London Design Biennale: Die Fäden im Wind

Balanceakt. „LeveL“, die raumgreifende ­Utopie-Interpretation von Mischer’Traxler.
Balanceakt. „LeveL“, die raumgreifende ­Utopie-Interpretation von Mischer’Traxler.(c) Ed Reeve Images
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Bei der ersten London Design Biennale hängt zwischen Thomas Mores „Utopia“ und den Krisen des Heute ein Gesellschaftsmobile von Mischer’Traxler.

Die Renaissance: War sie nicht Suche nach einer besseren Gesellschaft, nach einem besseren Leben mit dem Blick auf die Urdemokratien der Antike? Damals mag vielleicht etwas Wehmut in den Gelehrten gesteckt haben, die sich auf die Philosophien des alten Griechenland zurückbesonnen haben, und heute, ein halbes Jahrtausend später, ist es ganz bestimmt eine Nostalgie, die Kuratoren wie Künstler und Autoren sich ob der drängenden – humanistischen – Fragen des Heute nach der Renaissance sehnen lässt.

Auch die London Design Biennale, die in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet, hat sich dem Thema verschrieben und passenderweise im Werk des frommen Londoner Staatsmannes und Philosophen Thomas More verankert. Ein Glück, dass More sein „Utopia“ 1516 veröffentlicht hat: Das Werk über die egalitäre, demokratische Gesellschaft des Landes Utopia feiert sein 500-Jahr-Jubiläum, und trotz der vielen, vielen Jahre liefert es ein erstaunlich zeitgemäßes Motto. Im Somerset House an der Themse (einst, also in seiner ursprünglichen Form, ein Tudor-Palast und für einige Zeit Heimat Prinzessin Elizabeths, die später als Englands Königin für die Hochzeit der Renaissance in ihrem Reich mitverantwortlich sein sollte) stellen nun über 30 Nationen ihre Interpretation von „Utopia“, von Utopie im weitesten Sinn, aus, gegossen in Arbeiten ausgewählter Designschaffender.

Und die waren offenbar ziemlich begeistert von einem derart breiten Thema – oder fanden es höchst relevant. Utopisch kann, nun ja, immerhin alles sein und werden. Die politische Dimension, die More in seinem Klassiker erforscht hat, ist da nur eine Richtung.

Fragil. Für diese Auslegung von „Utopia“ entschieden sich allerdings auch die Gestalter des österreichischen Beitrags bei der Design Biennale. Der Titel: „LeveL – The Fragile Balance of Utopia“. Katharina Mischer und Thomas Traxler, die Köpfe des Wiener Studios Mischer’Traxler, haben im Somerset House eine Installation aufgehängt, die eventuell zuerst einmal eine Assoziation mit Wattestäbchen hervorruft. Aus dünnen Stäben bauten die beiden Designer ein Netzwerk: An den Enden der Querverbindungen sind Kunststofftütchen angebracht, die von innen mit LEDs beleuchtet werden. In recht kurzer Zeit haben Mischer und Traxler das Objekt entwickelt – die Anfrage zur Arbeit für die London Design Biennale sei erst vor knapp einem Jahr gekommen, erinnern sich die beiden. Organisiert hat den österreichischen Beitrag Austrian Design Net, die Interessengemeinschaft österreichischer Design­­organisationen, deren Fokus auf der Repräsentation österreichischer Designschaffender im Ausland liegt.

Physikstunde in London mit Katharina Mischer und Thomas Traxler.
Physikstunde in London mit Katharina Mischer und Thomas Traxler.(c) Austrian Design Net

Es ist ein sehr feines Werk geworden: im Raum schwebend, sich zart bewegend. Dennoch ist die Installation raumgreifend und -füllend; im Somerset House standen Mischer’Traxler rund 40 Quadratmeter zur Verfügung. Es soll uniform wie individuell gleichermaßen wirken: Die Kunststoffenden sind Unikate, durch die Beschaffenheit des Stoffes sind sie leicht verschieden geformt. Die Besucher sind eingeladen, mit dem Konstrukt zu interagieren, es anzustupsen, sanfter oder druckvoller, und die einzelnen Stäbe zu bewegen. Das Ergebnis der Interaktion ist dementsprechend schwach oder stärker ausgeprägt, aber immer sichtbar, dazu leuchten auch die Enden der Installation unterschiedlich: Ist das Objekt ruhig, strahlen die Leuchtkörper heller, bringt man es in Bewegung, leuchten sie schwächer. Neben willentlichen Impulsen durch die Besucher kommen außerdem noch andere externe Faktoren hinzu, die für Bewegung des Netzwerks sorgen, unkalkulierbarer Luftzug zum Beispiel.

„Wir wollen die Fragilität zeigen“, sagt Mischer, „die Utopie ist dem Kollaps immer sehr nahe.“ Wie sich also verschiedene Spieler in einem gesellschaftlichen Konstrukt verhalten, beeinflusst jedes Glied der Kette, sozusagen: „Das beginnt bei der Frage: Persönliche Freiheit versus Verantwortung für das Umfeld oder die Umwelt?“ Ein Mobile ist dafür ein passender Vergleich in der Objektart.

Die Designer sehen „LeveL“ allerdings nicht nur auf die Gesellschaft reduziert, mit ­­dem Balanceakt denken sie etwa auch an das Gleichgewicht der Biodiversität. „Den Gedan­ken bei dieser Arbeit wollen wir nicht komplett vorgeben“, sagt Traxler, wobei die politische Dimension durchaus bewusst erwähnt wird.

Mischer’Traxler setzen „LeveL“ ganz bewusst den äußeren Einflüssen aus, fast so, als ob sie beobachten möchten, wie sich das Konstrukt wieder stabilisiert – oder ob es das überhaupt tut. Das mag im Designkontext fast schon poetisch wirken. Doch es ist ganz im Sinne von Thomas More, der da geschrieben hat: „You wouldn’t abandon ship in a storm just because you couldn’t control the winds“ – man verlässt doch nicht das Schiff im Sturm, nur weil man den Wind nicht beherrschen kann. Es ist zeitgemäß, politisch zu sein, auch im Design.

Tipp

London Design Biennale, bis 27. September im Somerset House, Strand, London.

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