Nordische Architekturperlen

(c) Rasso Knoller
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Norwegens Architekturperlen in Oslo sind erst jüngsten Datums, Finnland erwarb seine Sonderstellung in Architektur und Design schon viel früher.

(c) Rasso Knoller

„Was lange währt, wird endlich gut.“ Diese Binsenweisheit trifft auch auf das Opernhaus in Oslo zu. Die Bauzeit selbst war nicht das Problem, knapp fünf Jahre nach der Grundsteinlegung konnte Norwegens größtes Kulturprojekt der Neuzeit im April 2008 eröffnet werden. Mehr noch: Die Oper war damals sogar ein halbes Jahr vor der geplanten Zeit fertig. Doch dem Baubeginn waren jahrzehntelange Diskussionen vorangegangen, mehrere Standorte waren erwogen und wieder verworfen worden und etliche Baupläne im Papierkorb gelandet. Schließlich erhielt das norwegische Architekturbüro Snøhetta als Sieger eines Wettbewerbs den Auftrag.

In Norwegen wird man nicht müde zu betonen, dass der Siegervorschlag ausschließlich wegen seiner Qualität ausgewählt wurde. Die Nationalität der Architekten habe keine Rolle gespielt. Daran zweifelt man spätestens dann nicht mehr, wenn man vor dem Osloer Opernhaus steht, einem der imposantesten Konzerthausneubauten der letzten Jahrzehnte. Das Team von Snøhetta genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf, es hat unter anderem auch die neue Bibliothek von Alexandria und die norwegische Botschaft in Berlin entworfen.

Die Fassade des Opernhauses besteht zu 90 Prozent aus weißem Carrara-Marmor und zu zehn Prozent aus norwegischem Granit. Für die üppige Verwendung des italienischen Steins bekam Snøhetta im eigenen Land Schelte – Hauptargument waren die damit verbundenen hohen Kosten. Im Hintergrund hat aber auch eine Rolle gespielt, dass es die stolzen Norweger lieber gesehen hätten, wenn einheimisches Material verwendet worden wäre. Von Anfang an sollte die Oper ein „demokratisches“ Gebäude sein, das die Menschen miteinbezieht. Es sollte nicht nur ein Haus der Kunst – für Opern und Konzerte – werden, sondern eines, das für jedermann zugänglich ist. Und das ist es auch: Die Dachkonstruktion ist begehbar und dient als Aussichts- und Sonnenplattform. Das Opernrestaurant steht nicht nur Konzertbesuchern offen, sondern auch Gästen von „draußen.“ Wer kein Ticket für eine Aufführung besitzt, hat dennoch Zutritt zum enorm hohen, riesigen Foyer.

Zum Konzept gehört auch, dass die Kunst bereits vor dem Gebäude beginnt. So erhebt sich im Hafenbecken vor der Oper eine große weiße Skulptur der in Berlin lebenden italienischen Künstlerin Monica Bonvicini aus dem Wasser. Das Kunstwerk aus Glas und Stahl ist von den aufgetürmten Eismassen auf dem Gemälde „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich inspiriert. Ebenfalls einem deutschen Vorbild ist der Große Saal des Opernhauses nachempfunden: Er gleicht in Form und Größe dem der Semperoper in Dresden.

Pianos Kunsttempel. Ein zweiter Kulturbau wurde im September 2012 in Oslo eröffnet, das Astrup Fearnley Museum für Moderne Kunst. Das Konzept des Gebäudes ähnelt dem der Oper. Auch hier kommt die Kunst dem Besucher sozusagen entgegen. Die Skulpturen auf der Grasfläche vor dem Haus holen den Kunstinteressierten gewissermaßen ab und weisen ihm den Weg zum Eingang. Dabei unterstützt die Natur die Architektur. Das Museum liegt nämlich in einer der schönsten Ecken Oslos, am Ende einer Landspitze mit Blick auf das Rathaus und die Festung Akershus. Es besteht aus zwei Gebäuden, die wie die Oper direkt am Meer stehen und voneinander durch einen Kanal getrennt und durch eine Brücke miteinander verbunden sind. Ein wenig fühlt man sich an Venedig erinnert. Und das mag nicht einmal ein Zufall sein, kommt doch der Architekt, der hinter dem Bau steht, aus Italien. Renzo Piano, der als Planer u. a. für den Bau von The Shard in London verantwortlich war, dem unlängst eröffneten höchsten Wolkenkratzer Europas, hat den Zugang zum Museum als „organisches Labyrinth“ strukturiert.

