Wellendorff: Hüftgold und Kordelphysik

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Mitten in Pforzheim werden Armmuskeln trainiert, werden Goldkilometer gemacht. Zu Besuch in der Schmuckmanufaktur Wellendorff.

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Der schmucklosen Nachkriegsarchitektur sieht man nicht an, wofür Pforzheim berühmt ist: Goldhandel und die Fertigung von luxuriösem Schmuck und Uhren. Etwa 75 Prozent des in Deutschland gefertigten Schmucks kommen aus Pforzheim,  auch Wellendorff hat hier seinen Sitz. Zur vorletzten Jahrhundertwende, zum Fin de Siècle, war Pforzheim noch eine blühende Prachtstadt. „Man sah der Stadt das Gold an“, sagt Claudia Wellendorff, die Frau von Georg Wellendorff, einem Nachfahren des Unternehmensgründers Ernst Alexander. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bauwerke allerdings fast zur Gänze zerstört, „nach Dresden war Pforzheim die meistzerstörte Stadt“. Auch das Wellendorff-Archiv mit Entwurfszeichnungen fiel den Bombenangriffen zum Opfer. Umso mehr weiß man heute die wenigen erhaltenen Skizzen zu schätzen, die im hauseigenen Minimuseum ausgestellt sind. Etwa das dicke Musterbuch von 1956 mit detailreichen Zeichnungen von metallenen Gewebestrukturen. Von der berühmten Wellendorff-Kordel gab es 1977 das erste Muster: „Die Mutter meines Mannes hat als Kind so gern mit Vorhängen gespielt, hat diese dicken Kordeln mit Quasten über ihre Hand gleiten lassen. Später meinte sie zu ihrem Mann: ‚Du hast gesagt, du kannst alles aus Gold machen. Mach mir eine Kordel.“ Nach zwei Jahren Tüftelei war man so weit, die erste geschmeidige Kordel aus Gold fertigen zu können. Heute gibt es davon diverse Varianten. Das Kordelcollier etwa lebt von seiner gezielten Unordnung, „so wirkt es lässiger“.

Handgriffe. In der großen Werkstatt im Obergeschoß wird von den Zurichtern, Goldschmieden, Polisseusen und Fassern ausschließlich neu geschiedenes Recyclinggold verarbeitet. Das bedeutet, dass für die Wellendorff-Schmuckstücke kein Gold umweltschädigend abgebaut werden muss. Das Gold wird im „Kabinett“ verwaltet. Täglich wird die von den Mitarbeitern benötigte Menge  in der Früh und am Abend abgewogen, aus Sicherheitsgründen. Um sich das Gold zu sichern, das sich im Lauf der Zeit in feinen Partikeln überall in der Werkstatt absetzt, werden die Teppiche verbrannt und die Rückstände geschieden. So ist das Gold wieder verfügbar.  

Ein Zurichter mit kräftigen Armmuskeln, einer von etwa 70 Manufakturmitarbeitern, bereitet das Rohgold für die Goldschmiede auf. Ein 2,5-Kilo-Goldstab wird – mit Handschuhen, wegen der entstehenden Hitze – durch eine Formwalze geführt, immer und immer wieder, der Abstand zwischen den Walzen dabei immer mehr verringert. Danach zieht man den Stab noch durch einen Ziehstein. Aus einer 50 cm langen Goldstange werden auf diese Art 2,5 km Golddraht. Dieser Draht wird nun mithilfe einer übersetzenden Vierfachkurbel über einen Stahlkern gewickelt und so zu einer fragilen Spirale – Ausgangsmaterial für die Kordelvariationen. „Dann kommt noch die ,Seele‘ aus 18 Karat Gold hinein. Die ist aber ein Geheimnis.“

Die Reise der Autorin erfolgte auf Einladung von Wellendorff.

Tipp

Geschichte. Die Schmuckmanufaktur Wellendorff in Pforzheim wurde 1893 gegründet. Bekannt ist man vor allem für Kordel und Jahresringe. Auch in Wien gibt es eine Boutique: Graben 14, 1010.

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