Architektur: Große Raum-Gefühle

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Draußen vor der Tür ist noch mehr Fläche für Gestaltung: Die Architekten geben den Straßen und Plätzen Wände, Böden und manchmal sogar Dächer.

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Straßen und Plätze sind gar nicht so zweidimensional wie sie manchmal auf dem Stadtplan scheinen. Sie ragen ja auch tatsächlich in die Höhe, die Hausfassaden sind ihre Wände. In die Breite gehen sie auch, und vor allem Straßen können sich auch ziemlich in die Länge ziehen. Und manchmal, selten zwar, kriegen sie sogar von Stadtplanern und Architekten ein Dach verpasst.

Da können sich Bauwerke in den Städten noch so introvertiert auf sich selbst und ihr Inneres konzentrieren, ihre Architekten sind implizit auch die Mitgestalter ganz anderer Räume: jener, die zwischen den Häusern übrig bleiben. Das zeigen auch jene internationalen Beispiele, die auf der Finalisten-Liste des renommierten Mies-van-der-Rohe-Awards 2013 ganz oben standen. Die Ausstellung „Europas beste Bauten“ zeigt sie und ihre Qualitäten bis Mitte September im Architekturzentrum Wien. 

Straßenraum läuft gern ins Unendliche aus, Straßenflucht sagt man ja auch. Als Räume erkennt man sie besser, wenn sie Anfang und Ende haben, womöglich abgeschlossen sind, vielleicht sogar oben zum Himmel hin – von einem Dach. Die Römer, später auch die Italiener, überwölbten, überspannten und überdachten gern die Räume, die für alle da waren, die öffentlichen. In Bologna könnte man noch heute fast 32 Kilometer auf der Straße gehen, ohne nass zu werden. Die „Portici“, die Kolonnaden, bewahren vor dem unangenehmsten Raumgefühl, gleich nach der Klaustrophobie, – dem Exponiertsein. Dem Wetter, den Blicken. Wo sich Straßen nicht selbst beschatten, weil sie nicht eng genug sind, oder wo man Dächern nur Häusern zumuten wollte, spannen sich manchmal noch Segel, wie in Spanien oder der Türkei. Ausnahmsweise überwölben auch in Wien ein paar Membranen, die zwischen 28 Stahlstützen hängen, ein Stück Stadtraum: am Urban-Loritz-Platz am Gürtel. Idee und Entwurf dazu hatte Architektin Silja Tillner. In Andalusien hält ein Hochleistungssuperkleber ein vielfach spektakuläreres Projekt und ein paar tausend Quadratmeter öffentlichen Raum zusammen.

Schattenplatz. In Sevilla brennt die Sonne. Gut, wenn der Sonnenschirm nicht weit ist. Ein gigantischer. Der Metropol Parasol beschattet einen Stadtraum mitten in der Stadt, der vorher öder Parkplatz war und fast ödes Investorenprojekt geworden wäre. Zum Glück stießen die Bauarbeiter beim Graben des Fundaments auf römische Reste aus Zeiten, in denen öffentliche Plätze noch ernst genommen wurden. Die Stadt entschied sich schließlich doch für eine Gruppe Holzpilze, die organisch zu einem Dach zusammengewachsen sind, ein Wettbewerbsbeitrag des Berliner Architekturbüros von Jürgen Meyer H. Nun schützt finnische Fichte vor andalusischer Sonne, der Supersuperkleber, der das gepixelte Furnierschichtholz zusammenhält, ist natürlich hitzeresistent. Ein 400 Meter langer Skywalk zieht sich über die Dachlandschaft. Darunter liegen ein Markt, Shops, die römischen Ruinen und einige andere Möglichkeiten für die Sevillanos, sich über den Weg zu laufen.

Der Decke gegenüber liegt traditioneller Weise die Fläche, die im Stadtraum abgeschlossener kaum sein könnte. Nach unten entrinnen? Nur über die Kanalgitter. Der Rest ist versiegelt, verfugt, und wo löchrig, dort längst geflickt. „Straßenbeläge versinnbildlichen den Tiefpunkt des städtischen Milieus“, schrieb einst Architekt Bernhard Rudofsky in seinem Werk „Straßen für Menschen“. Und ja: Keine Fläche wird heute auf der Straße so vernachlässigt wie der Boden. In der Antike haben ihn noch Künstler mit Motiven und Ideen verwöhnt, mehr noch als die Wände sogar, Mosaike wie im italienischen Ostia Antica zeugen davon.

