Kopenhagen: Topdesign und Starkøl

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Es gibt hundert Gründe, Kopenhagen zu besuchen. Aber es reicht auch ein einziger. Zum Beispiel das Haus des Gestalters Finn Juhl.

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Finn Juhl ist bei uns vielleicht nicht ganz so bekannt wie Arne Jacobsen oder Verner Panton, aber zur obersten Liga des weltberühmten Danish Design zählt er allemal. Wir fahren also vom Kopenhagener Hauptbahnhof mit der S-Bahn Richtung Norden, bereits nach 15 Minuten sind wir in Ordrup angelangt, einem tendenziell eher öden Vorort, den man nicht kennen müsste, wäre da nicht dieses Haus von Finn Juhl und – keinesfalls zu vernachlässigen – das benachbarte Ordrupgaard-Museum mit einer sehenswerten Kollektion von französischem Impressionismus und dänischer Malerei des 19. Jahrhunderts.

Seit das Museum 2005 eine Erweiterung von Stararchitektin Zaha Hadid erhalten hat, ist es auch international bekannter geworden. Auf dem Fußweg dorthin ahnt man davon allerdings nichts: So schön die dänische Provinz sein kann, hier ist sie vor allem eines: Provinz. Vielleicht liegt es am Samstag Vormittag.
Hochgeklappte Gehsteige, alle fünf Minuten ein Auto, der Rasen vor den Häusern wie in Wimbledon. Niemand geht zu Fuß, selbst Radfahrer sieht man keine. Nach etwa zwanzig Minuten erreicht man den Park, an dessen Rand sich das von außen unspektakuläre Haus versteckt. Kaum hat man es betreten, kommt einem die Museumsaufseherin entgegen, freundlich, aber bestimmt, die Spielregeln erklärend: Hier ist der Orientierungsplan für Besucher, „den haben leider irgendwelche Komiker gezeichnet, denn er ist verkehrt“.

Alles verboten. Fotografieren verboten, die Absperrung ist zu berücksichtigen, nichts berühren und vor allem: „Wenn Sie etwas wissen wollen, fragen Sie.“ Nein, fragen wollen wir noch nichts, denn wir müssen ja zuallererst in diese Atmosphäre eintauchen, die uns hierher gelockt hat – skandinavisches Design in Reinform. Das Haus empfängt den Besucher mit einem Höchstmaß an Wohnlichkeit, mit lichten Farben, ungezwungener Möblierung und phantastischen Blickachsen. Wer hier gewohnt hat, wusste, was moderne Gestaltung vor allem sein sollte: ein Mittel zur Befreiung. Es ist hier noch alles so wie zu Finn Juhls Lebzeiten. Das Haus konzipierte er als Gesamtkunstwerk, auf rund 200 Quadratmetern sind 25 Einzelmöbel und unzählige gestalterische Detaillösungen aus der Hand des Meisters zu entdecken. Jeder Raum hat seinen ganz eigenen Charme, nur die Küche ist irgendwie so – wie bei einer Kantine? „Er hatte einen Bediensteten.“ Die Aufseherin hatte unsere Reaktion vorausgeahnt und ist uns gefolgt, um aufzuklären. Wir verstehen, in der Küche war der Architekt selbst also nie zu finden, deshalb reichte hier purer Funktionalismus in Edelstahl. Hier sollte gekocht werden, nicht abgelenkt.

Ganz im Gegensatz zum Rest des Hauses, das neben Design auch Kunstgenuss zu bieten hat. Juhl sammelte dänische Kunst der Moderne, etwa Vilhelm Lundstrøm oder Asger Jorn, 39 Werke zählen wir im gesamten Haus. Gewohnt hat Finn Juhl hier von 1942 bis zu seinem Tod 1989. Warum das Haus erst seit 2008 für die Öffentlichkeit zugänglich ist? „Weil er mit einer Frau zusammenlebte, Hanne Wilhelm Hansen, die erst 2003 starb“, erklärt die Museumsbedienstete. Nach Hansens Tod wurde das Haus von der Mäzenatin Birgit Lyngbye Pedersen gekauft, die es wiederum dem Staat schenkte. Einfach so. Seit es für das Publikum geöffnet ist, arbeite sie, die Aufseherin, hier, es sei eine Ehre, jedes Wochenende in Finn Juhls Haus zu verbringen. Noch sei es bei den Touristen nicht sehr bekannt, aber das störe sie nicht, im Gegenteil. Dass das Juhl-Haus unser primäres Reiseziel sei, könne sie nur allzu gut verstehen: „Ich bin einmal nach Buenos Aires gereist, nur um einen Tango-Pianisten zu hören.“

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Ob es sich ausgezahlt habe? „Natürlich. Ich fliege seither jedes Jahr dorthin.“ Ob wir in Zukunft jedes Jahr Kopenhagen besuchen werden? Hat eine 500.000-Einwohner-Stadt so viel zu bieten? Wir lassen uns überzeugen. Nehmen die S-Bahn zurück in die Stadt und machen uns zum nächsten Programmpunkt auf, dem Design Museum Danmark im bürgerlichen Bezirk Frederiksstaden. Hier wimmelt es von Kunst- und Vintage-Möbelgalerien, in den Auslagen entdecken wir Stühle von Hans J. Wegner oder Børge Mogensen, Lampen von Poul Henningsen, Töpfe, Kannen und Besteck von Jens Quistgaard und dazwischen elegante alte Radios und Plattenspieler von Bang & Olufsen. Müssen wir überhaupt noch ins Museum?

