere Werke aus Österreichauf der Longlist sind „Das Floß der Medusa“ (Franzobel), „Die Hauptstadt“ (Robert Menasse), „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ (Monika Helfer) und „Flugschnee“ (Birgit Müller-Wieland). Morgen, Dienstag, wird die Shortlist für den Deutschen Buchpreis veröffentlicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2017)

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