Linienführung. „Dritte Fassade“ wird der  Straßenboden auch genannt, Wertschätzung bekommt er trotzdem kaum. Die einzigen Muster machen heute Kaugummi darauf, nicht die Pflasterer. Dabei fingen sie in Wien auch erst großflächig damit an, als es gar nicht mehr anders ging. Hygienisch vor allem. Und der Morast!

Die Stadt Wien ließ seitdem hunderttausende „Wiener Würfel“ aus den stadteigenen Steinbrüchen schlagen. Gegenwärtig sind jedoch nur noch neun Prozent der Straßen gepflastert. Heute hinterlassen Architekten ein paar Graunuancen hier, wie Clemens Kirsch auf der Kärntnerstraße, eine versteckte Meermetapher dort, wie Boris Podrecca am Praterstern, auf urbanem Boden. Der Großteil des Stadtbodens ist zwar zoniert, doch kaum farblich codiert. Am Wiener Wallensteinplatz sagt roter Klinker zumindest: Hier sollst du sein. Und daneben rotes Granulat zu den Kindern: Hier dürft ihr toben.  

Viel größer und röter sehen die öffentlichen Quadratmeter hingegen in einer Stadt aus, die ihre Straßen ohnehin anders, nämlich fahrradfreundlicher, zoniert: Kopenhagen. Dort liegt im Bezirk Nørrebro ein Stadtraum, der sich früher gar nicht und jetzt vor allem auch über den Boden definiert. Sprichwörtlich ganz neue Linien der Raumgestaltung zogen hier das Architekturbüro BIG, die Landschaftsarchitekten Topotek 1 und die Künstlergruppe Superflex ein. In den roten Bereichen sollen die Aktivitäten, die sportlichen vor allem, den Boden bespielen. In der schwarzen Zone reflektiert die Stadteinrichtung die Diversität des Stadtviertels mit hohem Migrantenanteil. Mit marokkanischem Brunnen, japanischen Kirschbäumen, chinesischen Palmen. Und noch vielen anderen Details und Mobiliar, vom Mülleimer bis zum Kanal­deckel, das man sich aus verschiedensten Kulturkreisen geborgt hat. So ist eine Freiluft-Galerie entstanden, die zeigt, wie Diversität in Städten aussehen kann. Eine Plakette erklärt, wovor man da eigentlich steht oder sitzt. Auch in der anschließenden grünen Zone hat der Stadtraum gestalterisch eine Integrationsaufgabe übernommen, als Begegnungsraum für Einwohner Kopenhagens, die zwar um die Ecke wohnen, aber aus 62 Nationen kommen.

Kristallin.
Kein Raum ohne Wand: Im Stadtraum schauen die Menschen kaum mehr in Gesichter, wenn sie Fassaden betrachten. Obwohl beide zumindest etymologisch verwandt sind. Flache, kühle, glatte Masken sind die meisten Stadtwände heute, dreidimensional, taktil spürbar mit den Augen die wenigsten. Einhüllen wurde zur primären Fassadenfunktion. Staunen machen ist meist künstlerischer Luxus. Wie bei der Harpa in Reykjavík, das Konzertgebäude, das dort steht, wo der Stadtraum endgültig und wirklich aufhört, am Wasser. Das Projekt des dänischen Büros Henning Larsen Architekten hat den Mies-van-der-Rohe-Award im letzten Jahr ge­wonnen. Auch weil sich ein besonderer Künstler um das Vertikale und das Äußere kümmerte: Ólafur Elíasson.
Dreidimensionale, komplexe Geometrien hat er aus Glas geformt, in Stahl gerahmt. Anleihen an sechseckige Basaltsäulen zeichnen sich ab. Und noch ganz andere Analogien, die man problemlos in Island und seiner Klimazone verorten kann. Versteinertes, Erstarrtes und vor allem auch Gefrorenes schimmert dem Betrachter entgegen, lässt die Assoziationen sprudeln wie Geysire. Ein architektonischer Sturzbach des Lichts verbindet das Blau des Himmels mit dem Boden.

Tipp

Europas beste Bauten: Die Preisträger plus Nominierten der letzten Jahre des international renommierten Mies-van-der-Rohe-Awards sind noch bis 15. September im Architekturzentrum Wien im Museumsquartier zu sehen. www.azw.at; www.miesarch.com

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