Shopdesigns: Achtung, Könige

Analogkultur. ­Supersense in der Praterstraße.
Analogkultur. ­Supersense in der Praterstraße.(c) Gebhard Sengmüller
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Geschäfte, Shops, Boutiquen: Design muss die Kunden an der Hand nehmen, aber auch mal loslassen. Jedenfalls: den Sinnen schmeicheln.

Abends, nach Geschäftsschluss, gehen Teile des Shopdesigns gern nach Hause: die Mitarbeiter. Oder die Geschäftsinhaber. Denn sie alle seien Teil des Ganzen, meint Innenarchitekt Hannes Zieher. Deshalb sollten sie schon bei den ersten Briefings Thema sein. Sonst droht auch den ambitioniertesten „Geschäfts“-Ideen der Culture Clash: Auf der einen Seite eine Designhaltung, die als Oberflächen, Materialien, Formen und Linien Gestalt annimmt. Auf der anderen Seite: eine Haltung, die Menschen dem Kunden gegenüber einnehmen. Da kann das Design noch so freundlich lächeln, winken, in Empfang nehmen. Oder auch zurückhaltend dastehen, bis es gebraucht wird. Der Mensch im Geschäft muss halbwegs synchron etwas Ähnliches tun. Sonst bleibt das Börserl der Kunden voll und ihr Einkaufssackerl leer. Natürlich kann man sich auch ein wenig unnahbarer geben in den Gesten, die man gestalterisch setzt. Schließlich will man ja nicht alle im Geschäft haben. Aber von der potenziellen Zielgruppe dann doch am liebsten so viele wie möglich. Und an diesem Ziel tüfteln die Shopdesigner fleißig mit.

Wohlfühlzonen. Mit jedem Kunden kommt auch ein hochsensibler Wahrnehmungsapparat ins Geschäft. Die Eindrücke, die er verarbeitet, die visuellen, haptischen, akustischen und olfaktorischen, lassen ihn gleich wieder gehen, bleiben oder immer wieder kommen. „Großzügigkeit in der Gestaltung und bei den Mitarbeitern macht auch die Kunden großzügiger“, glaubt Hannes Zieher. Selbst der Boden könnte mehr ästhetische Funktionen erfüllen als einfach nur daliegen. Aushalten muss er ohnehin genug, besonders an neuralgischen Punkten, wo sich die Kunden vor der Vitrine etwa ständig hin und her drehen. Und auch zwischen dem Boden und der Decke könnte man der großzügigen Geste Raum geben: Bei einem von Ziehers Projekten, dem Modegeschäft Wolfensson in der Wiener Innenstadt, hat das Shop­design sechs Meter Raumhöhe, um zu wirken und zu funktionieren.

Fliesen.  Bei Cortiço & Netos in Lissabon übernahmen die Enkel das Geschäft.
Fliesen. Bei Cortiço & Netos in Lissabon übernahmen die Enkel das Geschäft.(c) Fotos aus „The Creative Shopkeeper“, AV Edition Verlag

In der Boutique hat sich das Interior-­Design mit dem Segen des Bauherrn etwas geleistet: ein vorhandenes Zwischengeschoß herauszunehmen. Dadurch wurden zwar die Quadratmeter weniger, dafür der Gesamteindruck um ein Vielfaches generöser. Hannes Zieher ist auch schon mit zukünftigen Shopinhabern auf Immobiliensuche gegangen. Um rechtzeitig einschätzen zu können, wann konkrete Vorstellungen mit konkreten Räumen kollidieren könnten. Doch im Otto-Wagner-Haus im ersten Bezirk, bei Wolfensson, da konnte der Interior-Designer so einige alte Schichten herausschälen, das Vorhandene dekonstruieren und zeitgemäß umdeuten.

Multisensorisch. In der Wiener Prater­straße 70 sind die Verhältnisse niedriger, doch der Raum misst noch immer knapp 4,60 Meter. Aber schon der goldene Stuck an den Decken im denkmalgeschützten Dogenhof definiert den Raum, bevor der Shopdesigner erste Gedanken überhaupt anlegen kann. Hier wurde dem feinfühligen Kundenkönig großzügig Raum gelassen, um seine Antennen in Ruhe auszufahren. Schließlich trägt das Geschäft mit angeschlossenem Café auch die sensorische Besonderheit im Namen: Supersense. Die „Welt der analogen Produkte“ breitet sich dort aus, entlang eines Designkonzepts und auf Möbeln, die die Gestalter Robin Molenaar und Yvonne Krisch für sie bestimmt haben. Von Zeit zu Zeit werden sie neu arrangiert, jedenfalls sind sie von den Wänden weggerückt, komponiert zu einer Art Parcours, der den Raum durchläuft. Durch den vordefinierten Palais-Charakter, erzählt Molenaar, gäbe es nur zwei mögliche Gestaltungsstrategien: „Ent­­weder mit dem Prunk mitspielen. Oder einen Gegenentwurf dazu liefern.“ Zweiteres wurde umgesetzt.

