Vienna Biennale: Die Zukunft braucht Zukünfte

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Die erste Vienna Biennale sucht ab sofort Ideen für den Wandel. Und findet sie vor allem in der Stadt. Manchmal gleich um die Ecke.

Nichts ist wie vorher. Die Pioniere der Moderne hätten damals wahrscheinlich auch nicht gedacht, dass noch im gleichen Jahrhundert eine „Zweite Moderne“ (der Soziologe Ulrich Beck hat sie so genannt) anmarschiert. Und noch dazu eine Moderne, die vorn gern das Attribut „digitale“ trägt. Eine Ära, die immenses Innovationspotenzial erschließt, gleichzeitig aber auch alles auflöst und in den Grundfesten erschüttert, woran sich Ökonomie und Gesellschaft so mühsam gewöhnt haben. Alles ist anders. Selbst die Zukunft ist nicht mehr die, die sie einmal war. Da hilft nur: sich die Sehnsucht nach der Vergangenheit von der Seele stricken, das, was war und nie mehr sein wird, verklärt verhätscheln. Oder den Wandel konfrontieren. Mit Experimentierfreudigkeit und Offenheit. Und dafür wiederum, meint der Initiator der Vienna Biennale, der Direktor des Wiener MAK, Christoph Thun-Hohenstein, könnte gerade Wien der richtige Platz sein. „Ideas of Change“ sucht die Vienna Biennale bis 11.  Oktober, indem sie die Weltverbesserungskräfte bündelt. Oder vielmehr die Wirkkräfte von Kunst, Design und Architektur – auch indem sie ihre Institutionen vernetzt.

Gerade in den Städten verdichten sich die Auswirkungen des Wandels. Und dort beobachten Designer und Designexperten, wie sich selbst das verändert, was Designer traditionell zu ihren Aufgaben und strategischen Arbeitswerkzeugen zählen. Harald Gründl vom Designstudio EOOS reflektiert ebenso regelmäßig darüber. Schließlich ist er auch Leiter des Institute of Design Research in Wien. Auch den Werkzeugkoffer des Designers bestückt er regelmäßig neu; „Werkzeuge für die Designrevolution“ (so der Titel einer Ausstellung), mit denen Gestalter eine ökologisch, ethisch und sozial nachhaltige Entwicklung bearbeiten könnten, hat Gründl dort schon eingeschlichtet. Gemeinsam mit Thomas Geisler vom MAK kuratierte er eine Ausstellung im Rahmen der Vienna Biennale, die sich mit möglichen Stadtrealitäten im Jahr 2051 auseinandersetzt, in bewusster Orwell’scher Verdrehung der Jahreszahl. „Smart Life in the City“ verspricht der Biennale-Beitrag, der die Stadt auch nach neuen Designwerkzeugen und -strategien sondiert. „Ich fand es spannend, zu entdecken, wo im Grunde in der Stadt – in Wien   – Zukunft schon passiert“, sagt Kurator Thomas Geisler, „und wie man diese vereinzelten Punkte ineinandergreifen lassen kann.“ Es gehe auch darum, wie man „Massenkreativität aktivieren und fördern kann, die meisten Projekte sind ja kollaborativ, oft auch partizipativ“.

Die Designer des Wandels sind schon überall in der Stadt, selbst wenn sie sich dieses Wort nie auf die Visitenkarte schreiben würden. Egal, ob sie Baumscheiben in ihrem Grätzl bepflanzen oder in der Gebietsbetreuung der Stadt Wien Partizipationsprozesse moderieren. Als „Changemaker“ haben sie die Kuratoren Gründl und Geisler identifiziert. Akteure also, die die Stadt positiv verändern können. So weit die gute Nachricht aus der Zukunft. Die schlechte hingegen hängt gleich beim Eingang der Ausstellung: „Der Österreichische Klimaschutzbericht“, erzählt Gründl, „aber nicht als Mahnung. Sondern er ist eher als Kreativitätstool zu gebrauchen.“ Welche Aufgaben Design in Zukunft übernehmen kann, gemeinsam mit welchen Akteuren, auch das sei ein Ziel der Ausstellung, die Gründl selbst auch Versuchsanordnung nennt.

Zukunftsnahe. Ein Beispiel innovativer anschaulich-effektvoller Protestkultur darf sich auf dem Boden der MAK-Ausstellungshalle ausbreiten: die Reste von „Hypotopia“, der Milliardendebakelmodellstadt, die vergangenen Herbst den stummen Protest lautstark am Karlsplatz in Form und Beton gegossen hat. Doch auch in Zukunft wird die Bank im urbanen Leben eine Rolle spielen, sie ist einer der zehn „Demonstratoren“, anhand derer die Zukunft vor allem auch außerhalb des Museums selbst ausverhandelt wird. Die Bank der Zukunft ist etwa die „Bank fürs Gemeinwohl“ und hat während der Biennale ihre einzige Filiale an der Adresse Rechte Wienzeile 81. „Dort bekommt man erst Kredit nach einer Gemeinwohlprüfung“, erläutert Gründl.

Gerade von der futuristischen Ästhektik der Hochglanzzukunftsvisionen wollte man sich fernhalten. Oder vielmehr: „Wir wollten bewusst gegen diese Zukunftsbilder arbeiten“, sagt Geisler. Vielleicht könnte es sogar für manche enttäuschend sein, meint er, dass in diesen Szenarien keine organisch geformten Vehikel zwischen den Wolkenkratzern schweben, aus denen ganze Wälder wachsen. Sondern dass man die Zukunft eher entdecken kann, wenn man zweimal um die Ecke schaut, als wenn man hundert Jahre Technologien vorausahnt.

