Cartier: Im Gefieder der Zeit

Konserviert. Eine Spezialtechnik hält Blütenblätter frisch.
Konserviert. Eine Spezialtechnik hält Blütenblätter frisch.(c) Beigestellt
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Ein Bauernhaus, in dem Handwerkskunst verwahrt wird wie in einem Schatzkästchen: das Maison des Métiers d’Art von Cartier.

Drei Wochen hat es gedauert, bis die winzigen Fragmente von Rosenblättern auf dem Zifferblatt nicht mehr aussahen wie zerrupftes Gefieder, sondern wie das Federkleid eines stattlichen Gelbbrustaras. Mit einer Pinzette haben Kunsthandwerker die Stücke auf einem Grund aus Holz arrangiert, davor die Teilchen millimeterklein mit einer winzigen Säge zurechtgeschnitten – Feder für Feder, aus einem Material, das für Federn dann doch recht untypisch scheint: aus Rosenblüten. Wäre irgendein auch noch so kleiner Arbeitsschritt schiefgegangen, hätte man mit dem filigranen Arrangement von vorn beginnen müssen.

Filigran. Mit der Pinzette werden Blüten auf das Zifferblatt gesetzt.
Filigran. Mit der Pinzette werden Blüten auf das Zifferblatt gesetzt.(c) Beigestellt

2014 hat Cartier das Ergebnis der wochenlangen Millimeterarbeit schließlich beim Genfer Uhrensalon vorgestellt. Die Ballon Bleu de Cartier mit dem aus Blütenblättern gefertigten Papageienmotiv war die Erste ihrer Art. Neben handgemalten Details, dem Papageienschnabel aus Onyx und dem Auge aus Smaragd ist das Zifferblatt quasi naturbelassen. Die Experten in den Werkstätten ließen sich zur Konservierung der gefärbten Blüten eine eigene – geheime – Technik einfallen. Zwanzig Exemplare dieses außergewöhnlichen Uhrenmodells wurden damals angefertigt – allesamt in der Werkstätte, die Cartier in der Schweiz hatte errichten lassen: Hier, in einem alten Bauernhaus, will man alter, häufig vergessener oder unüblicher Handwerkskunst frönen.

Werkstätte. Das Bauernhaus im Berner Stil gleicht selbst einem Ausstellungsstück.
Werkstätte. Das Bauernhaus im Berner Stil gleicht selbst einem Ausstellungsstück.(c) Beigestellt

Ein Schritt weiter. So recht will das Haus ja nicht ins Ortsbild von La Chaux-de-Fonds passen. Die Schweizer Uhrmacherstadt ist eher von schnurgeraden Häuserzeilen dominiert; hie und da ein höheres Wohngebäude, das sich zur Sonne reckt. Das vierstöckige, restaurierte und innen modern umgebaute Bauernhaus im Berner Stil hingegen steht am offenen Feld, wie ein Ausstellungsobjekt. Und daneben, nur ein paar Meter weiter, findet sich schon die nächste Manufaktur: In dieser baut Cartier seine Uhrwerke, in freilich nicht minder präziser Feinarbeit. Doch das, was nebenan im Bauernhaus aus dem vorvorigen Jahrhundert passiert, geht einen Schritt weiter. Hier werden Stücke angefertigt, die nur wenige Menschen jemals besitzen werden – aber die für das Selbstverständnis des Hauses Cartier mit seinem großen Archiv und einer peniblen, beinah musealen Dokumentationslust essenziell sind. Das Maison des Métiers d’Art ist eine Stätte, in der, frei nach Gustav Mahler, das Feuer der traditionellen Handwerkskunst weitergegeben wird. Ein Bauernhaus als Sinnbild für Entschleunigung; für die ruhige Hand etwa, die Blütenblatt für Blütenblatt in Form sägt, auf ein Zifferblatt legt, vorsichtig faltenfrei niedergepresst.

Ein Bauernhaus, in dem Handwerkskunst verwahrt wird wie in einem Schatzkästchen: das Maison des Métiers d’Art von Cartier.
Ein Bauernhaus, in dem Handwerkskunst verwahrt wird wie in einem Schatzkästchen: das Maison des Métiers d’Art von Cartier.(c) Beigestellt

Marqueterie nennt sich die Arbeit, die die Artisans bei der Ballon Bleu mit dem Papageienmotiv aus Rosenblättern ausführen. Auch andere Stücke, mit anderen Materialien, werden auf diese Art vervollständigt: die Rotonde de Cartier mit einem Löwenkopf aus Stroh auf dem Zifferblatt zum Beispiel. Die Marqueterie ist allerdings nur eine der Handwerkskünste, die hier ausgeübt werden. Auf zwei Stockwerken des Bauernhauses – hinter einer durchgehenden, mehrere Stockwerke hohen Fensterwand für ausreichend Licht arbeiten knapp 30 Handwerker: Die Feinjuweliere besetzen Uhren mit Edelsteinen, bei der Filigrée verweben Fachleute dünne Gold- und Silberfäden zu aufwendigen Ornamenten. Sie beherrschen etruskische Granulation, eine antike Goldschmiedeart, und Emaille-Granulation, dazu fünf verschiedene Emailliertechniken – etwa die Grisaille in Grautönen oder die Plique-à-jour, deren Paneele leicht durchscheinend sind. Die bereits erwähnte Marqueterie wird nicht nur mit Rosenblättern und Stroh praktiziert, sondern auch mit Holz. Auch antike Cartier-Uhren werden von den Experten wieder auf Vordermann gebracht „Es ist immer ein Ratespiel“, sagt eine der Handwerkerinnen. Denn Skizzen oder detaillierte Beschreibungen gebe es nicht immer. Ihre Arbeit führen die Artisans in absoluter Ruhe aus, blicken durch Mikroskope, verwenden winzige Bunsenbrenner – in ihren weißen Mänteln sehen sie aus wie Chirurgen bei einer Operation.

Akribisch. Feinjuweliere setzen von Hand Edelsteine auf wertvolle Einzelstücke.
Akribisch. Feinjuweliere setzen von Hand Edelsteine auf wertvolle Einzelstücke.(c) Beigestellt

Der Traditons- und Entwicklungsanspruch gleicht sich also aus. „Wir wollen nicht nur neue Materialien verwenden, um neue Materialien zu verwenden“, meint Carole Kasapi, die für Uhrwerke zuständige Sprecherin bei Cartier. Innovationsbereitschaft soll den Handwerkern – wie den Trägern ihrer Erzeugnisse – schließlich Spaß machen. So wie das Zifferblatt mit Rosenblattbesatz: Warum auch für Federn Federn verwenden?

Die Autorin reiste auf Einladung von Cartier in die Schweiz.

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