Straßenbahnen: Die sanften Linien im Stadtplan

Das Stadtbild zeichnen auch die Straßenbahnen mit. Die Designer und Verkehrsplaner ziehen mit ihnen Spuren der Veränderung durch die urbanen Räume.

Durch die Räume fahren Räume. Früher waren ihre Böden aus Holz, ihre Sitze auch, die Haltegriffe aus Leder, es roch nach Schmiere. Heute sind die Räume extrasaubersuper, abweisend gegen Dreck und Vandalen. „Dafür wirken sie ästhetisch manchmal wie Kühlschränke von innen“, sagt Peter Döllmann. Er selbst designt mit seinem Team das, was er „zyklisch bewegte Stadtmöblierung“ nennt. Aber auch die Straßenbahnen selbst sind ja so etwas wie Mitgestalter: Jede Straßenbahnlinie zeichnet nämlich das Stadtbild. Prägnanter, als etwa Poller oder Parkbänke das könnten. „Straßenbahnen ziehen unglaubliche Aufmerksamkeit auf sich. Allein dadurch, dass sie sich bewegen“, meint Döllmann. Die Werbeagenturen würden deshalb auch am liebsten ihre Grafikdesigns von den Straßenbahnen durch die Stadt chauffieren lassen. Der Fahrgastbeirat in Wien etwa sah das nicht so gern. Und blickt jetzt wieder ungehindert hinaus in den Stadtraum, statt auf Klebefolie zu starren.

Doch Straßenbahnen gestalten das Stadtbild nicht nur in jenem Moment, in dem sie vorbeifahren. Ganze Spuren der Veränderung und Erneuerung ziehen sie inzwischen quer durch Europas Städte, von Edinburgh bis ins französische Tours: „Vor allem in Frankreich werden mit dem Bau von Straßenbahnlinien ganze Straßenzüge und -räume neu entwickelt und revitalisiert“, erzählt Harald Jahn. Vieles, was er und andere über Straßenbahnen, ihr Design und ihre urbane Wirkkraft wissen, teilt er auf seinem Forum tramway.at mit. Etwa, dass Schienen im Asphalt wie Reißverschlüsse im Grätzel wirken können, zusammenwachsen lassen, was Straßen mit Autoverkehr eher trennen. Sogar Stadt und Umland proben mit Straßenbahn-konzepten inzwischen den fließenden, sinnvollen Übergang. Wie in Gmunden in Oberösterreich etwa.

Holzklasse. In der kleinen Stadt am Traunsee fährt seit 120 Jahren eine Straßenbahn. Jetzt entwirft das Büro von Peter Döllmann gerade die „Stadt Regio Tram“, die sich bis nach Vorchdorf ziehen soll. In diesem Projekt darf sich auch die Innenraumgestaltung innovativ zeigen: Döllmann denkt an neue Sitzlayouts, an neue Möglichkeiten, die lange „Wurst“, die Züge nun mal sind, sinnvoll zu zonieren. Jene, die pendeln müssen und jene, die nur kurz mitfahren, bekommen ihre eigenen Komfortzonen. Auch Holz darf als gestalterisches Element wieder zurück in die Straßenbahngarnituren. Und Fahrräder vielleicht zum ersten Mal überhaupt hinein. „Es geht ja bei den Konzepten auch um Mobilität an sich“, erklärt Döllmann, „da stellt sich die Frage: Lässt man die Räder an der Haltestelle oder nimmt man sie mit?“ Auch das Licht im Innenraum könnte endlich dynamisch werden, sagt Döllmann. In den meisten Straßenbahnen der Welt reagiert es bislang kaum auf Wetter, Tunnels oder Tageszeit.

Bei allem, was Designer auf Schiene schicken, fahren auch Dutzende Auflagen mit. Brandschutz. Sicherheit. Inklusion. Oder Resistenz gegen ­Vandalismus. Obwohl: „Untersuchungen zeigen, dass hochwertige Gestaltung die Anfälligkeit für Vandalismus verringert“, sagt Döllmann. Auch das Gewicht zählt zu den Schrauben, mit denen die Auftraggeber das Korsett für die Gestalter enger drehen. „Vor allem im Material­bereich haben wir deshalb in den letzten Jahren ausgiebig recherchiert“, sagt Döllmann. Es muss nicht alles Plastik sein, was man außer den Fahrgästen auf die Reise schickt: In Linz etwa, mit Modellen des Herstellers ­Bombardier, transportieren Straßenbahnen wieder ­sensorische Qualitäten: in Form von Echtleder und Holz bei den Sitzen. Nicht nur positive Gefühle oder haptische Erfahrungen soll Design auslösen. Sondern auch effiziente Abläufe: „Dass die Menschen etwa in den Wagen nachrücken, kann man auch über das Design steuern“, meint Döllmann.

