Lebensräume: Design für alle

(c) Beigestellt
  • Drucken

Wohnungen sind fürs Wohnen. Und Straßen fürs Leben. Das meinen Gestalter, die Lebensräume zwischen Hausfassaden entwerfen und einrichten.

"Städte für Menschen", so lapidar nennt der Däne Jan Gehl sein Buch, das nun erstmals auf Deutsch erschienen ist. Der Titel ist Wunsch und Forderung, keine Bestandsaufnahme. Denn über 50 Jahre lang hat Gehl als Architekt beobachtet, dass Städte gern alles andere zum Maßstab ihrer Planung nehmen. Die Straßen hat man den Autos überlassen. Eine Stunde pro Tag   das haben Studien gezeigt   rollen sie durchschnittlich durch die Stadt. Den Rest der Zeit stehen sie als geparkte Privatsphäre alarmgesichert und breiträdrig im Raum herum, den man den öffentlichen nennt. Das Büro Gehl Architects hat seinen Hauptsitz in Kopenhagen. Eine Stadt, die das Layout ihrer Straßen auch gerne mal unkonventioneller denkt und aufteilt als andere. Auch in New York haben Gehl und sein Team bereits versucht, öffentlichen Raum "menschlicher" zu machen, und dem Times Square seinen Square zurückzugeben. Das Tempo ist dort jetzt ähnlich niedrig wie zuvor. Nur dass die Menschen jetzt auf Stühlen und unter Schirmen sitzen statt auf Autositzen und im Stau. Auch in Wien, im Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern, folgen die Straßen, die gebaut werden, den gestalterischen Leitlinien, die das Büro Gehl Architects für sie vorgezeichnet hat.

Was Jan Gehl in den meisten Städten am schmerzlichsten vermisst ist der "menschliche Maßstab". Zu breit sind die Straßen, zu wuchtig die Häuser, zu hoch das Tempo. Schließlich ist die menschliche Wahrnehmung auf Schritttempo kalibriert: auf ungefähr fünf km/h und kleinteilige Strukturen. Die meisten Straßen dagegen spulen plump ihr Programm ab, den Verkehr, und die Evolution in den Köpfen der Stadtbewohner ihr eigenes: Sie suchen instinktiv Distanz zu anderen Menschen, aber auch Ränder und Nischen, um aus der sicheren Ecke Freund von Feind zu unterscheiden   selbst hunderttausende Jahre nach dem Säbelzahntiger lassen sich Fluchtreflexe nicht so einfach abschütteln. Da hilft es auch nichts, wenn wir die Evolution inzwischen in der Hand mit uns tragen, in Form von Smartphones. So haben es Designer nicht ganz einfach, menschliche Wesen durch den Stadtraum zu führen, sie auch mal ankern zu lassen, oder im Werbeprospekt-Jargon "verweilen". Denn die menschliche Haltung mäandert zwischen "Ich will meine Ruhe" und "Ich suche Kontakt". Die spannendsten und lebendigsten Straßen sind jene, die die Nähe/Distanz-Paradoxie am besten ausbalancieren. In Dänemark, erzählt Gehl, hat man einmal sogar die ideale Dimension von Vorgärten beforscht, die die Kommunikation mit Nachbarn am wahrscheinlichsten macht. Aber auch die Ränder der Straße   wohin die Autos die Fußgänger gedrängt haben   müssten ihre Qualitäten zeigen: kleinteilig, abwechslungsreich mit vielen potenziellen Kontaktpunkten, Fenstern, Türen und Portalen, so sehen in Jan Gehls Idealbild "aktive Fassaden" aus, schreibt er im Buch "Straßen für Menschen" (erschienen im Jovis Verlag).

