Mailand: Möbel zeigen ihr Gesicht

  • Drucken

So personalisiert wie selten: Der Salone del Mobile in Mailand streute den Designern Rosen.

Möbel und Menschen. In Mailand treffen sie traditionellerweise so geballt aufeinander wie in den eigenen vier Wänden nie. Auf dem Salone del Mobile steht wie üblich gut beleuchtet ein Haufen der einen Spezies herum, damit sich durch ihn ein Haufen der anderen Spezies euphorisiert zwängen darf. Denn schließlich geht es auf der größten Möbelmesse der Welt um eine der wichtigsten Produkteigenschaften überhaupt: um das Neu. Manche Möbel waren sogar so neu, hört man, dass sie es gar nicht rechtzeitig auf die internationale Bühne geschafft haben. Fast zu ambitioniert, diese Technologien.

Von vielen Möbeln standen zumindest die Prototypen in der Auslage, mit dem Versprechen, auch in den tatsächlichen Auslagen der Showrooms in Bälde zu stehen. Und irgendwie ging es beim Salone, dem gehypten Möbelwahnsinn, auch diesmal fast mehr um die Menschen als um die Möbel selbst, auf denen sie sitzen, liegen, essen, in die Luft schauen. Zumindest um jene Menschen, die Möbel erfinden, sich ausmalen, an sie glauben, an ihnen festhalten, sie wieder herauskramen aus Archiven, auf den Markt bringen. Denn auch die Möbelhersteller gehen langjährige Beziehungen ein, mit den kreativen Köpfen, die mitbestimmen, warum die Möbelwelt so aussieht, wie sie aussieht. Konstantin Grcic ist einer von ihnen, und mit dem italienischen Hersteller Cassina verbindet ihn ein kreatives Gedanken-Ping-Pong, das nunmehr schon 25 Jahre dauert. Auch das wurde in Mailand gefeiert. Doch das ist nicht die längste Beziehung. Für den Hersteller Living Divani gibt Piero Lissoni sogar schon seit 1988 den Art Director.

Kartell räumte seinen maßgeblichen De-signern auf seinem riesigen Messestand sogar eigene, kleine Designermuseen ein. Quasi als Fürsprecher der Marke. „Talking Minds“ hieß diese Präsentation, die Desi-gner von Antonio Citterio bis Philippe Starck mit Sinn und Sprüchen füllten. Und natürlich auch mit Produkten, die sie für die Kollektion von Kartell im Lauf der Designgeschichte beigesteuert hatten. Andere Designhersteller haben auch bei der Messe, bei der traditionell das Neue im Fokus steht, Verbindungen weit zurück in Zeiten gepflegt, als das Material, das Kartell für seine Möbel verwendet, noch gar nicht richtig erfunden war. Und der Salone als Möbelmesse ebenso wenig. Bei Carl Hansen, quasi einem der dänischen Design-Leitbetriebe, gehören zu den maßgeblichen Köpfen nicht nur Designer aus der Vergangenheit, sondern auch ein Familienmitglied der Gegenwart: Knud Erik Hansen führt das Unternehmen.

Dem „Heritage Chair“ aus dem Jahr 1930 von Frits Henningsen musste der Enkel von Firmengründer Carl erst zufällig in einem Vintage-Möbelgeschäft begegnen, damit es überhaupt eine Designvorlage für die Neuauflage geben konnte. Die österreichische Möbelmanufaktur Wittmann war dafür in einem Archiv umtriebig: in jenem der Friedrich-Kiesler-Stiftung in Wien. Dort hat die Familie Wittmann vielversprechende Skizzen des Künstlers und Architekten aufgestöbert, zufällig sind ein paar Monate später tatsächlich zwei Originale der „Mergentime“-Stühle auf dem Kunstmarkt aufgetaucht. Sie dienten als maßstabgetreue Designvorlage für den Stuhl, der sich auf dem Salone zum ersten Mal in die aktuelle Kollektion fügen durfte. Der deutsche Hersteller Walter Knoll, der seinerseits schon jahrelang gute Beziehungen zum österreichischen Designbüro Eoos pflegt, durchforstete für eine seiner Re-Editionen diesmal die türkische Designgeschichte und stieß dabei auf eine Ikone der türkischen Moderne, den „Fish-Net Chair“ des Künstlers Sadi Ozis aus den 1950er-Jahren.

Autorenschaft. Nicht nur die Beziehungen zwischen Mensch und Möbel rückten in den Mittelpunkt, die Konzepte, die sich schon in den letzten Jahren grob abgezeichnet hatten, bekamen ebenso noch ein wenig mehr Scheinwerferlicht ab, wurden zum Teil verfeinert, jedenfalls intensiv ausgebreitet. Wie das Prinzip, das Neu, das auch einfach ein neuer Anstrich sein kann: mit Farbe. Deshalb war der Stehsatz des Salone so etwas wie „Das bewährte Punkt, Punkt, Punkt. Jetzt auch in Punkt, Punkt, Punkt.“ Etliche Klassiker und Ikonen wurden neu getüncht, mit neuen Farbpaletten individualiserbar gemacht. Vor allem, um Erfolgsmodelle noch breiter erfolgreich auf dem Markt und in den Eigenheimen der Menschen aufzustellen. Ein Farbhauch von zarter Unangepasstheit durchzog die Messehallen, die auch traditionell von den eleganten Klassikern der italienischen Möbelindustrie in allen ihren Graustufen und Braunnuancen durchzogen wird. Trotzdem sind Hersteller und Designer, die Mut zur Lieblichkeit beweisen, die Ausnahme im gleichgewaschenen Mainstream: Wie etwa Moroso mit dem „Senegal-O Chair“ von Tord Boontje. Ein Traumfänger zum Sitzen. Und zum Träumen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.