Eine vorweggenommene Realität, in der sich die Besucher der Ausstellung eher wiederfinden können. Auch, weil sie bei einigen Projekten im Maßstab 1:1 in die Stadt kommt, als räumliche Intervention. Oder sie ist schon längst da, begeh- und angreifbar. Wie das Social-Business-Modell der Caritas in Magdas Hotel, das gestalterisch Alleswirdgut Architekten betreut haben. Oder auch das Wohnlayout, das Architekt Klaus Kada für Wohnungen im Sonnwendviertel nahe dem Wiener Hauptbahnhof konzipiert hat: Dort trennen flexible Möbelelemente die Räume und ihre Funktionen statt starrer Wände. „Es ist auch eine Qualität der gezeigten Arbeiten, dass durch sie greifbare Realitäten geschaffen werden, bei denen man sprichwörtlich in die Zukunft vorfühlen kann“, sagt Thomas Geisler. Das Weit-weit-Vorausschauen soll den Designern trotzdem keiner nehmen: „Es gehört zur Rolle des Designers, mögliche Zukunftsszenarien darzustellen und dadurch verhandelbar zu machen“, sagt Gründl. Auch, um vor allem Strategien zu entwickeln, wie man „gute Ideen skalierbar macht“. In jedem Fall seien die Zukunft und ihre Aufgaben „zu komplex für lediglich eine Lösung. Wir werden definitiv mehrere alternative Lösungswege benötigen“. Die Zukunft braucht besonders eines: den Plural, die „Zukünfte“.

Zwischen den Häusern. Vorwiegend auf ihren Straßen zeichnet sich auch die Zukunft der Städte ab. Deshalb schauen die Raumplaner und Architekten ganz genau dorthin. Im Future Lab der TU Wien etwa haben Mathias Mitteregger vom Institut für Architekturtheorie und Emanuela Semlitsch vom Institut für Örtliche Raumplanung ein Studierendenprojekt zu diesem Thema betreut, gemeinsam mit Alexander Diem, Michael Rieper, Marlene Rutzendorfer und Rudolf Scheuvens. „Die Überlegungen zur gegenwärtigen und zukünftigen Funktion und Bedeutung der Straßen“, wie Emanuela Semlitsch sagt, mündeten schließlich in räumlichen Interventionen im Stadtraum. „Sie sollen mögliche Zukunftsbilder ins Heute transportieren.“

Noch sind die Besitzverhältnisse auf der Straße ziemlich ungerecht verteilt, wie Mathias Mitteregger befindet: „Kurioserweise gehört die Straße jenen, die sie am wenigsten benutzen, den Autofahrern.“ Noch dazu ist das Auto der Maßstab nicht nur für die Gestaltung des Straßenraums, sondern auch für die gesetzlichen Grundlagen seiner Benutzung. Paradox, wie Semlitsch, Mitteregger und die Studierenden meinen. „Es geht auch um eine neue Wahrnehmung der Straße und um sinnlich-spürbare sowie emotionale Komponenten“, sagt Mitteregger. Noch sind die gängigsten Attribute für Straßen „laut“ und „dreckig“. „Zu dieser Wahrnehmung wollten wir Alternativen finden“, erklärt Semlitsch. Deshalb haben die Studierenden für die Ausstellung „2051. Smart Life in the City“ nicht nur so manche Konventionen auf den Kopf gestellt, sondern auch gegenwärtige Tendenzen künstlerisch zugespitzt: „Ein Projekt beschäftigt sich etwa mit der Annahme, dass wir in der Bewegung, im Fluss, arbeiten.“ Demnach werden „Arbeitsinseln den Wienfluss hinuntertreiben“. Eine Vorwegnahme jener fiktiven Ära, in der man Arbeitsleistung vielleicht nicht mehr in Stunden, sondern in zurückgelegter Entfernung quantifiziert. Über die gängige Vorstellung, dass die Straße spätestens an der Decke des Erdgeschoßes zu Ende ist, schaut ein anderes Projekt bewusst hinweg: „Über“ spannt sichtbare Verknüpfungen zwischen den Fassaden im Straßenraum auf, ein Flechtwerk aus Seilen in der Künstlergasse im 15.  Bezirk: als Anstoß dafür, den öffentlichen Raum in die dritte Dimension zu erweitern.

„Der öffentliche Raum büßt heute oft seine Nischen ein“, sagt Mitteregger. Nicht nur im metaphorischen Sinn, umgemünzt auf soziale Randgruppen und Nutzungen, die nicht kommerziell motiviert sind, sondern auch tatsächlich gestalterisch. Viele Straßenräume sind glatt gebügelt wie „heute die Karlsplatzpassage“. Keine Ecken, Kanten, Vorsprünge oder Einbuchtungen mehr, an denen man hängen bleiben oder auch nur kurzzeitig verweilen könnte.
Das Projektteam von „Abform(en)“ führt die Entwicklung plastisch vor Augen: „Wir nehmen einen Negativabdruck von Nischen, um diese zu bewahren. Schritt für Schritt wird die Nische mit Kartonagen aufgefüllt, bis ein ebener Abschluss der Fassade gegeben ist“, erklärt Charlotte Heller. „Der physische Raum der Nische wird dadurch sichtbar und begreifbar gemacht.“

Tipp

Vienna Biennale. Noch bis zum 4. Oktober verbindet sie Kunst, Design und Architektur in unterschiedlichsten Projekten und Ausstellungen. Darunter „2051. Smart Life in the City“, „Uneven Growth. Tactical Urbanisms for Expanding Megacities“, „24/7. The Humand Condition“ und viele andere. Alle Programmpunkte unter: viennabiennale.org

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