Die hohen Innenräume des Museums durchstrahlt helles Licht, das durch große Glasfronten und ein Glasdach ins Innere dringt. Piano sagt dazu: „In diesem Teil der Welt muss man das Licht lieben, man muss es einfangen.“ Und weiter: „Es ist schön, wenn man Kunst mit natürlichem Licht beleuchtet. Das Licht ändert sich im Tagesverlauf, und das ist eine Unvollkommenheit, die schön ist.“ Das neu eröffnete Astrup Fearnley Museum lädt zu regelmäßigen Wechselausstellungen ein und bietet Skulpturen, Installationen und Gemälden der Großen der modernen Kunst eine permanente Heimat – u. a. werden hier Werke von Andy Warhol, Damien Hirst, Jeff Koons, Bruce Nauman und Robert Gober gezeigt.

Am Stadtrand von Oslo entsteht gegenwärtig in dem ehemaligen Industriegebiet „Vulkan“ ein neuer Stadtteil, dessen Bauherren einen zukunftsweisenden städteplanerischen Ansatz verfolgen. Das Bauvorhaben steht unter dem Motto „Andere Gedanken erfordern anderen Raum“ und setzt vor allem auf moderne Formen und nachhaltige Bauweise. Es soll ein Stadtteil entstehen, dessen Gebäude den strengsten Kriterien der Energieeffizienz Rechnung tragen, gleichzeitig aber auch höchsten Designansprüchen genügen. Gleichsam als Symbol dafür steht das Bellonahaus, das Bürogebäude der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona. Das markante Gebäude mit der großen Glasfront ist mit Sonnenkollektoren ausgestattet und benötigt nur ein Drittel der Energie, die für den Betrieb eines vergleichbaren Bürogebäudes erforderlich wäre. Hauptanziehungspunkt des Vulkan-Viertels ist aber die im Oktober 2012 eröffnete Markthalle, die in einem renovierten Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert  untergebracht ist. Passend zum Image des neuen Stadtteils werden dort vor allem regionale Lebensmittel aus ökologischem Anbau verkauft.

Finnische Designkultur. Länder- und Szenenwechsel: Auch ein bevölkerungsarmes Agrarland wie Finnland hat sich nämlich eine Sonderstellung in der Architektur und vor allem auch im Design erobert. Dafür war vor allem die nationalromantische Periode zwischen 1880 und 1910 verantwortlich, eine Zeit, in der sich erstmals ein eigenständiger finnischer Kunststil entwickelte. In Finnland spricht man noch heute vom „Goldenen Zeitalter“. Damals begann sich das Land, das noch unter russischer Herrschaft stand, auf seine eigenen Wurzeln zu besinnen. Finnische Künstler griffen Elemente des europäischen Jugendstils auf und schufen daraus – unter dem Einfluss karelischer Tradition und vor allem des Nationalepos Kalevala – eine eigene finnische Formensprache. Exemplarisch lässt sich die Kunst der Nationalromantik in Hvitträsk bei Helsinki nachempfinden, wo die damals führenden Architekten Herman Gesellius, Eliel Saarinen und Armas Lindgren ein gemeinsames Wohnhaus und Atelier errichteten.

