In der Stube: Die Alpen als leise Ahnung

(c) Beigestellt
  • Drucken

Manchmal steht auch ein Stuhl zwischen den Stühlen. Eine gestalterische Gratwanderung entlang der klischeebelasteten Alpen.

Für manche Situationen fehlen einfach die Worte. Bis die Dichter auch diese Lücken schließen. In manche räumliche Situationen scheint kein einziges zeitgemäßes Möbelstück zu passen. Dann müssen eben die Designer doch noch etwas erfinden. Etwa für eine spektakulär aufgefaltete Weltgegend, die ihr traditionelles Bild nach außen pflegt und hätschelt, als sei sie ein seltenes Edelweiß. Die Landschaften der Alpen haben ganz andere Gewalten gestaltet als die Innenräume: Dort waren es ursprünglich Pragmatik, Notwendigkeit und Schlichtheit. Später die verschnörkelte Heimatsinnlichkeit. Auch in der Gegenwart hat es sich die ästhetische Rückwärtsgewandtheit in den Stuben gemütlich gemacht. Wenn nicht gerade die brachiale Einfallslosigkeit in die Hotels, Gast- und andere Häuser eingefallen ist. Zwischen den Extremen war viel Platz, den keiner füllte. Und genau für diese ästhetische Leerstelle wollte schließlich der Tiroler Hersteller Peter Hussl Möbel erfinden, die verschnörkelte Nostalgie und entseelte Modernität gleichermaßen entschärfen. Und tatsächlich haben in seinem Auftrag die Designer von EOOS, Gernot Bohmann, Martin Bergmann und Harald Gründl, den Stuhl „Hussl Alpin“ in eine Art Zwischenwelt versetzt, in einer Form von Schwebezustand schockgefroren. Die „Hussl Alpin“-Kollektion lehnt sich formal nicht zu weit zurück und nicht zu weit nach vorn.

(c) Beigestellt

„Es war eine gestalterische Gratwanderung“, erzählt Gernot Bohmann. „Ein feines Spiel aus Winkeln und Brettern“, nennen es die Designer, „wir wollten die DNA des alpinen Sitzmöbels bewahren, es aber in eine Art Schwebezustand versetzen“. Die Form sollte nicht mehr direkt verweisen auf die Herkunft – eine latente Ahnung der Wurzeln, sie sollte den Gestaltern und dem Stuhl genügen, um als alpin durchzugehen. Auch in Räumen, die sich vielleicht nicht gleich deklarieren wollen als das eine oder das andere. Büros und Lobbys sind heute solche Plätze, die gern Möbel aus dem Zwischenreich aufnehmen. Einige Messebesucher der Orgatec in Köln, der größten Messe für den Office- und Objektbereich, sahen deshalb den „Hussl Alpin“ gedanklich schon genau in solchen
räumlich und funktional undefinierten Situationen
stehen.

(c) Beigestellt

Peter Hussl ist groß geworden zwischen all den Stühlen und Tischen, die eine Klischeewelt bis heute mit aller Wucht mitgestaltet haben. Schließlich hat sie das Unternehmen seines Vates auch lang genug selbst produziert, auch für die Gaststuben und Hotels der Tiroler Bergwelt. Peter Hussl hat sich, als er den Betrieb übernommen hat, schließlich vom rebellischen Geist à la „Ich mach’ alles anders“ auf ein versöhnliches „Wir machen weiter so. Nur anders“ eingependelt. Er begann, von Designern eigene Produktlinien gestalten zu lassen. Auf Basis seiner gut verwurzelten Kernkompetenz: dem Holz. „Wir verwenden nur Materialien, mit denen wir uns richtig gut auskennen. Und das ist nun einmal Holz“, sagt Peter Hussl.

In der Stube. „Vielleicht ist er ein eigenwilliger Stuhl“, meint Hussl. Weil er nicht sofort im vorgefertigten Bergwelt-Schema einrasten will. Dafür haben die Designer von EOOS zuviele Referenzen formal weggehobelt, die ihn sofort als alpin verraten würden. Alpin ist für Hussl eher der tiefgehende Hintergrund als die oberflächliche Augenfälligkeit. Deshalb ließ er für die Fotos im Möbel-katalog auch den renommierten Tiroler Fotografen
Gregor Sailer die Inszenierung übernehmen, die Möbel stehen nun vor der Tiroler Kulisse in einem Rahmen, als würde Peter Hussl sie ein wenig aus dem Kontext ausklammern wollen.

Die Stühle der Herzen

Für ein Designstudio wie EOOS, das sich gern mit dem Archaischen beschäftigt, hat es in den Bergen wiederum viel zu entdecken gegeben. Vor allem in der Stube, die sie erstmals 2008 für ein Fotoprojekt des Tiroler Kulturmagazins „Quart“ genauer betrachteten, auf der Suche nach der Essenz der Eckbank. In den Räumen des Bauernhofmuseums in Kramsach schauten die Designer analytisch bis in den Herrgottswinkel, wo das Kreuz über der Eckbank thront. Rund um den Tisch kamen früher bis zu 20 Menschen zusammen, vor allem in den Wintermonaten, um sich aufzuwärmen, zu essen und Karten zu spielen. Bei einer Ausstellung im Innsbrucker Aut (Architektur und Tirol) begegneten EOOS schließlich Peter Hussl. Und sie haben beschlossen, gemeinsam eine Kollektion zu entwickeln, die das bäuerliche-rustikale Erbe Tirols ernst nimmt, aber nicht romantisch strapaziert.
Der Brettstuhl. Außen Almen, Wiesen, Wälder, Berge. Innen viel Holz und Schnörkel. So hat sich die kollektive ästhetische Vorstellung festgekrallt in den Köpfen. Doch die Idee des alpinen Wohnens ist größtenteils ein Mythos. Mehr als Bank und Tisch hat kaum eine Bauernstube zu bieten. Gewohnt wurde weniger. Eher sich aufgehalten. Doch ein Möbelstück sticht in der Klischeewahrnehmung noch besonders hervor: Ein Brett für die Lehne, eines für die Sitzfläche – der Brettstuhl. Meist aus Fichte – das Material, das vor der Tür lag, war das zugänglichste für die Menschen, die in den Alpen Möbel bauten. Eine archaische Ikone ist der Stuhl mit herzförmiger Lehne und Griffloch inzwischen. Eine gute Grundlage für die gestalterische Neuinterpretationen durch die Designer. Schmidinger Möbelbau etwa, aus Schwarzenberg im Bregenzer Wald, ließ die Allgäuer Designerin Sabine Bischof den Brettstuhl neu „aufsetzen“, als bequemen Formholzstuhl, die Herzform und das Griffloch blieben.
Auch der italienische Designer Luca Nichetto hat sich aus der kollektiven Vorstellung des alpinen Interiors formale Anklänge geborgt, die ikonische Form aus den engen Alpentälern in die Weite der Möbelwelt transferiert. Sein Entwurf für den italienischen Hersteller Casamania heißt „La-Dina“. Der Name nimmt Bezug auf die Ladiner, die sich in den Bergen der Dolomiten niedergelassen haben. Der Stuhl sei dem alpinen Vorbild ähnlich genug, sagt Nichetto, sodass man ihn etwa als nahen Verwandten oder engen Freund identifizieren könne.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.