Haute-Joaillerie: Am Anfang ist der Stein

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Die aufregende Suche nach Steinunikaten ist der Ausgangspunkt jeder Haute-Joaillerie-Kollektion.

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Krokodile erlegen, um ihnen aus dem Raubtiermagen einen Smaragd von sagenhafter Größe zu entreißen, das gehört zwar eher auf die To-do-Liste des von Michael Douglas in „Die Suche nach dem grünen Diamanten“ gespielten Abenteurers Jack Colton. Ganz ohne Aufregung verläuft der Arbeitsalltag von Experten für die Beschaffung besonders seltener Edelsteine bei Juwelieren wie dem Maison Cartier jedoch auch nicht.

Ohnehin wird an der Place Vendôme, dem Nabel der Haute-Joaillerie-Welt, üblicherweise sehr diskret agiert. Und aus Sicherheitsgründen darf auch die seit über 30 Jahren auf die Beschaffung farbiger Edelsteine und außergewöhnlicher Perlen spezialisierte Mitarbeiterin weder mit Bild gezeigt noch mit vollem Namen genannt werden. Nennen wir die resolute Dame, die einer Journalistengruppe Einblick in ihren Beruf gewährt („Ich führe keine langen Reden. Sie fragen, ich antworte – Punkt.“), also Madame Brigitte.

Eine Vertrauensfrage. Es mag nicht ganz der Realität entsprechen, sich vorzustellen, wie Brigitte in Tadschikistan in ein von Wachen umringtes Zelt tritt, um sich einen exorbitant wertvollen Spinell zeigen zu
lassen. Auch ohne James-Bond-Fantastereien wirkt die als „Colour Stone Specialist“ wirkende Dame aber so, als würde sie sich keinesfalls über den Tisch ziehen lassen.
„Ein Vertrauensverhältnis mit den Händlern ist wichtig“, sagt Brigitte in einem Hochsicherheitstrakt des Cartier-Stammhauses, in dem bis zur Biennale des Antiquaires die Haute-Joaillerie-Kollektion, bestehend aus lauter Schmuckeinzelstücken, verwahrt wird. „Manche der Steine sind so kostbar und einzigartig, dass es nicht reicht, einfach den gefragten Preis zu bezahlen.“ Da sie aber seit Jahrzehnten in der Branche bekannt ist, bekommt Madame Brigitte üblicherweise, was sie haben will. „Das
Prestige von Cartier ist außerdem die geforderte Garantie für die Qualität der Kreationen, die später entstehen.“
Die große Bedeutung der Edelsteine rührt daher, dass jede Haute-Joaillerie-Kollektion von ihnen wesentlich beeinflusst ist. „Natürlich, am Anfang jeder Kreation steht der Stein. Jedes Haute-Joaillerie-Unikat wird von einem Edelstein inspiriert, der von unseren Experten als passend befunden wird“, bestätigt Jacqueline Karachi, die ebenfalls seit über 30 Jahren in der Entwurfsabteilung von Cartier arbeitet. „Es gibt zwar eine grobe Thematik, die von uns im Vorhinein festgelegt wird, und wir wissen auch, wie viele Ringe wir machen wollen und wie viele Colliers, was wieder gewisse Steinformen erforderlich macht“, fährt sie fort. „Doch das Ziel ist in erster Linie, einzigartige Steine ausfindig zu machen, und da haben wir glücklicherweise einiges an Freiheit. Außerdem sind wir ja auch vom Angebot abhängig: Was wird uns überhaupt
angeboten, was erfüllt unsere Ansprüche, wo können wir einfach nicht widerstehen?“

Häufig begleitet Jacqueline Karachi Madame Brigitte auf ihren Reisen nach Basel, Hongkong, Las Vegas und in die anderen Städte, wo wichtige Tradeshows stattfinden, und – schließlich sind beide seit über drei Jahrzehnten für dasselbe Luxusunternehmen tätig – zumeist sind sie auch einer Meinung, welche Steine zu Cartier passen und ihre eigenen hohen Ansprüche erfüllen.

