Schmuck: Rohstein, Reiz und Risiko

(c) Christine Pichler
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Schmuckmacher, die rohe Steinbrocken kaufen und nach eigenen Entwürfen schleifen lassen, riskieren einiges. Und gewinnen viel.

Bio könne man dazu nicht wirklich sagen, meint Manfred Seitner. Aber unbehandelt, das seien seine Steine auf jeden Fall. Nicht thermisch behandelt – „das geht ja noch“ – und schon gar nicht radioaktiv bestrahlt. Der Schmuckmacher in der Wiener Dorotheergasse ist einer der wenigen, die Rohsteine kaufen und nach eigenen Entwürfen schleifen lassen. Ein überaus zeitgemäßes Prinzip im Sinne von Individualismus und Herkunftsfanatismus, wenn man sich andere Branchen ansieht: etwa die gehobene Gastronomie, in der immer mehr Köche ihr eigenes Biogemüse pflanzen und den Tieren auf dem Bauernhof einen Besuch abstatten.

Meistens arbeiten Juweliere mit fertig geschliffenen Steinen, die durch viele Zwischenhandelsstufen gegangen sind, bauen um diese herum ein Schmuckstück auf. In der Schmuckwerkstatt Seitner geht man den längeren, den komplizierten Weg. Man kauft rohe Steinbrocken, begutachtet diese genau, skizziert mögliche Schliffe – bei Seitner oft von Asymmetrie geprägt – direkt auf die Steine. Fertigt mitunter aus Hartwachs ein 1:1-Modell, um sich den individuellen Schliff auch in der dritten Dimension bestmöglich vorstellen zu können. Und beauftragt dann einen Wiener Schleifer mit der Umsetzung. Begonnen hat diese Arbeitsweise 1999, als man sich unter anderem mit dem deutschen Schmuckkünstler Georg Spreng (hierzulande etwa bei Skrein vertreten) einen riesigen Aquamarin teilte: ein 5,5 Kilo schweres, farbenprächtiges kristallines Trumm, das vom Schleifer grob zerteilt wurde. Auch einen roten Turmalin hat sich Manfred Seitner schon mit Georg Spreng geteilt, „da haben wir gewürfelt, wer welches Stück bekommt“.

(c) Christine Pichler

Überraschung. Anders als beim Kauf von fertig geschliffenen Steinen bedeutet ein Rohstein immer Risiko: „Der Schleifer hat zwar viel Erfahrung und weiß, wo die Farbe im Stein sitzt und wie genau er den Schliff legen muss. Aber was am Ende herauskommt, ist immer noch eine Überraschung“, erzählt Manfred Seitner, und eine fast kindliche Freude blitzt in seinem Gesicht auf. „Wie Spiegelung und Reflexionen im Stein dann ausschauen, sieht man im Wachsmodell natürlich nicht. Es kann auch einmal schiefgehen.“

Aber Reiz sticht Risiko. „Für einen Schmuckgestalter ist es immer ein bisschen leidig, wenn der Stein schon vorgegeben ist. Wenn man den Stein auch mitgestalten kann, ist man in der Entwurfsarbeit wesentlich freier.“ Im Vorjahr standen wie schon 1999 rohe Aquamarinkristalle auf dem Programm, heuer warten fast farblose, gletscherfarbene Topase – Kiesel, die „vermutlich in einem Fluss rundgewaschen wurden“, in einer Zwei-Liter-Softeis-Packung auf ihre Verarbeitung. „Besonders Topase werden oft thermisch behandelt, die Farbe verändert sich manchmal komplett. Diese hier sind sicher naturbelassen.“

Ein Faible für Feinschliff

Ein schönes Wort, das aber nur selten zum Einsatz kommt, ist die „Lichtausbeute“: Um sie geht es zuvorderst bei der Entwicklung neuer Schliffarten für Edelsteine. Die heute gängigste Facettierung von Diamanten etwa, der Brillantschliff, wurde mit dem Ziel größtmöglicher Lichtausbeute entwickelt und existiert seit 1910. Er stellt freilich den Gipfelpunkt einer Jahrhunderte währenden Entwicklung dar, wobei man sich immer mehr der kreisrunden Rundleiste des Steins annäherte. Ein früherer Altschliff für Diamanten war indes der im 18. Jahrhundert entwickelte Peruzzi-Schliff, der lange als gültig erachtet wurde.

Ergänzend dazu sind heute viele Anbieter luxuriöser Schmuckkreationen darum bemüht, ihrer Klientel ein möglichst unverwechselbares Angebot zu machen. Und wie es etwa unter Herstellern luxuriöser Uhren zum guten Ton gehört, die Kaliber - also die Herzstücke der Zeitmesser - in eigenen Manufakturen anzufertigen, sind Anbieter von kostbaren Geschmeiden daran interessiert, mit patentierten Schliffarten zu überraschen.

Bei Pomellato etwa gibt es den charakteristischen Nudo-Schliff, der die ungewöhnlichen Solitäre dieser Marke kennzeichnet und sich durch eine unregelmäßige Facettierung von anderen Schliffen abhebt. Als einen „strahlenden Stern“ in der Geschichte des Hauses sieht man wiederum bei Tiffany den 2008 patentierten Lucida-Schliff: Eine brillantähnliche Unterseite, kombiniert mit einer Krone im Treppschliff ist typisch für diesen gemischten Karré-Schliff. Genauestens ausgetüftelt ist naturgemäß auch der Schliff der Louis-Vuitton-Diamanten: Die Form ist angelehnt an die Blüten des berühmten Monogrammmusters, es gibt eine spitze und eine abgerundete Version. Bis zu 77 Facetten werden geschliffen, die Entwicklung dauerte drei Jahre und die Schliffform wird heute in der hauseigenen Schleiferei in Tel Aviv praktiziert. Logokunst der nächsten Dimension, sozusagen. (dk)

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