Eigensinnig: Möbel maßschneidern

Zu viel vom Gleichen: So einzigartig wie sie selbst sehen die Menschen ihre Möbel am liebsten. Beim Maßschneidern helfen der Industrie neue Technologien und das Internet.

Möbel für alle. Schöner Gedanke. Aber wirklich für jeden sollen sie dann doch auch wieder nicht sein. Wer Möbel sucht, sucht die Einzigartigkeit. Und das sogar auch in der indus­triellen Produktion. Viele Möbelhersteller tun den Konsumenten inzwischen den Gefallen – eine Dienstleistung, die für handwerkliche Manufakturen seit jeher selbstverständlich ist. Dazu perfektionieren neue Unternehmen die Individualisierung mit neuen Druck- und Fertigungstechnologien. „Mass-Customization“ sagen die Marketing-Manager in ihrem typischen Sprech dazu. Dinge werden für die Masse produziert, aber an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst. Und die Konsumenten werden zu Ko-Produzenten bei der „Co-Creation“, wenn sie dann selbst mitreden dürfen bei der Gestaltung.

Eigensinnig Moebel massschneidern
Eigensinnig Moebel massschneidern(c) beigestellt

Seit Jahren schon können Konsumenten ihre eigenen Müeslis im Internet zusammenstellen, die Turnschuhe selbst gestalten und das Handycover selbst bemalen. Der Interieurbereich galt jedoch aufgrund der komplexen Herstellungsprozesse lange als wenig geeignet. Doch seit der diesjährigen Kölner Möbelmesse ist „Customization“ endgültig auch im Wohnbereich angekommen: Individualisierung wurde als ein maßgeblicher Zukunftstrend ausgerufen.

Die Kunst des Einzelstücks. Mitsprachemöglichkeit bei der Möbelgestaltung – da kann das Internet all seine Vorteile als offenes Ohr ausspielen: 2010 gründeten zwei Kölnerinnen das Unternehmen Droom/Design your Room. Ihr Fokus liegt auf den kleinen, individuellen Veränderungen, die aus dem scheinbar Gleichen plötzlich eine individuelle Besonderheit werden lassen. Droom „bietet Blanko-Möbel“ wie Lampenschirme, Tische, Sitzelemente, Raumteiler, Tapeten und Wandbilder an, die im Digitaldruckverfahren dem persönlichen Geschmack angepasst werden können. Und das funktioniert über die Benutzeroberfläche des Droom-Konfigurators auf der Website. Der Kunde kann zur Gestaltung entweder eigene Fotos oder Grafiken hochladen oder aus dem facettenreichen Katalog an Droom-Motiven schöpfen, bei dem insbesondere Liebhaber von Pastell- und Retromustern auf ihre Kosten kommen.

Muster sind auch die Leidenschaft und das Geschäft der Sisters Gulassa, die zwischen Kalifornien und Wien Labels, Geschäften, Lokalen und Privatkunden dabei behilflich sind, ihren Produkten, Showrooms, Gaststätten und Wohnungen einen individuellen Stempel „aufzudrucken“. Sisters Gulassa verfügen über eine riesige, aus der ganzen Welt zusammengetragene Musterpalette. Jedes einzelne, so auch der Top-Seller „Lady Murazaki“, wird an kleine, große, Business- oder Kuschelräume nochmals individuell angepasst.

Und was sich worauf in welcher Form drucken lässt, das lotet auch Lukas Hernfeld für seine Kunden in der Print-Boutique Peryd Shou in der Wiener Zollergasse aus. Hier werden nicht nur Lampenschirme, Tapeten und Kissen, sondern auch Teller, Tassen und sogar Fliesen bedruckt. Man betritt die Boutique entweder mit einem fertigen Konzept auf USB-Stick, oder Peryd Shou hilft dabei, Ideen visuell fertig auszubrüten. Online-Tool gibt es keines, der Shop bietet ausreichend schräg-schrill-extravagante Inspiration.

Auf geschlechtsspezifisches Entscheidungsverhalten beim Einkaufen hat sich der niederländische Anbieter Spoinq mit seinen individualisierbaren Sesseln und Tischen aus Naturmaterialien im robusten Industrial-Look spezialisiert. Männliche Kunden, so die Annahme, bevorzugen schnelle Entscheidungen und legen wenig Wert auf große Auswahl. Frauen hingegen lieben es, in Farb- und Stoffwelten einzutauchen, und investieren viel Zeit in den persönlichen Look. Um die Designs möglichst frisch zu halten, arbeitet Spoinq jedes Jahr mit einem neuen Designer zusammen, aktuell mit Gerard van den Berg.

Abweichen von der Norm. Nicht nur Start-up-Unternehmen, auch etablierte Protagonisten der Design- und Interieurwelt setzen auf den Trend der Individualisierung. High-End-Bodenhersteller Parador hat mit „Identity“ eine Laminat-Linie entwickelt, deren Dekor völlig frei gestaltet werden kann. Mithilfe eines Computerprogramms verwandelt sich Laminat wahlweise in maurischen Palastboden, begehbaren Flimmerbildschirm, psychedelischen Untergrund oder in etwas ganz anderes – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Mit dem „Identity“-Konfigurationstool gestalteten auch zwölf Stardesigner und –architekten, unter ihnen Zaha Hadid, Jean Nouvel, Karim Rashid oder Ross Lovegrove, jeweils zwei Laminat-Muster für Parador.

Eigensinnig Moebel massschneidern
Eigensinnig Moebel massschneidern(c) beigestellt

Bei der steirischen Parkettenmanufaktur Deisl werden auf Wunsch des Kunden schon einmal alte Ställe abgetragen und zu Parkett verarbeitet oder neue Parketten beschädigt, um sie bewusst alt aussehen zu lassen. Bei Deisl, die ausschließlich hochwertige Massivholzdielen produzieren, kann der Kunde sowohl frei über die Behandlung des gewünschten Holzes entscheiden als auch Längen und Breiten der Dielen bestimmen. Eine Besonderheit für einen Boden, der sich wie ein Fertigparkett verlegen lässt. Seit Neuestem werden Parkettböden in der Liezener Manufaktur auch mit echten Swarovski-Kristallen versetzt. Bei Deisl läuft nichts übers Internet, jede Bestellung inner- oder außerhalb Österreichs geht über den Tisch des Chefs.
Eine gediegene (und altbekannte) Version des Customizing ist natürlich die klassische Sonderanfertigung in einer Manufaktur, zum Beispiel beim österreichischen Hersteller Wittmann. Einige Kunden würden einen Wittmann-Sessel lieber in einem anderen, einem von ihnen ausgewählten Bezug sehen – in Österreich wurde dabei Kuhfell übrigens mehr als einmal gewünscht. Sonderserien werden zwar hauptsächlich für die Hotellerie oder andere Aufträge im Objektbereich nach Entwurf eines Architekten oder Interior-Designers umgesetzt, für Jachtausstattungen wurden bei Wittmann aber auch schon eckig konzipierte Sofas rund gebaut.

Individuell konfiguriert.
Eine beliebte Version des Customizing im deutschsprachigen Raum sind individualisierte Massivholzmöbel, zum Beispiel das 2010 noch als Start-up gegründete Hamburger Unternehmen Massivkonzept, das heute als Partner des Versandhauses Otto fungiert. Massivkonzept fertigt zu einem relativ geringen Preis Regale, Tische, Schränke, Stühle aus Vollholz und seit Neuestem auch Sofas, die mithilfe eines Online-Konfigurators sehr anschaulich den individuellen Zuschnitt bekommen. Die Designs sind eher einfach, lassen aber alle erdenklichen Maße zu.

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