Linienführung. Straßenbahnen wirken also auch psychologisch. Ihre Schienen allein sind verlässliche Zeichen, wie es Rauch etwa für Feuer ist: Da kommt etwas, wenn auch nur im Intervall. Das gibt den Menschen, die befördert werden wollen, Sicherheit. Und diese Sicherheit erwidern sie mit Gefühl: Die Wiener etwa hängen an der Straßenbahn. Dem D-Wagen das D wegnehmen? Keine Chance. Der Linie 13, die quer durch die Innenstadt gefahren ist, weinen ohnehin alle nach. Besonders die, die sich jetzt in den Bus, der sie ersetzt, zwängen müssen. Ein Fauxpas aus auto­verrückten Zeiten. Heute hat Wien noch immer das fünftgrößte Straßenbahnnetz ­­der Welt mit 222 Kilometern. Und es wächst ­wieder, vor allem dort, wo Wien wächst. Weil ­Verkehrs- und Stadtplaner wiederent­decken, wie gut Straßenbahnen den Städten tun. Die Einkaufsstraßen freuen sich auch, dass sie einen eigenen Zubringerdienst haben. Und die Fahrgäste freuen sich, dass sie zum Schaufensterbummel nicht einmal mehr aussteigen müssen. Ein bisschen typischer für Wien könnten die Modelle, die heute verkehren, sein, meint Harald Jahn. Zumindest dem Aussehen nach. Die alten Wiener Bim-Sitzschalen aus Pressholz sind beinahe schon Ikonen, wenn auch meist auf dem Sperrmüll zu finden. Die neuen aus Plastik haben kaum das Zeug dazu. Aus Wien kommen die aktuellen Nieder­flur-straßenbahnen trotzdem, aus Simmering, wo das Unternehmen Siemens sie baut. Andere wiederum fahren von Wien aus in die ganze Welt. Mit dem Tieflader. Oder gar mit dem Schiff bis an die Gold Coast von Australien. Wien Donaustadt ist ihr Heimathafen, wo Bombardier ein Light-Rail-Innovationszentrum unterhält.

Stadtidentität. Auch nach Marseille sind von hier aus Straßenbahnen schon losgefahren. In einem Design, das auch Jachten gut stehen würde und das die Identität der Stadt in maritimen Blautönen widerspiegelt. Und überhaupt: In Frankreich folgen die Straßenbahnen gern einer Gestaltungslinie, die stadttypische Merkmale abbildet, erzählt Harald Jahn: „Es muss ja nicht gleich wie in Reims sein, wo sich sogar ein Sektglas im Außendesign abzeichnet.“

In der Stadt Tours etwa reflektiert die Chromoberfläche der Straßenbahnen nicht nur die Loire und die restliche Stadtlandschaft, sondern auch ein ganzheitliches Designverständnis. Das reicht von der Gestaltung des Pflasters in den Stationen bis zu den Jingles, die sie den Fahrgästen ankündigen. „In Frankreich haben die meisten ­Straßenbahnen etwas Stadttypisches“, sagt Jahn. Sie tragen die Charakter­züge der Stadt. Oder zumindest die ­Porträts ihrer Charakterköpfe: Wie in Besançon etwa, wo die Straßenbahn historische Persönlichkeiten durch die Stadt fährt.

Auch dort, wo die Stadt zum Land ausläuft, könnten Straßenbahnkonzepte, neu gedacht, durch staugeplagte Nadelöhre schlüpfen. Wie ein Projekt im Süden Wiens zeigt: Dort, wo Wienerwald und Weinberge sich treffen, in Perchtoldsdorf, hat Gemeinderat Christian Apl die „Tram on Demand“ konzeptiv ausgeklügelt. Sie kommt, wenn man sie braucht, wie ein horizontaler Aufzug, ohne Fahrer, dafür mit Kabinen unterschiedlicher Größe, elektrisch betrieben. Sie soll Wien mit Mödling verbinden, wie früher die Straßenbahnlinie 360, aber auch Kaltenleutgeben besser erschließen, dort hin, ins enge Wienerwaldtal, werden in den nächsten Jahren noch mehr Menschen ziehen.

Zuerst soll ein Forschungsprojekt auf Schiene gehen, das Karin Mairitsch koordiniert. Auf einer Strecke, die ursprünglich 1883 gelegt und vor ein paar Jahren saniert wurde, der Kaltenleutgebner Bahn, soll sich in Sachen „schienengebundener Mobilität“ etwas bewegen, in einem „Mobilitäts­labor“, das Forscher und Kooperationspartner mit ihren Erkenntnissen und Studien füttern. Nach einem Testbetrieb könnte die „Tram on Demand“ schließlich den immer dichteren Süden Wiens von Rodaun über Perchtoldsdorf nach ­Mödling nachhaltig entlasten. 

Tip:

Harald Jahn beschreibt im Buch die „Zukunft der Städte“, wie französische Städte sich mit Straßenbahnen gestalterisch neu definieren. Mehr Info unter www.tramway.at

Tram on Demand: Hier kann man das Projekt mitverfolgen: tramondemand.wordpress.com

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