Handwerker: Außen Dreck und innen Seele

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Möbelhersteller, Marketing, Zukunftsängste und die Handwerker selbst: Sie alle forcieren den Mythos und die Qualität des eigenhändig Produzierten.

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Das riecht nach Sägespänen. Und nach Marketingstrategie. Das schreit nach Retro-Romantisierung und „Früher war alles besser“-Nostalgie. Egal. Denn Design und Handwerk wollen gar nicht mehr ohne einander. Und sie bemerken noch dazu, dass jeder für sich in Zukunft sowieso nicht mehr allzu gut könnte. Schon jetzt hämmern, weben, nähen und trichtern Designer und Möbelhersteller den Dingen fleißig ein, was Menschen nur handwerklichen Produkten zutrauen: eine lange Lebensdauer etwa, die Chance, in Würde zu altern. Überhaupt so etwas wie ästhetische Nachhaltigkeit oder Werte, die bleiben. Wenn auch nur auf dem Dachboden, wo sie im besten Fall die Enkelkinder dereinst entstauben. Sogar „Seele“ finden Menschen plötzlich in leblosen Dingen nicht mehr abwegig, wenn Menschen ihre Energie und ihr Herzblut in der Produktion gleich mitverarbeiten.

Tatsächlich sei die „Liebe“, die Handwerker in ihre Produkte stecken, auch spürbar für die späteren Benutzer, darüber streiten heute nicht einmal mehr die Wahrnehmungspsychologen. Der berühmte amerikanische Soziologe Richard Sennett hat Handwerk so beschrieben: „Es ist Arbeit, der man mit Hingabe nachgeht und sie um ihrer selbst willen gut machen will.“

Der Blick auf die Umsatzzahlen in der Möbelproduktion sollte jedoch nicht allzu verklärt sein. Gerade deshalb findet im Design wieder zusammen, was lange getrennte Wege ging: das akademische und das Erfahrungswissen, der Kopf, der auf die Uni ging, und die Hand, deren Platz die Werkstatt war. Die Möbelhersteller forcieren die Wiedervereinigung genauso wie neue Verbindungen, die alter Techniken mit innovativen Technologien etwa. Auch Initiativen wie etwa der Werkraum Bregenzerwalt versuchen „zu kultivieren, dass Gestalter und Handwerker auf Augenhöhe miteinander Produkte entwickeln“, erklärt Martin Bereuter, Vorstandsmitglied des Vereins Werkraum. Aber: „Auch die Handwerker müssen lernen, die Leistung der Gestalter anzuerkennen.“

Hand und Hirn. Den Dingen, die uns umgeben, merkt man schnell an, wenn sie gleichzeitig gedacht und gemacht werden. Nicht hintereinander. Martin Bereuter kann auch nicht denken, ohne zu machen. Er braucht den permanenten Abgleich mit der Realitätät. Vielleicht ist er deshalb vom Architekturbüro und den 3-D-Visualisierungen zurück in die Welt gewechselt, in der er aufgewachsen ist, in seine Tischlerwerkstatt. Dort produziert er seine eigenen und die Entwürfe anderer. „Wenn ich eine Idee habe, muss ich sofort in die Werkstatt, um sie auszuprobieren“, erzählt Bereuter. Heute ist er Gestalter und Macher zugleich. Das, was sich viele Designer heute wünschen, die vorn ein „Industrial“ in ihrer Berufsbezeichnung führen. Doch am Anfang, so Bereuter, steht ohnehin stets eine handwerkliche Leistung. Denn vor dem industriellen Prozess, der Serienproduktion, dem weltweiten Vertrieb, kommt der Prototyp. Und dafür braucht man Fertigkeiten, für die sich auch in Wien die Designer heute schon länger umschauen müssen als früher. Wenn sie etwa einen Metalldrücker suchen. Trotz einer lokalen Produktionskultur, um die Berliner Designer ihre Wiener Kollegen beneiden.

