Hurra, wir reden noch

Privatsphäre. „Aura“ von Inno schützt vor Blicken. Und auch vor Lärm.
Privatsphäre. „Aura“ von Inno schützt vor Blicken. Und auch vor Lärm.(c) Beigestellt
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Möbel funktionieren auch auf der Beziehungsebene: vor allem, wenn sie Kommunikation anbahnen.

Parteien und Start-ups gründen, zur Revolution verschwören. Das eigene Leben auf den Kopf stellen. Auch für die nicht ganz so leichten Gesprächsthemen gibt es Orte, an denen sie leichter fallen: Das Kaffeehaus etwa, das Wiener vor allem, soll so einer sein. Denn im Interieur von vielen ist aus gestalterischer Sicht Spektakuläres gelungen: dem Menschen ein Habitat zu bauen, in dem er seine paradoxen Bedürfnisse selbst austarieren kann. Nämlich jenes, allein zu sein. Und jenes, nur ja nicht allein zu sein. Bedürfnisse, die noch dazu gleichzeitig befriedigt werden wollen.

„Der perfekte Platz, um allein unter vielen zu sein“, hat der Architekt Gregor Eichinger einmal das Kaffeehaus genannt. Denn neben einem paradoxen Wesen ist der Mensch vor allem auch eines: ein soziales Geschöpf. Und ein Gespräch wäre da ein ganz guter Anfang. Zum Glück helfen ihm so manche Möbel und Designideen dabei.

(c) Andres Valbuena

Man wollte es ja fast nicht mehr glauben: Menschen wollen sich doch begegnen. Obwohl sie den ganzen Tag eifrig bemüht sind, einander auszuweichen, keinen anzurempeln und in der eigenen Parallelwelt tunlichst auf Spur zu bleiben. Als Begegnungszonen versteht man oft die virtuellen. Ein Irrtum. Denn das Internet trennt viel mehr, als es verbindet. Es zersplittert die Gesellschaft in Privatsphären, Interessengruppen und Bedürfnisblasen. Und wo sich Menschen nicht mehr treffen, so Face to Face, haben auch kreative Funken kaum Chancen, zu zünden. Bürodesigns sind deshalb oft eifrig bemüht, reale Begegnungs- und Kommunikationsorte zu installieren. Am besten solche, an denen sich Kommunikation informell, auf Augenhöhe und authentisch anfühlt. Und nein, Loungemöbel, auf denen man knapp über Bodenhöhe in der eigenen Trägheit versinkt, in Erwartung, dass man irgendwann einen Cocktail gereicht bekommt, sind meist nicht die Lösung.

Schon eher sind es Konzepte, denen die akribische Analyse des Kommunikationsprozesses vorausgegangen ist: Wie etwa bei der Möbelserie „Talk“, die ihre eigentliche Bestimmung schon im Namen trägt. Das österreichische Designstudio Eoos hat sie entwickelt – für den US-amerikanischen Hersteller Keilhauer. Die Möbel sollen dabei als Anbahner funktionieren, indem sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass überhaupt gute Gespräche entstehen. Wenn diese dann noch ein paar gute Ideen abwerfen, hat das ganze Unternehmen profitiert von der gestalterischen Zuwendung der Designer.

Gegenüber. Für Teknion gestaltete ­Pearson Lloyd Möbel auf Augenhöhe.
Gegenüber. Für Teknion gestaltete ­Pearson Lloyd Möbel auf Augenhöhe. (c) John Ross

Entspannungszonen. Mit den Bänken von „Talk“ kann man eine wichtige Phase der Kommunikation gleich überspringen, das Aufeinander-Zugehen. Denn sie bringen die Menschen schon in Position: Automatisch sitzt man einander zugewandt. „Wir haben in unserer Recherche festgestellt, dass Menschen, die sich treffen, automatisch eine bestimmte Position zueinander einnehmen“, erklärt Gernot Bohmann von Eoos. In einem bestimmten Winkel zuei­nander positionieren sich die Gesprächspartner normalerweise. In einer Art V-Stellung. Und die Bank von „Talk“ hat genau diese bereits in Form gegossen. Die Menschen müssen ihre Position gar nicht mehr einnehmen, weil die Möbel sie das bereits tun lassen.

Schutzzone. Und auch die hohen Rückenlehnen begünstigen, was der ungehemmte Kommunikationsfluss braucht: ein gutes Gefühl beim Reden. Ein bisschen Abschirmung vom Rest des Raumes fördert schon die Konzentration auf das Wesentliche: jenen, der einem gegenübersitzt. So schützt „Talk“ vor dem visuellen Lärm des Rundherum genauso wie vor dem akustischen. Wie ein Ohrensessel zieht die Bank die Lehne bis weit über die Ohren. Eine intime Nischensituation – fast wie im Kaffeehaus.

Von Angesicht zu Angesicht. „Traveller“ von Porro, ein ­Daybed mit Augenkontakt.
Von Angesicht zu Angesicht. „Traveller“ von Porro, ein ­Daybed mit Augenkontakt. (c) Beigestellt

Auch der finnische Hersteller Inno hat solche intimen Kommunikationsräume, ganz ohne Wände, in seinem Portfolio. Zuletzt hat der finnische Designer Mikko Laakkonen einen entworfen: „Aura“ heißt das Zweisitzer-Sofa, das eine großzügige geschwungene Lehne umarmt, und die, die darauf sitzen, gleich mit. Das reduziert das Gefühl der Exponiertheit und erhöht die Chance, dass man sich nicht scheut, zu sagen, was gesagt werden muss. Wer sich unbeobachtet fühlt, fühlt sich wohler. Deshalb firmiert „Aura“ auch unpräzise unter „Entspannungssessel“.

Manchen Büromöbeln merkt man ja gar nicht mehr an, dass sie Büromöbel sind. Der Hersteller Teknion hat sich vom Designduo Pearson Lloyd aus England eine Kollektion gestalten lassen, die Menschen und ihre Ideen auch nah zueinander bringt. Ein Doppelsitz, bei dem sich die Gesprächspartner gleich gegenübersitzen. So nah, wie es die unsichtbare Zone der sozialen Distanz, die jeder Mensch um sich herumträgt, gerade noch zulässt. Jetzt fehlen nur noch die richtigen Worte.

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