Designer, die auf Wände starren

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Wände sind auch nur nackt: bis sie Designer ummanteln und verkleiden. Mit bedrucktem Papier, gepresster Schafwolle oder
dreidimensionalen Fliesen.

Viel zu glatt. Innen wie außen, so sind die meisten Wände. Da fängt sich nichts, nicht die Blicke, nicht der Schall. Stumpf Licht zu reflektieren, den Raum zusammenzuhalten, Decken zu stützen, mehr fällt vielen vertikalen Flächen in den Häusern nicht ein. Dabei könnten Wände doch so „edgy“ sein, das haben sich die Designerinnen Patrycja Domanska und Tanja Lightfood schon zu Studienzeiten gedacht. Ursprünglich wollten sie die Musiker gestalterisch von Eierkartons und Ähnlichem erlösen, die in Proberäumen und Studios die Wände bekleiden.

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Den Schall schöner zu schlucken und zu streuen – diese Aufgabe haben sich Domanska und Lightfoot gestellt, dazu haben sie zunächst mit Alternativen aus faltbarem Karton experimentiert. Sie haben ihn per Laser mikroperforiert, erzählt Tanja Lightfoot, so wie es die Schallschutzwände entlang der Autobahnen sind, die den Schall aufnehmen sollen, aber nicht das Wasser. „Irgendwann sind wir auf die sechseckige Form gekommen, die man zu verschiedenen Bildern an der Wand zusammensetzen kann.“ So gossen Domanska und Lightfoot anfangs ihre „Edgy Tiles“, flache und dreidimensionale Fliesen, aus grauem Porzellan. Bei der Suche nach Produzenten stießen sie auf den Hersteller Kaza Concrete: Er verwendet für seine Wandfliesen eine Betonmischung, die sich in dreidimensionale Formen gießen lässt. Die „Edgy Tiles“ klebt man mit Fliesenkleber an die Wand, dabei könne man „gewisse Teile plastisch herausheben, andere flach im Hintergrund lassen“, sagt Lightfoot. Durch die dreidimensionalen Formen reagieren die Wände nun auch unkonventioneller auf Lichteinfall, die Fliesen werfen Schatten – und damit Strukturen – auf die vertikalen Flächen, innen und außen. Muster, die sich mit dem Tages- und Sonnenverlauf verändern.

Multifunktional. Wänden wird meistens von den Gestaltern nur eine Aufgabe zugemutet: eine ästhetische oder eine funktionale. Bei Lärmschutzwänden war die Entscheidung klar. Im Inneren versuchen Designer, den Wänden das Multitasking beizubringen, akustische und gestalterische Qualität zu verknüpfen. Das schwedische Designstudio Form Us With Love etwa hat für den Hersteller Baux modulare Wände entworfen, die tun, was Wände so tun – räumlich und visuell trennen – und zusätzlich können, was den meisten gar nicht einfällt – nämlich die Akustik zu verbessern. Aus Holzwolle, Wasser und Zement haben die Schweden Elemente verschiedenster Geometrien und Farben gemischt, die sich zu schallschluckenden Wänden zusammensetzen lassen.

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In Österreich hat sich mit dem Thema Akustik und Wand der Designer Horst Philipp intensiv beschäftigt. Auch er verwendet Wolle für seine „Pinwool“-Elemente. Doch er nimmt jene Wolle, die in seiner Tiroler Heimat viel an der frischen Luft war, bevor man sie an die Wände hängt. Jahrelang hat Philipp an einem speziellen Verfahren gebastelt, um die Eigenschaften von Schafwolle zu nützlichen Akustikpaneelen, Pinn- und Trennwänden verdichten zu können – für die Kollektion seines Designmöbellabels „Tante Lotte“.

Die „Pinwool“-Elemente gestalten gleichzeitig das Wand- und das Sounddesign jener Räume, denen die Weichheit fehlt. Die verpresste, in plastische Fliesen geformte und feuchtigkeitsregulierende Wolle schluckt die Schallwellen und klettert in verschiedenen Formen – manche erinnern an bunte, überdimensionale Gitarrenplektren – die Wände hinauf.

Tapetenwechsel. Nicht nur das Verkleiden, sondern auch das Bekleiden zählt zu den Gestaltungsaufgaben in Räumen. Wände mit Papier zu bekleben hat etwa in England spätestens seit dem 18. Jahrhundert Tradition. Damals wurde London zum Zentrum der Tapetenproduktion. Seitdem haben sich die Archive mit verschiedensten Streifenmustern, Drucktechniken und Zeugnissen außergewöhnlicher Handwerkskunst gefüllt, auf die auch englische Hersteller wie „Little Greene“ in ihren neueren Kollektionen gern zurückgreifen. Jüngere Kreative hingegen, etwa die Illustratorin Emily Dupen aus Brighton, schauen da lieber in die etwas jüngere Vergangenheit zurück – Dupen vor allem auch in die Ära der 1950er-Jahre und der Pin-up-Ästhetik. Daraus kreiert sie humoreske Motive, die sie auf Tapeten drucken und unter dem Labelnamen „Dupenny“ an die Wände humorgeneigter Menschen kleben lässt.

Die Tapetenhersteller verarbeiten inzwischen nicht nur motivisch die Vergangenheit, sondern auch die ungewöhnlichsten Materialien. Die Marburger Tapetenfabrik, für die auch schon der österreichische Tapetendesigner Thomas Zeitlberger tätig wurde, hat sich gerade in letzter Zeit den Materialexperimenten verschrieben. In der Kollektion „Imagination“ kommt erstmals Basaltgarn zum Einsatz. Ein Material, das aufgrund seiner feuerbeständigen Eigenschaften gern in der Automobilindustrie oder im Bootsbau eingesetzt wird. Auch das Gestein Mica wurde jetzt erstmals in Tapeten verarbeitet. Genauso wie die Möglichkeiten der LED-Technik. Endlich können Tapeten nicht nur ihre haptischen Qualitäten in den Raum ausstrahlen, sondern auch tatsächliches Licht.

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In der Philosophie Ullrich Eitels, des Inhabers der Marburger Tapetenfabrik, müssen Tapeten staunen machen. Das könnte ihm mit der Kollektion „Art Luminaire“ gelungen sein. Schließlich bringt die Tapete Kunststofffasern, die auf eine Vliestapete kaschiert wurden, zum Leuchten. Vor allem dort, wo die Räume zumeist im Dunkleren liegen, in Bars, Restaurants, Diskotheken, aber auch in Museen, sieht Ullrich Eitel seine Tapetenentwicklung in Zukunft strahlen.

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