Kathryn Bigelow: „Unterhaltung allein reicht nicht“

Für ihren aktuellen Film „Detroit“, in dem der institutionalisierte Rassismus in den USA zum Thema gemacht wird, wurde Kathryn Bigelow heftig angegriffen.
Für ihren aktuellen Film „Detroit“, in dem der institutionalisierte Rassismus in den USA zum Thema gemacht wird, wurde Kathryn Bigelow heftig angegriffen.(c) DANIEL LEAL-OLIVAS / AFP / picturedesk.com (DANIEL LEAL-OLIVAS)
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Oscargewinnerin Kathryn Bigelow hat mit „Detroit“ einen Film über den institutionellen Rassismus in den USA gedreht. Die Regisseurin im Gespräch über die Notwendigkeit eines journalistischen Kinos und die neuen Chancen für Regisseurinnen in Hollywood.

Es ist eine wahre Begebenheit, die Kathryn Bigelow als Grundlage für ihren aktuellen Film „Detroit“ genommen hat: Die Geschichte der berüchtigten Rassenunruhen von 1967, bei denen die zu 95 Prozent aus Weißen bestehende Polizei unschuldige Afroamerikaner terrorisierte. Ein Film, der den Vorfall zu einem zeitgeschichtlichen Thriller macht und dabei den institutionellen Rassismus der Staatsmacht thematisiert.

Warum waren Sie die richtige Kandidatin für diesen Film?

Kathryn Bigelow: Das habe ich mich auch gefragt. Offen gestanden hatte ich große Zweifel. Aber diese Geschichte musste eben erzählt werden. Dieses Argument hat meine Zweifel etwas entkräftet. Und jeder sollte sich mit dem Thema der Rassenungleichheit in den USA auseinandersetzen. Speziell als ich mit dem Projekt begann, hatte ich das Gefühl, dass die Diskussion zu diesem Thema bei uns fast verstummt war. Ich habe auch mit zwei herausragenden Experten für afroamerikanische Geschichte, Henry Lewis Gates Jr. und Michael Eric Dyson, zusammengearbeitet, um die Authentizität unserer Darstellung zu sichern.

Sie setzten sich mit Ihrer Entscheidung für dieses Projekt heftigen Angriffen aus.

Das lässt sich nicht vermeiden, wenn du ein so vorbelastetes Thema aufgreifst. Ich war mir dessen bewusst, aber die Geschichte war zu wichtig – fast 50 Jahre lang hatte die niemand angefasst. Ich wünsche mir, dass jetzt noch mehr solcher Filme entstehen.

Es gab eine Zeit, in der Sie sich mit Vampiren und adrenalinsüchtigen Bankräubern beschäftigten. Sind solche reinen Unterhaltungsfilme für Sie vorbei?

Ich denke schon. Das fing mit „Hurt Locker“ an. Ich habe damals verstanden, dass der Film wie ein journalistisches Medium dazu dienen kann, Informationen zu vermitteln. Die Realität des Irak-Kriegs wurde seinerzeit in meinem Land weitgehend ausgeblendet. Und mit „Zero Dark Thirty“ über die Jagd nach bin Laden ging ich einen weiteren Schritt in diese Richtung. Ich möchte jetzt eben Geschichten von sozialer Relevanz erzählen. Und das ist umso wichtiger, als sich speziell in den USA Teile des Journalismus in Richtung reiner Unterhaltung bewegen, was ich sehr traurig finde.

Sie wollen also Ihr Publikum erziehen und informieren?

Ich würde sagen, dass Unterhaltung allein nicht ausreicht. Gerade weil Kino ein so breites Publikum erreichen kann, bietet das eine großartige Chance. Du hast als Filmemacher die ideologische Verantwortung, sozial relevante Geschichten zu erzählen. Für mich jedenfalls ist das eine natürliche Weiterentwicklung.

Wie wichtig ist Ihr Status als Oscargewinnerin, um diese Vorhaben umzusetzen?

Ich würde sagen, dass der Erfolg von „Hurt Locker“ schon geholfen hat. Geschichten wie „Detroit“ lassen sich nicht so leicht auf die Beine stellen – anders als Filme über Superhelden in Strumpfhosen. Aber Letztere interessieren mich eben nicht wirklich.

Als eine von ganz wenigen Regisseurinnen etablierten Sie sich in Hollywood im Action- und Thrillergenre. Warum stehen Sie da so allein auf weiter Flur?

Gott sei Dank ändert sich das ja. Aber ich tat mich immer schwer, diese Frage zu beantworten, denn ich treffe ja nicht die Entscheidungen, welche Filme in Hollywood gedreht werden. Ich wünschte, ich könnte es. Und ich kann es selbst nicht verstehen, warum ich da eine Ausnahme blieb. Auf jeden Fall fühlte ich mich immer zu solchen schwierigen Geschichten hingezogen. Damit habe ich mir mein Leben selbst schwer gemacht, und das erklärt auch, dass zwischen meinen Filmen lange Pausen lagen. Aber das ist der Pfad, den ich gewählt habe, und ich kann nicht davon abweichen.

Ändert sich die Situation für weibliche Filmemacher wirklich?

Ihre Zahl ist immer noch niedrig. Aber es gibt jetzt Kolleginnen wie Patty Jenkins oder Ava DuVernay, die Filme wie „Wonder Woman“ oder „Selma“ machen. Das gibt mir die Hoffnung, dass hier ein Wandel stattfindet. Die Leute sind sensibler geworden und wenn Filmteams zusammengestellt werden, spüren sie eine gewisse Verpflichtung, Kandidaten aller Geschlechter und Ethnien auszusuchen. Das konnte man auch bei „Detroit“ sehen. Unter den Crewmitgliedern waren viele Frauen.

Steckbrief

Kathryn Bigelow
(geb. 1951) gewann 2008 für „The Hurt Locker“ den Oscar für die beste Regie und in ihrer Funktion als Produzentin jenen in der Kategorie bester Film.

Aktueller Film: In „Detroit“ beschreibt sie die Vorgänge rund um eine Polizeirazzia im Jahr 1967, die zu einem der größten Bürgeraufstände in den USA führte. Der Film läuft seit Freitag in österreichischen Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2017)

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