Unprätentiös. Wir müssen, denn allein schon das Gebäude ist ein Erlebnis. Ein ehemaliges Krankenhaus aus dem 19. Jahrhundert beherbergt die staatliche Designsammlung. So hypermodern dänische Gestaltung sich sonst überall präsentiert, so angenehm unprätentiös und zurückhaltend geht es hier zu. Manche mögen es verschlafen nennen, aber die finden auch Zaha Hadid sicher besser als Finn Juhl.

Nach einem Rundgang machen wir Pause im Museumscafé, das nach dem Architekten Kaare Klint benannt und mit exquisiten Originalmöbeln ausgestattet ist. Im Sommer hat man hier die Qual der Wahl: Soll man sich draußen in den romantischen Innenhof setzen oder doch lieber die Atmosphäre drinnen genießen? Nach so viel Museum und Design tut es gut, zu Fuß quer durch die Innenstadt in Richtung Nørrebro zu wandern, einem ehemaligen Arbeiterbezirk, der wie kein anderer die Entwicklung Kopenhagens zur coolen Metropole verkörpert. Auch wenn es hier keines der großen kulturellen Prestigeprojekte wie das neue Konzerthaus von Jean Nouvel oder das 335 Millionen teure, privat gesponserte Opernhaus gibt.
Nørrebro sei das Berlin Kopenhagens, schrieb kürzlich die „Zeit“ und meinte damit jene lockere Mischung aus Multikulti, Kreativvolk und Lokalszene, die von den einen als gelungene Aufwertung einer Wohngegend und von den anderen als Paradebeispiel einer rücksichtslosen Gentrifizierung gesehen wird. Seit den 1980er-Jahren hatte Nørrebro auch das negative Image als Schauplatz von Ausschreitungen der härteren Sorte, zuletzt kam es hier 2007 zu blutigen Protesten wegen des Abrisses eines alternativen Kulturzentrums. Für die durchflanierenden Touristen ist die Szenerie heute kaum mehr vorstellbar: In den Seitengassen finden sich Galerien und Cafés, schicke Smørrebrød-Läden und Modeboutiquen, Weinbars und Möbelshops, Bäckereien und verlockende Vintage-Design-Händler.

Entlang der 2,5 Kilometer langen Durchzugsstraße Nørrebrogade kommt man allerdings auch am Assistens Kirkegård vorbei, dem Assistenz-Friedhof, der als riesige Parkanlage mit uraltem Baumbestand nicht nur eine Grünoase darstellt, sondern auch mit Promifaktor aufwarten kann: Mitglieder des russischen Zarenhofes liegen hier ebenso begraben wie Hans Christian Andersen, der Physiker Niels Bohr und Dänemarks berühmtester Philosoph, Søren Kierkegaard.

Outdoor-Wohnzimmer. Eine Designdestination haben wir noch vor uns: den Superkilen. Das ist jener öffentliche Stadtraum oder auch Park genannt, dessen Gestaltung weltweit für Aufsehen gesorgt und anschaulich vor Augen geführt hat, dass Design in Dänemark sich eben nicht nur auf tollen Hausrat oder Möbel beschränkt. Im Kultur- und Freizeitzentrum Nørrebrohallen holen wir uns ein Bier und setzen uns auf den Roten Platz, einen der drei Bereiche von Superkilen. Hier treffen sich die Skater und andere Sportler. Weiter drüben schließt der Schwarze Markt an, der als Outdoor-Wohnzimmer für die Nachbarschaft gedacht ist. Weil diese aus vielen Ethnien besteht, hat man sich bei der Möblierung und Bepflanzung weltweit inspirieren lassen. Und so finden sich hier ein marokkanischer Brunnen und eine türkische Bank, Backgammontische und exotische Bäume. Im Grünen Park können sich dann noch die Kinder austoben. Hat Kopenhagen zumindest gestalterisch hier die Antwort auf brennende soziale Fragen gefunden? Oder lassen wir uns als müde Stadtbesucher von Wunschvorstellungen einlullen?

Darüber könnten wir beim Abendessen sinnieren, doch in der hippen Jægersborggade lässt man sich gern vom Ernsten ablenken. Vor den Lokalen scharen sich die Hipster mit ihren Getränken, als wäre man im tiefsten Süden – aber immerhin regnet es nicht. Zum Essen brauchen wir jetzt kein Noma, das hätten wir bereits vor Monaten reservieren müssen, das Manfreds tut‘s auch mit seinem „rustic everyday food“, eine ziemliche Untertreibung – das Gemüse ist biodynamisch, die Kräuter sammelt man im Wald, das Fleisch ist selbstverständlich nur von lokalen Qualitätsproduzenten, und man schwört auf Natural wines. Schmeckt vorzüglich, und das Personal ist so freundlich wie überall sonst in Kopenhagen.

