Von Tolstoi bis Margaret Atwood: Das Schreiben über die Liebe

Die britische Schriftstellerin Jeanette Winterson eröffnet die Erich-Fried-Tage. [
Die britische Schriftstellerin Jeanette Winterson eröffnet die Erich-Fried-Tage. [(c) Sam Churchill
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Erich-Fried-Tage. Jeanette Winterson spricht darüber, wer das Bild von der Liebe geprägt hat. Und was die Liebe für sie als Schriftstellerin spannend macht.

Wenn Jeanette Winterson einmal anfängt, über die Liebe zu reden, wird das eine regelrechte Reise – die 58-Jährige beginnt bei den Vorstellungen von Liebe in der Literatur, geht über den Feminismus weiter und kommt irgendwann auch noch zu Sigmund Freud.

Dass die mehrfach ausgezeichnete britische Schriftstellerin die richtige Wahl ist, um die Erich-Fried-Tage zum Thema „Ach! Reden über die Liebe“ zu eröffnen: völlig klar. „Wir werden erkunden, was wir eigentlich mit Liebe meinen“, sagt Winterson. Eine wichtige Frage dabei: wer das Bild von der Liebe eigentlich zeichnet.

„Lange Zeit haben nur Männer die Vorstellung von Liebe in der Literatur geprägt“, sagt Winterson, die 1985 mit „Oranges Are Not the Only Fruit“ debütierte und seitdem oft auch auf die eine oder andere Art die Liebe zum Thema hatte.

„Denken Sie an einen Klassiker wie Anna Karenina“, sagt sie über das Romanepos, in dem Leo Tolstoi 1887 seine Protagonistin an den damaligen Moralvorstellungen scheitern lässt. „Das ist ein fantastisches Buch. Aber Anna Karenina muss sich am Ende von einem Zug überfahren lassen!“

Das ändere sich aber. „Ich bin glücklich, dass Frauen mehr schreiben. Das durchbricht das patriarchale Bild, dass Frauen auf diese oder jene Art lieben müssten“, sagt Winterson. Virginia Woolf, die von 1882 bis 1941 lebte, sei da eine der Pionierinnen gewesen. Generell sei das aufs Engste verbunden mit Frauenbewegungen. „Da wurde vieles hinterfragt. Wir Frauen haben begonnen, unsere eigenen Sichtweisen zu prägen. Es kann nicht nur eine Sichtweise geben, die männliche, sondern viele verschiedene. Und das ist ja das Aufregende.“

Andere Perspektive

„Zum Beispiel Margaret Atwood“, sagt Winterson. Die Kanadierin, deren dystopischer Roman „Der Report der Magd“ aus dem Jahr 1985 gerade als Serie verfilmt wurde, sei eine Schriftstellerin, die eine andere Perspektive bringe. „Sie hätten ihr dieses Jahr den Nobelpreis geben müssen“, sagt Winterson. Und dass diese Geschichte, in der Frauen unterdrückt und sexuell ausgebeutet werden, gerade jetzt wieder aufgetaucht ist, da mit #Metoo Übergriffe thematisiert werden, sei passend: „Denn da geht es nicht um Liebe oder um Sex: Es geht um Macht.“ Das mit der Macht ist einer der Gründe, warum Winterson es spannend findet, über die Liebe zu schreiben. Ein Rückgriff in die Kindheit: Aufgewachsen als Adoptivtochter pfingstlerischer Eltern – das Coming-out und die Loslösung hat sie in ihrem Debüt verarbeitet –, sei Gott das Rolemodel für die Liebe gewesen.

Macht und Abhängigkeit

„Ich habe dann die Frage gestellt: Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Macht?“, sagt sie. „Generell sind unsere Versionen von Liebe oft vermischt mit Macht und Abhängigkeit. Und für eine Schriftstellerin ist es interessant, das zu erkunden.“

Genauso wie die Frage, warum für die Liebe oft und lange Zeit so enge Grenzen gezogen wurden: für lesbische und schwule Liebe etwa, aber auch für die Liebe zwischen Schwarz und Weiß. „Love is not all we need“, sagt Winterson in Anspielung auf die Beatles. „Aber wir brauchen mehr Liebe in der Welt.“

ZUR PERSON

Jeanette Winterson wurde 1959 in Manchester geboren. Ihr Debüt wurde als „Orangen sind nicht die einzige Frucht“ 1993 ins Deutsche übersetzt. 2006 wurde sie zum Officer im Order of the British Empire ernannt.

Die 58-Jährige hält heute, Dienstag, um 19 Uhr den Eröffnungsvortrag der Erich-Fried-Tage, die von 28. November bis 3. Dezember unter dem Motto „Ach! Reden über die Liebe“ im Literaturhaus Wien stattfinden.

Web: erichfriedtage.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2017)

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