„Cosiness“: Heimeliger Hausverstand

Weichheit. Heimeligkeit lässt sich nicht ganz so leicht erzeugen wie ein Klischeebild davon.
Weichheit. Heimeligkeit lässt sich nicht ganz so leicht erzeugen wie ein Klischeebild davon.(c) Produktfoto: Schaukelstuhl Comeback von Kartell
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Ein Buch geht der Gemütlichkeit auf den Grund: vom Bergchalet über das City-Loft bis zum Strandhaus. „Cosiness“ ist individuell und nicht immer planbar.

Häuser, das sind jene Kon­strukte, in die es im besten Fall nicht hineinregnet. Ein Heim, das ist jenes Kon­strukt, das sich nur bedingt konstruieren lässt. Obwohl hunderte Firmen Zeug verkaufen, von dem sie groß­spurig vesprechen, dass es damit viel besser gelingt. Die Transformation vom Haus zum Heim scheint so unerklärlich und unergründlich wie die Liebe auf den ersten Blick. Tyler Brûlé, Herausgeber des Mono­cle-Magazins, versucht trotzdem, das schwer Fassbare inhaltlich ein wenig abzustecken: das Geheimnis der „Cosiness“ – in dem Buch „The Monocle Guide to Cosy Homes“. Heimeligkeit, Gemütlichkeit, Wohnkomfort sind Erfahrungen, die einen umfangen wie ein warmes Gefühl. Und weil sie so abstrakt sind, haben sich auch die meisten Design- und Wohnmagazine nie wirklich bemüht, sie realistisch einzufangen: Denn den Möbeln in unterschiedlichen Konstellationen und bildlichen Arrangements fehlt meist der entscheidende Gefühlsfaktor – der Mensch selbst. In der Design- und Architekturfotografie hat er keinen Platz, so scheint es. Dabei wären alle Orte und Räume gemütlicher, heimeliger, beseelter, vertrauter, wenn man sie mit den besten Freunden und liebsten Familienmitgliedern einrichten würde. Aber das geht nicht. Deshalb muss man die Stellvertreter nehmen, die Möbel- und Deko-Objekte, die manchmal auch zu Freunden und Freundeskreisen werden.

Spätestens seit den 1950er-Jahren feilen Immobilienmakler und Marketingleute ähnlich emsig an einer Vorstellung: dem Heim. Doch in die heutige Zeit will diese nicht mehr so ganz passen. Eine neue Idee müsse her, meint Designerin Ilse Crawford in einem der Essays, die den Band aus dem Gestalten-Verlag eröffnen. Und diese Idee soll „das Alltägliche feiern, das in der Realität Geerdete. Als informellen Ort, an dem man sich verwurzelt und entspannt fühlt, an dem man mit anderen interagiert“. Kleine Gesten statt stylischer Statements könnten ein Weg dorthin sein, meint Crawford. Oder noch einfacher: Den Hausverstand wieder aus dem Schlummerzustand holen. Vor lauter Euphorie, das moderne Leben ins Haus zu holen, haben ihn ja viele vor die Tür gesetzt. Mitsamt allen Instinkten, die uns schon gezeigt hätten, wohin wir die Möbel rücken sollen. Jetzt diktieren es uns meist die Wohnmagazine und Designbücher.

Individuelle Erfahrung. Tyler Brûlé charakterisiert das „Cosy“-Prinzip als das „elegante Warme, Unberührte, Originale, Authentische, das perfekt Beleuchtete und das Gegenteil von over-designed und overdone“. Cosiness sei eine subjektive Erfahrung, die man im Winter in Kopenhagen oder Vermont genauso machen kann wie im Hochsommer an der australischen Küste. An all diesen Orten erlebten Menschen Momente, schreibt Brûlé, die man am liebsten anhalten würde, in denen man am liebsten versinken würde, eingelullt von den vielen warmen Sinneseindrücken, die auf uns einprasseln. Die Möbel, die Designobjekte müssen dazu die Atmosphäre mit emotionalen Qualitäten, haptischen Merkmalen füllen und durch die kleinsten Poren ihrer Details Sinnlichkeiten in den Raum atmen. Nur so kann aus einem Haus ein Heim werden.

Der „Monocle Guide to Cosy Homes“ hat Fotografen und Illustratoren losgeschickt, um abzubilden, was sich im Grunde nur erleben lässt. Aber eine Reihe von Beiträgen und Essays umhüllen die Bildebene mit einer wohligen Wolke von Ahnungen, was Cosiness bedeuten könnte. Fest steht für die Autoren: Wohnlichkeit kann nur dort entstehen, wo gewohnt wird. Wo Menschen die glatte Katalogästhetik sinnlich spürbar aufrauen. Wo sich ihre Erlebnisse, ihre ­Biografien, Geschichten und Episoden des Zusammenlebens auch in die Atmosphäre der Häuser, in ihre Oberflächen ein­gravieren.

Als „Guide“ will das Buch natürlich auch eine Anleitung dazu sein, wie man sich auf dieser Welt heimelig verortet. Dazu braucht man etwa auch die geeignete Community. Und diese kann man in einem vertikalen Dorf mitten in der Stadt, in einem Wolkenkratzer in Chicago genauso finden wie entlang der Gold Coast in Australien. Das Buch zeigt die besten Plätze, an denen man aus seinem Haus ein Heim machen könnte, an denen man seine individuelle Cosiness verwurzeln und verorten könnte – in Straßen, Dörfern, Städten, ­Metropolen, in den Bergen wie am Strand. Und das alles passt zur von Monocle selbst ausgerufenen „lokalen Perspektive auf das Globale“, die Rio de Janeiro wie Toronto, Strandhäuser wie Villen, City-Lofts und Bergchalets gleichermaßen unter die Lupe nimmt. Trotz allem scheint es wie mit dem Coolsein zu sein: Cosiness passiert. Wenn man auf sich selbst hört.

Tipp

„The Monocle Guide to Cosy Homes“. Erschienen im Gestalten-Verlag, shop.gestalten.com. Das Buch zeigt Beispiele und Ideen, wie man aus einem Haus ein ­Zuhause schafft.

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