Mut zum Experiment. Die lange Tradition des Pariser Juweliers spielt für die Arbeit von Jacqueline Karachi naturgemäß eine wichtige Rolle. „Die DNA von Cartier, wenn Sie so wollen, eignet sich jeder Mitarbeiter der Entwurfsabteilung in den ersten Jahren an – in den Archiven lernen wir unser Vokabular und die dazugehörige Grammatik“, unterstreicht sie. Auch und gerade bei den Haute-Joaillerie-Kollektionen sei mitunter Courage gefragt, um die Kunden in eine neue Richtung zu lenken: „Wir
respektieren die Vergangenheit und leben in der Gegenwart, diese Balance ist für unsere Arbeit wichtig. Und zu unserer Verantwortung zählt für mich auch: den Menschen etwas zeigen, worauf sie selbst nicht notwendigerweise gekommen wären. Das funktioniert, weil man uns vertraut.“

Diese Einstellung betrifft nicht nur die kreative Arbeit, sondern eben auch, eng damit zusammenhängend, die Suche nach den einzigartigen Edelsteinen. „Wenn wir nur das kaufen würden, was gefragt ist, gäbe es Diamanten, Saphire, Smaragde und Rubine“, so Karachi. Dass auch Spinelle oder Opale verarbeitet werden, sei keineswegs selbstverständlich. (Übrigens wurde der glutrote Spinell für eine Rubinvariante gehalten, bis im 19. Jahrhundert chemische Analysen dies widerlegten.)

Geschichtenerzähler. Auf der Biennale des Antiquaires in Paris wird in wenigen Tagen die neue Haute-Joaillerie-Kollektion von Cartier gezeigt. Bei der Namensfindung setzte man offenbar nicht auf Understatement; „Cartier Royal“ soll sie nämlich heißen: „Die Idee war, dass früher die Könige ihre Gesandten in ferne Länder schickten, um Kostbarkeiten für ihre Schatzkammern zu beschaffen. Was wir tun, wenn wir auf die Suche nach Edelsteinen gehen, ist damit vergleichbar“, so Jacqueline Karachi.

Im Großen und Ganzen sollen die Entwürfe in ihrer Gesamtheit wie ein Reisetagebuch funktionieren: „Jedes Schmuckstück erzählt von einer Reise in die Ferne!“ Ein kostbarer Smaragd aus Südamerika wurde etwa in ein Krokodil-Collier eingebunden, der Spinell aus Tadschikistan ist umrahmt von Edelweiß-ähnlichen Blüten, wie sie in diesem Land vorkommen. Ein weiteres Highlight ist der Absolute Pure Diamond, ein 30,21-Karat-Diamant von außergewöhnlicher Reinheit. Er ist in ein Schmuckstück verarbeitet, das von der natürlichen Formung von Kristall-Strukturen inspiriert ist. Manchmal sind eben die nächstliegenden Geschichten auch die überzeugendsten.

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La Biennale des Antiquaires

Der Autor reiste auf Einladung von Cartier nach Paris.


In den von Licht (und viel „Air de Paris“) durchfluteten Räumlichkeiten des Grand Palais findet im Zwei-Jahres-Takt die Biennale des Antiquaires statt: Wichtige Antiquitätenhändler werden heuer zum insgesamt 27. Mal ausgesuchte Einzelstücke präsentieren. Für den großen Erfolg der Biennale spricht die Tatsache, dass sie auch in anderen Ländern Station macht und sozusagen zum mobilen Kuriositätenkabinett wird. 2012 gestaltete Karl Lagerfeld die Präsentationsfläche, wie das Grand Palais heuer aussehen wird, können Besucher von 11. bis 21. September erkunden. Es hat übrigens Tradition, dass auf der Biennale des Antiquaires die größten Juweliere ihre Haute-Joaillerie-Kreationen zeigen: Neben Cartier sind unter anderem Chanel, Dior, Boucheron und Piaget zugegen.

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