Design: Aus der Zeit gefallen

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Modernität ist keine Frage des Alters: Das beweisen diese drei
Designklassiker, die heuer runde Geburtstage feiern.

Es sind Stücke, an denen man sich wider die menschliche (Konsum-) Natur nicht sattsehen kann. Jahrzehntealte Entwürfe, die nichts an Modernität eingebüßt haben. Möbel, die dem Geist der Zeit entsprechen, in der sie entstanden sind und die doch zeitlos geblieben sind. Man kann im Sinn von Paul Watzlawick nicht nicht kommunizieren. Aber man kann beim Kommunizieren offenbar vieles richtig machen. Ron Arads „Bookworm“ von Kartell, Vico Magistrettis Sofa „Maralunga“ von Cassina und Jean Prouvés Stuhl „Standard“ aus dem Hause Vitra sind Möbelstücke, die 2014 Geburtstag feiern. Vor nunmehr 20, 40 und 80 Jahren erdacht, sind sie beliebt wie eh und je, Klassiker für die Wohnräume von gestern, heute und morgen.

Hinterbeine mit Verstärkung

Stuhl „Standard“, Jean Prouvé, 1934

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Bewährt ist seine Grundform bekanntermaßen schon seit Längerem, dennoch ist ein Stuhl nicht ein Stuhl nicht ein Stuhl. Jean Prouvé integrierte die einfache Erkenntnis, dass die Belastung an den hinteren Beinen am größten ist, weil er dort das Gewicht des Oberkörpers aufnehmen muss, in seinen Entwurf. Selbiger entstand vor mittlerweile 80 Jahren. Für die Vorderbeine des Modells „Standard“ setzte der Konstrukteur Stahlrohre ein, während die hinteren Beine als voluminöse Hohlkörper ausgebildet wurden und Sitz und Lehne aus Holz gefertigt sind. Vitra produziert Prouvés Möbel seit dem Jahr 2001 und hat in diesem Rahmen auch den Stuhl Standard neu aufgelegt.

Gemeinsam mit der Familie Prouvé und der niederländischen Designerin Hella Jongerius wurde nicht nur die Farbpalette seiner Entwürfe überarbeitet, sondern das als Designikone geltende Sitzmöbel ist nun auch in einer Kunststoffversion erhältlich. Die einzelnen Teile können in unterschiedlichen Tönen miteinander kombiniert werden. Prouvé, Kind eines Malers und einer Pianistin, war übrigens ausgebildeter Kunstschmied. Als Handwerker entwarf er nur wenige Stücke auf dem Reißbrett – seine Mitarbeiter mussten mit oftmals schemenhaften Skizzen Prototypen bauen und bis zur Serienreife entsprechend oft korrigieren. Das Werk des bekannten Franzosen hat eine große Bandbreite. Die Designpalette reicht vom Brieföffner über Tür- und Fensterbeschläge, Leuchten, Möbel, Fassadenelemente, Fertighäuser, modulare Bausysteme bis hin zu großen Messe- und Ausstellungsbauten.

Ein Faustschlag als Inspiration

„Maralunga“, Vico Magistretti, 1974

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Abba gewann mit „Waterloo“ den Eurovision Song Contest. Ernö Rubik erfand den legendären Würfel. Und Cesare Cassina soll dem Prototypen aus der kreativen Feder von Vico Magistretti kurzerhand einen Faustschlag versetzt haben, weil er seinen extremen Komfortansprüchen nicht ganz gerecht wurde. Die Rückenlehne knickte ein, dem Schöpfer des Sofas gereichte diese Geste zum Geistesblitz: „Richtig, großartig, so schaut es für mich perfekt aus.“ So will es zumindest die Anekdotensammlung.

Inzwischen ist „Maralunga“ mit seinen faltbaren Rückenund Seitenlehnen längst zum Klassiker mutiert und feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag. „Meine Absicht mit ,Maralunga‘ war es“, so Magistretti, „ein Objekt mit einem vertrauten Gefühl zu entwerfen. Warm, bequem und gemütlich. Angelehnt an alte, bequeme Lesesessel.“ Die Funktionsweise mit der zweifach verstellbaren Rückenposition wurde übrigens nach dem Vorbild einer Fahrradkette entwickelt.

Zum Jubiläum präsentiert Cassina eine modernisierte Variante in Stoff und Leder samt neuer Steppnaht. Zudem huldigte man dem Entwurf des Mailänder Architekten aus dem Jahr 1974 in Form eines Projekts an der Designuniversität Ecal in Lausanne, in dessen Rahmen 20 Studenten das Sofa für die Zukunft weiterentwickelt haben. Ein Stück für die Ewigkeit – diesen Status hat das Möbelstück nach Ansicht seines Erschaffers, der 2006 verstorben ist, aber erst im Jahr 2024 erreicht: „Möbel müssen zumindest für 50 Jahre überleben, dann haben sie ewige Bedeutung.“

Des Lebens Wirrwarr

Bookworm“, Ron Arad, 1994

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Einen weiteren Weg als den von Rom nach Sidney könnte man bereits mit dem revolutionären Buchregal pflastern, auch wenn es erst 20 Jahre jung ist. So viele Kilometer „Bookworm“ wurden nämlich schon in alle Welt verkauft. Das Buchregal, das sich mit seinen organischen, fließenden Formen der Prämisse horizontaler Strukturen leichtfüßig widersetzt, hat der israelisch-britische Designer Ron Arad im Jahr 1994 entworfen.

Flexibilität ist dabei Programm, und in dieser Hinsicht ist es auch das erste weltweit seiner Art: Ob „Bookworm“ in skulpturaler Wellen- oder in Schneckenform an der Wand platziert wird, das ist dem Käufer ganz im Sinn eines demokratischen Designs selbst überlassen. Aufgrund seiner Flexibilität bei dennoch hoher Belastbarkeit lässt sich das Buchregal auf vielerlei Arten an Wänden anbringen. Dem Designer Ron Arad war es ein Anliegen, etwas fern der gewohnten Form, aber hautnah an der beabsichtigten Funktion zu entwickeln. Frei nach einem Shakespeare-Zitat stellte „This Mortal Coil“ im Sinn von des Lebens Wirrwarr am Beginn seines Entwicklungsprozesses eine Spirale aus Stahl dar. Später wurde daraus ein industriell gefertigtes Objekt.

In einer Kunststoffausführung wird „Bookworm“ von Kartell hergestellt und markiert auch den Beginn der Zusammenarbeit zwischen dem Mailänder Unternehmen und dem renommierten Designer, der als Sohn einer Malerin und eines Fotografen in Tel Aviv aufgewachsen ist. Für den Künstler und Architekten, der darüber hinaus auch für Moroso oder Alessi entwirft, ist es der bisher größte kommerzielle Erfolg.

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