Nationalheld. Der berühmteste finnische Architekt ist Alvar Aalto († 1976), der mit seinen funktionalistischen „organischen“ Bauwerken weltweit für Furore sorgte. Sein bekanntester Bau ist die Finlandia Halle in Helsinki. Nirgends aber stehen so viel Aalto-Gebäude auf engem Raum wie in Jyväskylä, seinem Geburtsort. Nur konsequent, dass hier dem Architekten ein eigenes Museum gewidmet ist. Aalto ist aber nicht nur als Architekt bekannt, er zählt auch zu den größten Designern weltweit. Seine berühmtesten Entwürfe, der dreibeinige Hocker Nr. 60 von 1933 sowie die Aalto-Vase von 1936, sind noch heute Verkaufsschlager. Die 1935 für die Vermarktung der Schöpfungen Aaltos gegründete Firma Artek leistete Pionierarbeit im Bereich Inneneinrichtung. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit neuzeitlichen Möbeln, die an das moderne Lebensgefühl appellierten, Alltagsästhetik ins finnische Heim zu bringen.

Der endgültige Durchbruch gelang finnischen Designern auf der Mailänder Designausstellung Triennale 1951, als Finnland sechsmal den Grand Prix gewann. Der Erfolg machte finnisches Design und vor allem seine Galionsfiguren Wirkkala, Sarpaneva und Franck rasch international bekannt. In jener Zeit entstand eine Reihe von Designklassikern, die immer noch hergestellt und nachgefragt werden.

Heute sind finnisches Design und finnische Mode Markenbegriffe. Egal, ob Stoff, Schmuck, Keramik, Möbel oder Glas – wer den neuesten Trends folgt, wird schnell auf finnische Künstler und deren Produkte stoßen. Schmuck von Aarikka oder Kalevala, Möbel von Artek, Teppiche von Hanna Korvela, Stoffe und Küchentextilien von Lapuan Kankurit, Glas, Porzellan, Heimtextilien und Mode von Marimekko, Lampen von Secto, Glas von Iittala, Bestecke und Messer von Fiskars – die Liste finnischer Designprodukte ist unendlich lang. Und auch in der Modewelt haben sich mittlerweile finnische Künstler einen Namen gemacht. Ivana Helsinki, das Label von Paola Suhonen, wurde bei der Pariser Modewoche 2008 als erstes nordisches Modehaus im offiziellen Kalender gelistet. Viele der Reichen und Schönen kleiden sich inzwischen von Kopf bis Fuß in finnische Designerkleidung – etwa in Pumps von Minna Parikka oder in Cocktailkleider von Tiia Vanhatapios. Die Schuhkollektion von Hanna Sarén erlangte spätestens dann internationalen Bekanntheitsgrad, als Sarah Jessica Parker in „Sex and the City“ mit Holzschuhen von Sarén zu sehen war.

Lässig. Im Winter Ski fahren und langlaufen im Stadtgebiet, im Sommer baden im Oslofjord und abhängen in den Szenevierteln Grünerløkka und Aker Brygge sowie Tjuvholmen am Hafen. Für Oslo sollte man sich unbedingt mindestens zwei Tage Zeit nehmen, allein schon wegen der zahlreichen Museen. Anreise: Wien–Oslo–Wien direkt z. B. für 206 Euro mit Germanwings oder per Fähre mit Color Line von Kiel nach Oslo und retour. Tipp: Am Wochenende sind die Hotels günstiger als werktags. Infos: www.ruefa.at, Ruefa Bahn&Fähren Center, 01/503 0020-10,www.faehren.at

Süßlich. Mitbringsel-Musts sind tørrfisk, meerluftgetrockneter Dorsch oder Klippfisch, Linie Aqavit von Arcus und Braunkäse, etwa die Sorte Gjetost. Brunost (Braunkäse) entsteht aus lange gekochter Molke, deren Milchzucker karamellisiert. Der Käse ist fest, dicht und passt am besten zu Weißbrot.

Herzig. Trolle bevölkern ganz Skandinavien – und sei es nur als Schlüsselanhänger. www.henning.no/troll/index.html

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