Der Geburtsort der glänzenden Tischkultur

Vaugoin wollte eigentlich an die Börse. Doch nach dem plötzlichen Tod des Vaters konnte er das 170 Jahre alte Familienunternehmen nicht sterben lassen.
Vaugoin wollte eigentlich an die Börse. Doch nach dem plötzlichen Tod des Vaters konnte er das 170 Jahre alte Familienunternehmen nicht sterben lassen. (c) Die Presse/Clemens Fabry
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Jean-Paul Vaugoin ist Autodidakt, sein Einstieg in die familiengeführte Silberschmiede Jarosinski & Vaugoin war nicht in seiner Lebensplanung vorgesehen. Porträt eines Unternehmens.

Anfang August liegen die edlen Schauräume der Silberschmiede Jarosinski & Vaugoin in funkelnder Stille. Kunden, die bei Jean-Paul Vaugoin ihre Teelöffel und Tortenheber aus Echtsilber erstehen, ziehen bei hochsommerlichen Temperaturen dann doch das Privatanwesen am Wörthersee der Shoppingtour in der heißen Wiener Innenstadt vor. Hier im siebten Bezirk, in einem der wenigen von den Bombenhageln des Zweiten Weltkriegs verschonten gedrungenen Biedermeierhäuser residiert seit 1903 ein Relikt der Wiener Handwerkskunst. Wobei der 34-jährige Firmenchef Bezeichnungen wie altmodisch oder rückwärtsgewandt in Zusammenhang mit seinem Betrieb nicht goutiert. „Wir produzieren, was der Markt verlangt“, betont er. Und der Kundenkreis, der sich ein sechsteiliges Essbesteckset aus Echtsilber für 10.000 Euro leisten kann, ist nun einmal ein traditionsbewusster.

Zumindest in Österreich. Der Erbe des 1847 gegründeten Handwerksbetriebs hat genügend Geschäftsreisen hinter sich, um von seinen mehr als 200 Mustern das auf das Land perfekt abgestimmte Besteck im Schauköfferchen mitzubringen. Jugendstil und Art déco für die Pferdezüchter im Herzen Amerikas, Verschnörkeltes für den arabischen Raum, Glattes für den russischen. „Viele Flugmeilen, Essensrechnungen und persönliche Kontakte“ – oft jahrelange, behutsame Verkaufsanbahnungen – seien notwendig, damit die kleine österreichische Silberschmiede international reüssieren kann, sagt Vaugoin. Wobei er schnell ergänzt: „Wir dürfen nie den Heimatmarkt vergessen, der uns 170 Jahre ernährt hat.“ Das Brot- und Buttergeschäft mache man noch immer mit Reparaturarbeiten, Taufgeschenken und Hochzeitslisten für das „stille, alte österreichische Geld“.

Silber, Sacher, Staatsoper

Dennoch: Wenn einmal ein Großauftrag eingeht, kommt er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Ausland, etwa aus den Königshäusern Malaysiens und Katars. Wenn die gut betuchten Gäste auf Besuch in Wien weilen, dürfen sie nie das Gefühl haben, man wolle ihnen bloß eine Gabel verkaufen, betont Vaugoin. Sie wollen in die Oper, ins Sacher ausgeführt werden. „Sie mögen den klassischen Beigeschmack“, sagt er und man merkt, dass das auch für ihn, der sich am liebsten im Anzug und mit Stecktuch im Revers präsentiert, gilt.

Jean-Paul Vaugoin, dessen Vorfahren der familiären Überlieferung nach sowohl ein Schloss nicht weit von Paris als auch eine Teilnahme an Napoleons Russland-Feldzug vorweisen können – betreibt das Familienunternehmen in der Zieglergasse 24 seit 2003. Dass er, der studierte Betriebswirt, die Werkstatt seines Vaters Hans Vaugoin übernimmt, war in seiner Lebensplanung nicht vorgesehen. Er wollte an die Börse, wollte mit Zahlen und Kursen jonglieren – und wenn möglich nicht in Wien.

Doch dann starb sein Vater unerwartet mit 64 Jahren. Und er und seine beiden Brüder standen vor der Frage: Will die Familie den Laden nach fast 160 Jahren tatsächlich zusperren? Sie entschieden sich dagegen, 2005 übernahm Jean-Paul Vaugoin allein das Ruder. Das Team war unter seinem Vater auf einen einzigen Mitarbeiter zusammengeschrumpft. Und von der ebenfalls namensgebenden Familie Jarosinski, mit der man sich um die vorletzte Jahrhundertwende zusammengetan hatte, war bis auf den ersten Teil des Firmennamens nichts mehr im Betrieb übrig.