Würde man alle Szenelokale von Nørrebro ausprobieren, man müsste hier Wochen verbringen. Und würde zum Bierkenner werden. Als gelernte Österreicher bestellen wir als Abschluss unserer Designtour in einer Bar einfach „ein Bier“. Die Kellnerin zeigt auf die fünf Zapfhähne und auf ein Regal hinter der Theke, auf dem rund zwanzig weitere Biersorten aufgereiht sind, vom britischen Ale bis zum bayrischen Weißbier. Da fällt die Entscheidung schwer. Was sie empfehlen könne? Dänisches Starkøl, meint sie. Klingt vernünftig. Nehmen wir. 

Tipps

Edel. Kopfhörer von Bang & Olufsen. bang-olufsen.com
Abstrakt. Schal von Henrik Vibskov, 130 Euro.
henrikvibskovboutique.com
Herzig. Erheiternd: kupferfarbener „Bimble“ von Hoptimist. hoptimistshop.com

DESIGN
Finn-Juhl-Haus in Charlottenlund. Jeweils am Wochenende geöffnet. Das benachbarte Kunstmuseum sollte man sich ebenfalls nicht entgehen lassen. Ordrupgaard Vilvordevej 110, 2920 Charlottenlund.
ordrupgaard.dk/en/finn-juhls-house
Ein Buch zum Haus ist kürzlich im Hatje Cantz Verlag erschienen.

Design Museum Danmark. Neben der Dauerausstellung wechselnde Sonderschauen. Das schöne Museumscafé bietet junge Küche im typisch nordischen Stil. Bredgade 68, 1260 Kopenhagen.
designmuseum.dk

Pakhus 48. Designzentrum am Hafen, u. a. mit dem Showroom des berühmten dänischen Möbelherstellers Fritz Hansen.
Klubiensvej 22-24, Frihavnen DK-2150 Nordhavn.
pakhus48.dk

Hay Showroom Kopenhagen.
Das junge dänische Unternehmen versucht mit einer frischen Kollektion an die Glanzzeiten dänischen Designs der Nachkriegszeit anzuschließen und arbeitet u. a. mit Designern wie den Bouroullec-Brüdern, Inga Sempé und Stefan Diez zusammen. Pilestraede 29-13, 1112 Kopenhagen. hay.dk

DJ & Designer Flaco. Studio/Shop in der Jægersborggade 47, 2200 Copenhagen. flacodesign.dk

Stillleben. Mit Tableware, Textilien und Accessoires hat es der trendige Designladen in internationale Magazine geschafft.
Niels Hemmingsensgade 3. flacodesign.dkflacodesign.dk

Roxy Klassik. Topadresse für alle, die sich mit dänischen Vintage-Möbeln eindecken wollen.
Jorisvej 11 2300 Kopenhagen. roxyklassik.dk


KUNST
Lousiana Museum of Modern Art. Möglicherweise das schönste Museum der Welt, direkt am Meer gelegen, mit einem fantastischen Park und einer hochkarätigen Sammlung. Die derzeitige Sonderschau des dänischen Starkünstlers Olafur Eliasson ist noch bis 4. Jänner 2015 zu sehen. Gl Strandvej 13, 3050 Humlebæk.
lousiana.dk

Arken Kunstmuseum.
Südlich von Kopenhagen, für Fans von Architektur und moderner Kunst ein Pflichtausflug. Den Wettbewerb für den Bau des Hauses gewann 1988 der damals 26-jährige Architekturstudent Søren Robert Lund.Skovvej 100. 2635 Ishøj.
arken.dk

NASCHEN
Summerbird. Tolle Schokolade, Trüffeln und nicht zuletzt köstliche Mandeln mit den unterschiedlichsten Überzügen.
Kronprinsensgade 11, 1114 Kopenhagen.
summerbird.dk

FRÜHSTÜCK & CAFÉ
Torvehallerne. Am Puls der Stadt: Im Getümmel der zentral gelegenen Markthallen kann man bestens frühstücken oder sich einen Snack genehmigen.
Frederiksborggade 21, 1360 Kopenhagen.
torvehallernekbh.dk

HOTELTIPP IN NØRREBRO
Ibsens Hotel. Sehr schickes, aber trotzdem unaufgeregtes Hotel mit Charme. DZ ab ca. 110 Euro pro Nacht.
Vendersgade 23 c, 1363 Kopenhagen.
arthurhotels.dk/dk/ibsens-hotel

ESSEN IN NØRREBRO
Manfreds. Wie im Text beschrieben: tolles Essen, überzeugende Weinkarte, dichte Atmosphäre. Ein paar Plätze hält man immer frei, damit auch jenen eine Chance gegeben wird, die nicht reserviert haben.Jægersborggade 40,2200 Kopenhagen.
manfreds.dk

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