Schlafmöbel: Kunstvolles Bettgeflüster

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Was Künstlern zu Schlafmöbeln einfällt und wie sich vom Bett ausgehend theoretisieren lässt, ist bald in Wiener Galerien zu sehen.

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Dass die Wiener Galerien parallel zur Viennafair, wo die meisten mit eigenen Ständen vertreten sind, auch außerhalb der Messe gemeinsame Sache machen und in ihren Ausstellungsräumlichkeiten zur großen stadtumspannenden Themen-Ausstellung laden, hat mittlerweile gute Tradition. „Curated by Vienna“ lautet die Parole, und ausgegeben wird sie, heuer bereits zum sechsten Mal, von der Agentur Departure, Anlaufstelle für die Förderung der Wiener Kreativwirtschaft. Grundidee des Projektes ist die Unterstützung der Wiener Galerienszene bei der internationalen Positionierung und Vermarktung.

Die inhaltliche Hoheit wird dabei jährlich aufs Neue kundigen Fachleuten anvertraut, die jeweils ein Leitthema vorgeben, das in den teilnehmenden Galerien von einem Kurator umgesetzt wird. Die finanzielle Unterstützung für die Galerien gibt oft auch einen Schub in Richtung Experiment und Risikofreude. Und wenn es für die Argumentation nötig ist, wird auch die eine oder andere Museumsleihgabe integriert. Nach einer gewissen Findungsphase und Generalthemen, die inhaltlich viel offen ließen – „Art & Film“ etwa 2010, „East by Southwest“ 2011 oder im vergangenen Jahr „Why paining now?“ – fällt das diesjährige Konzept äußerst unorthodox und speziell aus: „The Century of the Bed“ titelt die Veranstaltung und folgt dabei einem impulsgebenden Essay der spanischen Architektur- und Medientheoretikerin Beatriz Colomina.

Sex war gestern. Ein Schelm, wer dabei nur an das Eine denkt! Anknüpfungspunkte böte zwar vor allem die Kunst des 20. Jahrhunderts mehr als genug; vor allem in den Neunzigern rückten Künstlerinnen wie das britische Enfant terrible Tracey Emin, die Österreicherin Elke Krystufek in ihren wilden Anfängen und, etwas später, die US-Kontext-Künstlerin Andrea Fraser das Bett ins Zentrum einiger spektakulärer Arbeiten.

Doch Sex war im vorigen Jahrhundert. Wohl erweist Colomina mit der Wahl ihres Themas dem berühmtestem Liegemöbel der Stadt – der Couch Sigmund Freuds, auf der die Abgründe der Seele freigelegt wurden – Reverenz. Des Weiteren setzt sie sich mit dem Bett allerdings weder im Sinn eines Ortes von Lust und Begierde auseinander noch betrachtet sie es als Kunst- oder Design-Objekt. Die Theoretikerin sieht es vielmehr als zeitgenössischen Schauplatz der Arbeitswelt und eine neue von mehreren möglichen Schnittstellen – kurzum: als Teil des Home-Offices des 21. Jahrhundert, der die Grenzen zwischen Arbeit und Erholung, aber auch Tag und Nacht verschwimmen lässt. Sie geht dabei von einer „heute wahrscheinlich überholten Schätzung“ des „Wall Street Journals“ aus dem Jahr 2012 aus, wonach 80 Prozent aller jungen New Yorker Berufstätigen regelmäßig vom Bett aus arbeiten würden. „Millionen verstreuter Betten übernehmen die Rolle dichter Bürogebäude“, schreibt Colomina. „Das Boudoir schlägt den Turm. Vernetzte elektronische Techniken haben alle Schranken des im Bett Machbaren überwunden. Es geht aber nicht bloß darum, dass die neuen Medien das Bett-Büro ermöglicht haben. Der Punkt ist vielmehr, dass sie im Hinblick darauf geplant wurden, den hundert Jahre alten Traum häuslicher Konnektivität für Millionen von Menschen Wirklichkeit werden zu lassen.“ Ihr Fazit: „Die Stadt ist ins Bett übersiedelt.“

Im Großen und Ganzen lässt Colomina den Galerien und den von ihnen engagierten Kuratoren, darunter prominente Namen wie Solomon Godeau, Hollein, bei ihren Ausstellungen freie Hand – ganz im Unterschied zu früheren Curated-by-Chefkoordinatoren, die das Gesamtprojekt stets auch künstlerisch mitbegleitet haben.
Die Engführung auf das Bett als bevorzugtem Arbeitsort der Gegenwart, der dank Drahtlos-Technologie und handlicher Mobilgeräte die totale Vernetzung ermöglicht, zugleich aber auch soziale Implikationen wie Isolation oder ein verändertes Kommunikationsverhalten mit sich bringt, fungiert quasi als Filter zur Präzisierung aber auch Differenzierung der Fragestellung in den einzelnen Ausstellungen.

Diffuse Wachzustände. Für die Besucher der insgesamt 21 Ausstellungen wiederum verspricht dies nicht nur ein abwechslungsreiches Flanieren von Galerie zu Galerie, sondern auch ein Flottieren zwischen Assoziationen und Aspekten. So lässt sich etwa Max Hollein bei Thoman vom Jugendstil-Comic „Little Nemo in Slumberland“ inspirieren und arbeitet für seine Interpretation des Bettes als „Symbol des assoziativen, surrealen Denkens und opulenten, kreativen Handelns“ nicht nur mit Werken jüngerer Künstler der Galerie, sondern auch mit Werken österreichischer Klassiker wie Walter Pichler und Hans Hollein. Abigail Solomon-Godeau lotet bei Winter anhand von Werken von Birgit Jürgenssen, Sally Potter, Daniel Eisenberg zum Beispiel die Sphäre der Schlaflosigkeit als einen Moment der Dystopie aus. Die Veränderung der Wahrnehmung durch mobile Technologien wiederum hinterfragt Luca de Pinto in der Galerie König. Bei Schwarzwälder untersucht Philipp Kaiser anhand der Malerei von Rebecca Morris, Caitlin Lonegan und Laura Owens Zusammenhänge zwischen künstlerischer Artikulation und den Grenzbereichen von Schlaf- und Wachzuständen. Unter dem verspielten Titel „A Mouse Drowned in a Honey Pot“ spürt schließlich Magali Arriola bei Martin Janda am Beispiel von Arbeiten etwa von Simon Starling dem Zusammenspiel von Architektur und Kindheitserinnerungen nach. Die Metapher des Prokrustesbetts ist schließlich Ideengeber für die Ausstellung bei Steinek mit prominenten Objekten von Francis Alÿs, Jim Shaw, Kiki Smith und Jana Sterbak.

Tipp

„The Century of the Bed“. Von 3. Oktober bis 8. November in verschiedenen Wiener Galerien, siehe www.curatedby.at

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