So holte der Sohn einige ehemalige Angestellte aus dem Ruhestand zurück und brachte sich neben seinem Wirtschaftsstudium die Grundfertigkeiten des Silberschmiedens bei. Heute pflegt das Unternehmen Kooperationen mit modernen Designern und Wiener Traditionsbetrieben wie Augarten, Lobmeyr oder der Schwäbischen Jungfrau. Im Betrieb ist man wieder zu acht, davon stehen fünf Mann in der Werkstatt. Lehrlinge hatte Vaugoin auch schon, aber zurzeit habe er keine Kapazitäten und mehr als seine zwei Meister vertrage das Unternehmen finanziell schwer. Zwei Drittel der Kosten entfielen heute auf die Löhne, ein Drittel auf das verarbeitete Rohmetall. Feinste Ziselierarbeiten würden bei ihnen zur Komplettierung der Ausbildung zwar noch gelehrt – aber de facto zahle diesen enormen Arbeitsaufwand heute niemand mehr. „Man sieht sehr viel und lernt tolle Kunden kennen“, sagt er über seine unerwartete Karriere als autodidaktischer Chef der traditionsreichsten österreichischen Silberschmiede. Aber die Gefahr, dass man umringt von so viel Glanz und Luxus den Bezug zur Realität verliert, bestünde nicht. „Wenn man nach dem achten Mal duschen noch immer Schleifpaste im Ohr hat, hebt man nicht ab.“

Auf abgehobene Allüren lässt auch die hinter dem edlen Schauraum gelegene, verwinkelte Werkstatt nicht schließen. Diese habe eine „alte Betriebsgenehmigung“, sagt Vaugoin. So konnten sich die gedrungenen Räumlichkeiten ihre frühere Urigkeit bewahren. Im Hinterhoftrakt des Biedermeierhauses wird das Echtsilber vor efeuumrankten Fenstern auf zwei Stockwerken wie vor 170 Jahren gestanzt, gefeilt, geschliffen, gereinigt, aufpoliert und anschließend nochmals galvanisch versilbert. In den Kästen entlang der Wände liegen Hunderte Stahlstanzen, mit denen das Silber bearbeitet wird – jede ist 4000 Euro wert. „Unser Kapital“, nennt sie Vaugoin.

Während er vorbei am leise dudelnden Radio, an den Familienfotos der Mitarbeiter und den niedrigen Holzbänken die einzelnen Arbeitsstationen abgeht und Handgriffe andeutet, erzählt er aus der Welt der gehobenen Esskultur. Etwa, dass die Verzierung auf der Rückseite des Löffels Überwurf heißt. Oder warum man den sprichwörtlichen Löffel abgibt. Oder dass Messer anders als Löffel oder Gabeln keinen Stiel, sondern ein Heft haben, und dieses hohl und mit Sand gefüllt ist, weil die geballte Ladung Echtsilber sonst zu schwer – und zu teuer – würde.

„Es ist ein schmaler Grat zwischen guter Betreuung und Überforderung“, schließt Vaugoin seine Ausführungen wissend. Bei der Auswahl an Grapefruitlöffeln, Spargelvorlegzangen und Eissicheln wundert es nicht, dass die Kundschaft, überfordert von der silbernen Besteckarmada, auf das Basisset für sechs Personen zurückgreift. Im betont starken Kundenkontakt sieht Vaugoin die Zukunft für hochpreisige Handwerke wie das seine. Auch wenn das noch mehr Essenseinladungen und Flugmeilen bedeutet. „Es klingt so blöd, aber es war nie einfach“, resümiert er die Lage der heimischen Gold- und Silberschmiede, die heuer ihren 650. Geburtstag feiern.

Das Rätsel der Saliera

Einen Vorteil hat seine Zunft gegenüber jener der Juweliere: Rolex und Ring sind auf dem Schwarzmarkt einfacher zu verkaufen als ein Echtsilberbesteck. So blieb Vaugoins Traditionssilberschmiede bislang vor Einbrüchen so gut wie verschont. Nur einmal verschwand etwas: seine Saliera. Nicht das echte, 2003 unter großem Medienecho aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlene Salzfass von Cellini, sondern dessen auch nicht eben billige Kopie – ein Geschenk an Queen Elizabeth aus Anlass ihres Wien-Besuchs in den 60ern. Sie verschwand nur zwei Monate nach dem Original, tauchte jedoch anders als dieses nie mehr auf. Aber das ist eine andere Geschichte.

ZUm BEtrieb

Ort. Die in sechster Generation von Jean-Paul Vaugoin geführte Wiener Silberschmiede Jarosinski & Vaugoin findet sich in einem alten Biedermeierhaus in der Zieglergasse Nr. 24 in Wien Neubau.

Alle weiteren Details zu der Werkstatt finden sich unter www.vaugoin.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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