(c) Beigestellt

Straßenmöbel. Heute gehen die meisten Menschen auf die Straße, weil sie irgendwohin müssen oder wollen. Früher fanden sie vor der Tür auch, was sie brauchten: das Wasser aus dem Brunnen, das Wetter von morgen auf der Wettersäule, den Telefonhörer im Hütterl, die Uhrzeit auf der Wiener Würfeluhr. Inzwischen ist auch das Herumsitzen zur verhäuslichten Privatsache geworden. Genauso wie die Einrichtung des Straßenraums spärlicher und die Straßenmöbel-Gestaltung puristischer als in jenen Tagen, als Litfaßsäulen noch kunstvolle Hüte trugen. Auch der Boden in den meisten Altstadtgassen ist nur mehr Asphaltband statt handwerklich wertvoll gepflastert und strukturiert. Doch bei manchen Neugestaltungen bemüht sich auch Wien, Straßen Charakterzüge zu verleihen. Wie in der Ottakringer Straße etwa, deren Tempo Architekt Karl-Heinz Schwarz vor allem visuell und gestalterisch gedrosselt hat. Die Aufgabe: Ausweitung der Aufenthaltszone, bis hin zum Rand des verbreiterten Gehsteigs. "Dazu haben wir Dinge wie Spielgeräte, Sitzmöglichkeiten oder Müllbehälter knapp an die Gehsteigkante gesetzt", erzählt Schwarz, "und so die Dreidimensionalität in die Straße hineingezogen". Auf der Ottakringer Straße, die sich sanft durch das Schachbrett der gründerzeitlichen Straßen zieht, schlängeln sich jetzt auch die Sitzbänke aus Vollholz mit Lehnen aus Lochblech. "Wir haben sie ein Jahr lang in Wind und Wetter getestet", sagt Schwarz. Dazwischen liegen auch bunt bemalte Steine, auf die man klettern kann. Trinkbrunnen stehen in regelmäßigen Abständen   im Sommer wird es heiß zwischen dem Beton. Obwohl Schwarz auch mehr Bäume setzen ließ und, wo das technisch nicht möglich war, zumindest Pflanztröge platzierte. Das Ziel war, dem trostlosen Verkehrskanal für die Bewohner neue Qualitäten und Flächen abzutrotzen. "Wir haben dafür Sequenzen geplant von engeren und breiteren Stellen." Dafür hat Schwarz seine Vorstellungen auch durch ein ganz besonderes Dickicht manövrieren müssen: Jenes von Verordnungen, Bestimmungen und Interessenslagen von "bis zu 30 Magistratsabteilungen, Behörden und Fachdienststellen", wie Schwarz schätzt. Da prasseln plötzlich auch pragmatische Fragen auf Straßendesigner ein, wenn die Gestaltung dann doch grau und granitwürfelig wird, einfach weil Klinker und Goldfarbe beim zuständigen Magistrat nicht auf Lager sind. 

Leise Möbel. Nicht ganz so bunt hat Architekt Luigi Blau die Gestaltungen einiger Wiener Stadtmöbel angelegt. Viele davon haben das Stadtbild in den vergangenen Jahrzehnten mitgezeichnet, so unscheinbar und beiläufig, dass es beinahe schon wieder auffällig wurde. Augenscheinlich genug zumindest, dass auch Bundespräsident Heinz Fischer Anfang Jänner Luigi Blau, anlässlich seines 70. Geburtstages, ausdrücklich für seinen Beitrag zum Stadtbild lobte.

"Ich finde, die Dinge sollen einen in Ruhe lassen", sagt Luigi Blau. Sie dürfen ihre Geschichten erzählen, aber nur auf Nachfrage. So wie seine Sitzbank, die ungefähr 100-fach in Wien aufgestellt wurde: Ihre Füße sind aus einem Stück gebogen   "ich nenne das gerne Origamitechnik", sagt Blau. Auch bei den Telefonzellen oder den Wartehäuschen der Wiener Linien, die heute hauptsächlich Werbeträger der Gewista sind, stand ein Gestaltungsprinzip im Vordergrund: Grau-silbrig, aus Aluminium, sollten sie sich gestalterisch möglichst zurückziehen aus der "ohnehin schon lauten Stadt". Bei den Wartehäuschen öffnet sich ein transparenter Mittelteil zwischen zwei seitlichen, gekrümmten Aluminiumdächern     "damit man auch von der Weite schon sieht, wo vorne und hinten ist", sagt Blau. Auch Mistkübel sollen in Luigi Blaus Diktion nicht schreien "Seht her, hier bin ich", sondern sich auch in Zurückhaltung üben. "Wer sie finden möchte, findet sie", sagt Blau. Auch von seinen gewellten Entwürfen sind bis 2002 fast 700 Stück in Wien aufgestellt worden. Irgendwann dürften sie der Stadt dann doch zu leise geworden sein   dann kam die Sache mit der Tschick: Die Magistratsabteilung 48 setzte dem Entwurf von Luigi Blau ungefragt eine Tschick, umgangssprachlich für Filterzigarette, auf   als Straßenaschenbecher. Dazu kamen noch in schreiendem Orange laute Sprüche wie "Hast an Tschick?". Blau war verärgert. "Für mich war das viel zu laut und auffallend."

Im Buch "Luigi Blau. Häuser. Interieur. Stadtmöbel." beschreibt Herausgeber Mathias Boeckl Blaus Entwürfe so: "Die Funktionen erschließen sich unmittelbar. Ihre Fassung in Konstruktionen ist lapidar, aber präzise." Und gefasst sind sie meist in glatte und gewellte Oberflächen, die sich vor allem in einer Kunst verstehen, der Diskretion, wie Boeckl schreibt: "Die Stadtmöbel sind das, was sie sind, und beweisen gerade in ihrer Diskretion das Gelingen." 

(c) Beigestellt

Tipp

"Städte für Menschen". Von Jan Gehl, im Jovis Verlag erstmals auf Deutsch erschienen. In seinem Buch erläutert der dänische Architekt, Gründer von Gehl Architects (www.gehl architects.com) mit Sitz in Kopenhagen und Filialen in San Francisco und New York, wie man das menschliche Maß im Städtebau und in der Gestaltung öffentlicher Räume wiedererlangen könnte: Straßen beruhigen, Tempo drosseln, Flächen neu verteilen, Plätze gestalten. www.jovis.de

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.