Design aus der Versenkung

(C) Vitra Design Museum, Julien Lanoo
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Auf dem Vitra Design Campus in Weil am Rhein gewähren das neue Schaudepot und dessen Architektur neue Einblicke in die Gestaltung

Ein Haus allein, das wäre zu wenig, um ein Architekturmuseum zu sein. Schließlich hätte es sonst nur ein einziges, nur sich selbst als Exponat. Der Vitra Design Campus in Weil am Rhein ist hingegen längst zum Ensemble, zum Freilichtarchitekturmuseum geraten. Verschiedene Positionen, verschiedene architektonische Ansätze stehen hier nebeneinander und sich gegenüber. Manche Gebäude hüllen die Produktionsanlagen ein, auf denen die Designmöbel von Vitra entstehen. Andere beherbergen die Welt drumherum, den ästhetischen, kulturell konnotierten Gestaltungslifestyle. Auch in Form und Funktion des Vitra-Design-Museums, das bislang stets spektakuläre Wechselaustellungen gezeigt hat.
Jetzt tritt die riesige Sammlung des Museums dauerhaft und sprichwörtlich zutage: im Schaudepot, dem jüngsten Gebäude auf dem Vitra-Gelände, entworfen vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron. Namhafte Architekten wie Frank Gehry oder Tadao Andō haben hier in Weil am Rhein ihre Signature genauso wie ihr Architekturverständnis in Form von Gebäuden hinterlassen, den Vitra Design Campus als Experimentierfeld genutzt, das ihnen vor allem der CEO des Unternehmens, Rolf Fehlbaum, bot. Hier durfte Zaha Hadid ihre ziemlich schräg vom Mainstream abzweigenden Ideen zum ersten Mal umsetzen, in Form der Feuerwache. In unmittelbarer Nähe sind auch Jean Prouvés berühmte Tankstelle aus den 1950er-Jahren oder der „Dome“ von Buckminster Fuller gelandet. Die Produktionshallen stammen von Architekt Nicholas Grimshaw, nachdem ein Brand Anfang der 1980er-Jahre die alten Gebäude vernichtet hat. Später kam eine von Álvaro Siza dazu, eine weitere im Jahr 2012 vom Studio SANAA. Der Konferenzpavillion stammt aus dem Atelier von Tadao Andō, das „VitraHaus“ haben Herzog & de Meuron geplant und dafür die prototypische Vorstellung eines Hauses vervielfacht und gestapelt. Die Bushaltestelle gestaltete Jasper Morrison, den Rutschturm der Künstler Carsten Höller. Aber vor allem das Vitra-Design-Museum von Frank Gehry war stets der Mittelpunkt des Geländes, in dem die Auseinandersetzung mit Gestaltung in intelligent kuratierten Ausstellungskontexten gipfelte. Doch die reichhaltige Sammlung des Museums – die blieb den meisten Besuchern bislang verborgen. Deshalb durften nun Herzog & de Meuron ein zweites Mal mit einem Entwurf in Weil am Rhein antreten, um architektonisch Ikonen des Möbeldesigns aus der Versenkung zu holen. Anfang Juni wurde das Schaudepot eröffnet.

Nach außen zeigt sich das neue Gebäude im Ensemble der Architekturperlen verschlossen: Die Klinkerfassade ist fensterlos. Im Inneren hingegen bilden die Fenster den prägnanten konzeptiven Leitfaden des Entwurfs. Ein große Öffnung verbindet den Blick von der Haupthalle ins Untergeschoß. Und von dort wiederum erschließen sich gleich weitere Blicke in die Sammlungsdepots. Die Sichtverbindung spiegelt die Grundidee des Gebäudes wider: Das Schaudepot bringt die Sammlung des Museums, die hauptsächlich unterirdisch verwahrt wurde, auf eine oberirdische kontinuierlich bespielte Präsentationsfläche.

Möbel als Zeitzeugen. Der Direktor des Vitra-Design-Museums, Mateo Kries, beschreibt die Architektur von Herzog & de Meuron als „eine Mischung aus Lagerästhetik und Sakralbau“. Für ihn war es architektonisch die einzig richtige Geste für die Sammlung: „Sie zeigt, dass es hier um ein Depot geht, aber gleichzeitig auch, dass hier etwas sehr Wertvolles aufbewahrt wird.“ Bislang wurden die Objekte aus der Sammlung – fast 7000 Möbel, davon 1000 Leuchten – immer wieder zu neuen Austellungskontexten und -themen arrangiert, danach verschwanden sie wieder aus dem Blickfeld ins Depot. Auch zahlreiche Archive und Nachlässe wie jene von Charles und Ray Eames, Verner Panton sowie Alexander Girard zählen zur Sammlung. Nun zeigt eine Dauerausstellung anhand von 430 Beispielen des modernen Möbeldesigns von 1800 bis heute, welche gesellschaftlichen und technologischen Hintergründe sich in Formen, Materialien und Konzepten von Möbeln abbilden. „Wir verdoppeln damit unsere öffentlichen Flächen von einem Tag auf den anderen. In Zukunft haben wir acht Wechselausstellungen und das Depot für unsere Besucher anzubieten“, sagt Kries. Darüber hinaus bietet das neue Schaudepot auch Einblicke in ein „Materiallabor“ sowie in die Restaurierungswerkstatt und in die Büros der Mitarbeiter. „Denn das Schaudepot soll nicht nur eine ,Hitparade‘ von 430 Objekten sein, sondern ein Ort, der auf vielfältige Weise Einblick in die Bedeutung von und den Umgang mit einer Sammlung gibt. Es zeigt, welche Geschichten hinter den Objekten stehen, aber auch, wie wir diese Geschichten erforschen und sie vermitteln.“

Frühe Bugholzmöbel gehören genauso zu den ausgestellten Objekten wie Ikonen der klassischen Moderne von Le Corbusier, Alvar Aalto und Gerit Rietveld. Die Auswahl der gezeigten Objekte erklärt Kries so: „Es gibt natürlich einen Kanon der etwa 50 bis 100 wirklichen Ikonen des modernen Möbeldesigns. Daneben wollten wir aber auch Stücke integrieren, die selten und ungesehen sind.“ Und noch andere Motive waren ausschlaggebend bei der Selektion: „Wir wollten einerseits auch zeigen, wie Designer in allen Epochen nach dem praktischen und oft auch kostengünstigen Alltagsmöbel gesucht haben. Und andererseits die Experimente mit neuen Materialien, Formen und Technologien, die für den Fortschritt des Designs nicht minder wichtig waren.“

Die wichtigsten Repräsentanten und Epochen sollen in der Dauerausstellung ein schlüssiges Gesamtbild entlang der Zeitachse der Designgeschichte zeichnen. „Ikonische Möbel sind zum einen Zeugen, die ihre Zeit widerspiegeln, oft gehen sie aber auch über diese Zeitgebundenheit hinaus und wirken nach Jahrzehnten noch neu, überraschend und zeitgenössisch“, sagt Kries. Den Stahlrohrsessel B3 von 1925 von Marcel Breuer führt er als Beispiel an: Zum einen zeige das Stück das Interesse an Maschinenästhetik und Materialien der damaligen Industriegesellschaft. „Zum anderen ist er ein völlig zeitloser Entwurf.“ 

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