Die Vienna Design Week öffnet auch traditionell mit ihren „Passionswegen“ die Türen für die Designer zum Handwerkswissen von Bürstenmacher, Gürtler, Sattler und Co. „Geht es um neue Dinge, ist der Handwerker gefragt“, sagt Bereuter, „denn er kann subjektive Antworten auf ein Problem geben.“

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Antifragilität. Auf den Möbelmessen und in den Showrooms stellen die Hersteller möglichst viel von Tradition und Handwerklichkeit zur Schau. Die Neue Wiener Werkstätte hat sich – später als andere – in den Möbelcluster rund um den Wiener Ring eingereiht. Auch das Unternehmen ist wie andere europäische Design-Labels aus einer kleinen Tischlerei, im steirischen Pöllau, gewachsen. Mit dem Namen hat man sich auch einen hohen Anspruch aufgeladen. Schließlich ist die Wiener Werkstätte Anfang des 20. Jahrhunderts bewusst angetreten gegen den „Riesenstrom der schlechten Massenproduktion“, wie es in einer Broschüre von damals heißt. Die Firma Kapo, die den Markennamen später übernahm, war 1927 gerade einmal 17 Quadratmeter groß, es war die Tischlerwerkstatt des Gründers Karl Polzhofer. Kommoden, Tische, Betten für das Pöllauer Tal, das war sein Universum. Heute hat Kapo 250 Mitarbeiter, viele davon Handwerker, Polsterer, Tischler, die sich eingliedern in die Logik der Serienproduktion, von Fenstern, Türen, Möbeln.

Das handwerkliche Moment sei noch immer spürbar, meint Karl-Hans Polzhofer, der gemeinsam mit seinen Geschwistern Stefan und Karin das Unternehmen heute führt. Auch in der Produktion löst traditionell eine Generation die andere ab. „Der Mensch ist der Faktor“, sagt Polzhofer. Sein Auge, das die Arbeit und das Ergebnis ständig kontrolliert. Aber vor allem auch seine Leidenschaft und sein Anspruch, den Handwerker automatisch mitverarbeiten. „Weil sie die Dinge einfach gut machen wollen“, sagt Polzhofer. Viele Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen ein Leben lang treu, und viele der Möbel werden zu Lebensbegleitern der Konsumenten. Auch weil diese allmählich ihr Konsumparadigma umstellen. Nicht mehr und mehr vom Schlechten, lieber weniger, dafür vom Guten.

Die Neue Wiener Werkstätte streckt auch ihre Antennen aus, um vorzuspüren, was Möbel in Zukunft können müssen. Veränderungen mitmachen, gesellschaftliche wie auch biografische, könnte eine solche Anforderung sein. Das Thema des Design­awards, den das Unternehmen am 27. September im Rahmen der Vienna Design Week vergibt, verrät die Richtung: „Antifragilität“. Das Handwerk könnte dabei helfen, diesen Anspruch einzulösen. Gesucht wurden Möbel, die durch den Gebrauch besser werden, nach dem Motto „aufnutzen statt abnutzen“.

Wissenstransfer. Handwerk wird auch zum Show-Act, wenn etwa ein Mitarbeiter von Poltrona Frau in den Wiener Showroom anreist, um seine Kunst anhand des Klassikers „Chester“ zu demonstrieren. „Intelligenza delle Mani“ heißt die Vorstellung während der Vienna Design Week. Diese Intelligenz gehe ein bisschen unter in Wien, vor lauter „Wir sind ja so eine smarte City“, meint wiederum Designer Andreas Pohancenik. Sein Projekt „Willing & Able“ setzt auf soziale statt auf technische Vernetzung: In einer Lern-Bar geben Senioren ihr handwerkliches Wissen in Workshops weiter an die interessierte Nachbarschaft und Besucher der Vienna Design Week: Kerzenmacher, Tischler, Sattler, Vergolder, Buchdrucker, Färber. 

Tipp

Antifragilität. „Möbel aufnutzen statt abnutzen“ war das Motto des diesjährigen Design Awards der Neuen Wiener Werkstätte. Der Preis wird am Samstag, dem 27. 9., im Kursalon Wien verliehen.
Willing & Able. „Ein sozialer Hub für Wissensaustausch“: Im „So Weit, die Zukunft“ (SWDZ) in der Gärtnergasse 13, 1030 Wien, geben pensionierte Handwerker ihr Wissen weiter. www.viennadesignweek.at

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