Radkultur. ­„Monochrom Bikes“ in Buenos Aires, ­Argentinien.
Radkultur. ­„Monochrom Bikes“ in Buenos Aires, ­Argentinien. (c) Fotos aus „The Creative Shopkeeper“, AV Edition Verlag

Die analogen Produkte im Supersense, beispielsweise Polaroidkameras, wirken beinahe so, als wären sie selbst Teil des Interior-Konzepts. Die Museumsanmutung und den Shopgestus auszubalancieren, war dabei eine der Aufgaben, sagt Molenaar. Nur: Im Museum ist Berühren eher verboten, im Geschäft eher erwünscht. Da muss dann auch das Design Grenzen ziehen, genauso wie zwischen dem Gastro- und Shopbereich. Aber vor allem bei der Produktpräsentation ein paar Unsicherheiten ausradieren, klar sagen: „Nimm’s ruhig in die Hand.“ Ohne zu fürchten, dass den Kunden die Blicke der Mitarbeiter auf die Finger klopfen. Vor allem in einem Shop, der den Sinnen gewidmet ist und den analogen, angreifbaren Dingen.

Große Fenster, das wünscht man sich für Kaffeehäuser, doch in Shops, sagt Molenaar, kann das auch blenden, vor allem die Wahrnehmung der Produkte, die man verkaufen will. „Aber es muss auch nicht immer alles komplett flach und schattenlos ausgeleuchtet sein.“ Im Supersense baumeln jedenfalls Leuchten an Stangen, die man auch kaufen kann. Als ein Stück Shopdesign für zu Hause.

Minimal. Das Volta in der Siebensterngasse, 1070 Wien.
Minimal. Das Volta in der Siebensterngasse, 1070 Wien. (c) J.Hirtzberger

Gepflegte Zurückhaltung. Manchmal sind die Shopbetreiber auch Handelsquereinsteiger, oft selbst Kreative, die sich die räumliche Ausgestaltung zutrauen. Auch wenn zumeist zwei Dimensionen ihr Berufsfeld begrenzt haben: wie bei Cornelia Wedam-Liegler, Grafikdesignerin. Und nunmehr Geschäftsinhaberin von Volta in der Wiener Siebensterngasse. Dort ist sie vom flachen Corporate-Design-Verständnis in die Tiefe des Shopdesigns getaucht. „Wir haben im Geschäft viele handwerklich produzierte Produkte aus hochwertigen Materialien, da sollte sich die Shopgestaltung nicht extra aufdrängen“, erzählt Wedam-Liegler. Minimalismus und Zurückhaltung waren im Volta eher die Gestaltungsmaximen. „Doch zu clean sollte es dann auch wieder nicht werden.“ Deshalb, wohldosiert, Holz: roh als großer Tisch. Und alt, als Vitrine. Doch auch in diesem Geschäft wirkt es fast so: Wenn ein Produkt mit dem Kunden das Geschäft verlässt, geht auch ein kleiner Teil des Interieurs gleich mit. „Die Produkte sollen alle zusammen im Raum wirken. Aber auch jedes für sich“, sagt Wedam-Liegler. Und dafür gönnte sie jedem Objekt einen „Mikro-Wirkungsraum“, in dem es seine ästhetischen und haptischen Stärken ausstrahlen darf: ein Abschnitt in den weißen, schlichten Regalen, die sie anfertigen ließ.

Balance halten. Irgendwie ist es dann doch wieder fast wie im Grafikdesign. Zumindest bei der Frage: Wie viel Weißraum lässt man dazwischen? Schließlich muss man geschickt die Anmutung „Galerie“ mit der Wahrnehmung „Geschäft“ auspendeln. „Bei zu vielen Produkten wirkt es natürlich auch schnell überladen“, sagt Wedam-Liegler. Sind es zu wenige, dann wirken sie schnell wie Ausstellungsstücke. Nach außen hin wirken, dachte sie sich jedenfalls, kann man auch ohne zu „schreien“: Das Portal von Volta hält sich konsequent zurück. Ganz ohne Neon, Schriftzüge und „Hurra, da bin ich“. „Unser Logo ist zwar sehr groß, aber in dezentem Weiß.“

(c) Beigestellt

Tipp

„The Creative ­Shopkeeper. Neue Läden“, von Lucy Johnston, AV-Edition, 39 Euro.

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