Ästhetische Bewerbungsverfahren

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Die Ästhetik der Werbung wandelt sich wie die Gesellschaft. Doch gute Werbung folgt seit 1977 denselben Regeln.

Werbung ist ja ganz schön dreist. Sie borgt sich aus, was sie gut verwenden kann für ihre Zwecke: etwa die tollen Merkmale, Eigenschaften und Wirkungen anderer. Manchmal bedient sie sich ungefragt. Bei den Konnotationen von Gold etwa, wenn es darum geht, das Joghurt oder die Schokolade zu veredeln. Oder bei Blümchen und dem grünen Gras, wenn das Produkt „natürlich“ und „gesund“ sein will. Manchmal fragt die Werbung aber auch an, macht Verträge. Wenn Produkte mit Prominenten Pärchen bilden. Auf Anzeigen und in Werbespots. „Indexikalische Bedeutungsübertragung“ sagt die Werbesemiotik dazu. Sprich: Wenn Boris Becker dynamisch ist – oder war – und sich Nutella aufs Brot schmiert, dann ist Nutella danach auch irgendwie dynamisch. So hat's schon immer funktioniert. Schon in der Frühzeit der Werbung. Da hat man seinen Produkten einfach einen Kaiser, König, Edelmann beigestellt, um sie aufzuwerten. Alles ist in der Werbung wie früher. Nur auf den zweiten Blick scheint alles anders.

Konstanten und Variablen. Verändert hat sich vor allem die Technik, mit der Werbung produziert und natürlich auch rezipiert wird. Doch im Kern hat Werbung dasselbe Potenzial und dasselbe Problem wie vor 100 Jahren – oder vor 35, als das „Schaufenster“ auf die Welt gekommen ist. „Damals hat es nicht viel Werbung mit guten Ideen gegeben. Und heute ist das nicht viel anders“, urteilt Mariusz Demner von Demner, Merlicek & Partner. Seine Agentur ist ja fast so konstant wie die Werbeweisheit „Eine gute Idee passt auf einen Bierdeckel“. Trotzdem: Die Scheitel saßen anders, nicht nur bei den Werbemachern, sondern auch bei den Models in den 1970er-Jahren. Und auch die Rolle der Werber und jener, mit denen geworben wurde, war eine andere. Makellosigkeit war natürlich schon in den 70ern modern. Der Weg dorthin allerdings ein anderer: „Damals gab es ganz wunderbare Luftpinsel-Retoucheure“, erzählt Demner. Sie taten dasselbe, was heute „Photoshop“ kann und die Grafikerhände, die die Maus bewegen. „Im Grunde waren die Umsetzungen der Werbesujets genauso perfekt wie heute, nur der Aufwand war ein viel größerer.“ Ein Blick in die Archive zeigt, wie die Werbung die Welt sah. Und wie die Welt sich in der Werbung sehen wollte. Die Werbung ist heute wie damals geprägt vom sozialen und kulturellen Kontext, in dem sie entsteht. Von Strömungen, Zeitgeist, Moden, Schönheitsidealen. Und gleichzeitig prägt sie all diese.

Seit 1977 stapeln sich im Archiv der „Presse“ die „Schaufenster“-Ausgaben. Und noch länger beschäftigt sich Günther Schweiger, emeritierter Professor an der WU Wien mit der Werbegeschichte. Sein Interesse mündete in ein Forschungsprojekt der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Titel „Marken- und Werbeforschung – Brand History“. Ein Werbemittelarchiv, das von der Wilhelm-Wilfling-Stiftung sowie der Oesterreichischen Nationalbank unterstützt wird. „Werbung scheint oft kurzlebig, schnell vergessen und vergänglich. Aber sie hat einen historischen Wert als Abbilder kultureller und sozialer Zustände“, erklärt Gerlinde Spicko vom Institut für Werbewissenschaft und Marktforschung. Und natürlich verraten historische Sujets auch etwas über die Bedingungen, unter denen sie entstanden sind. Heute heißen die Kreativen „Artdirector“ oder „Creative Director“. „Früher wurden Plakatsujets noch von namhaften Künstlern und Grafikern gestaltet“, erzählt Spicko. Das Werbemittelarchiv umfasst inzwischen über 50.000 Anzeigen, Dias von Plakatsujets und Werbespots. Für Forschungszwecke steht das Archiv Studenten der WU zur Verfügung.

Digitale Pinnwand.
Als das Schaufenster 1977 erstmals erschien, war Mariusz Demner 31 Jahre alt. Und seine eigene Agentur schon acht. Bis heute hat sie, mit Partnern Franz Merlicek und Harry Bergmann, einen Fixplatz in der Werbelandschaft Österreichs. Und noch dazu stets ganz oben in den Rankings, egal ob man dafür die gewonnenen Kreativpreise zusammenzählt oder die Umsätze. Rund um die Agentur durften die technischen Veränderungen wirbeln, über Jahrzehnte, ohne den Erfolg zu erschüttern. „Die kreativen Revolutionen wurden schon in den 60er-Jahren gemacht. In den 70er-Jahren wurden sie nur ausgebaut“, erklärt Demner. Und in den letzten 35 Jahren? „Die einzige Revolution in der Branche, die so gern von Revolutionen spricht, aber in Wahrheit sehr konservativ ist, war das Web.“ Eine neue „digitale Lebenswelt“ habe sich etabliert, meint Demner. In den 70er-Jahren haben sich die Jungen noch Anzeigen – die besonders coolen, originellen, kreativen – aus der Zeitung herausgerissen, an die Wand gehängt als Poster. Die Pinnwand ist heute eine andere, sie ist auf Facebook: „Im Grunde machen es die Leute wie damals. Sogar in einem viel größeren Maße. Doch das findet heute auf dem Laptop, dem iPhone, in der Hosentasche statt.“ Dort werde gepostet und verlinkt: „Und da ist auch viel Werbung dabei. Auch aus den 70er-Jahren.“
Zwischen 1977 und heute liegen nicht nur laute Geburt und leises Dahinscheiden von MTV – „Video Killed the Radio Star“ – sowie die Demokratisierung der Medien, bei der jeder plötzlich Sender und Produzent sein kann. Sondern auch eine Veränderung der Ästhetik und Inhalte der Werbung, die die kulturellen und sozialen Bedingungen abbildet. In den 70er-Jahren durften Gesichtscreme und Mann noch nicht gemeinsam auftreten in den Anzeigen. Damen fortgeschrittenen Alters, mit silbernen Haaren, höchstens mit Backblech in der Hand oder Enkeln auf dem Schoß. Wenn die Damen noch ein weniger jünger waren, hatten sie dort oft stattdessen eine Packung Waschmittel. Heute heißen die Omas „Silver Agers“ und definieren eine heiß umworbene Zielgruppe in den Werbestrategien nicht nur der Beauty-Konzerne. Männer dürfen in Anzeigen Babys im Arm halten – oder andere Männer. Und Männer dürfen „soft“ sein. Dabei reagiert die Werbung auf die Welt und formt sie gleichzeitig so, wie sie es braucht.
In den 70er-Jahren hatte Werbung einen großen Vorteil: Man konnte ihr nicht so leicht entkommen wie heute. Auf zwei Fernsehkanälen, in einer Handvoll Zeitungen und auf den Plakaten auf der Straße. Zeitgeist-Magazine der 80er wie der „Wiener“ waren noch nicht erfunden, die „Illustrierte“ à la „Stern“ und „Bunte“ in Österreich nicht vorhanden. Die Fellner-Brüder sollten erst Jahre später mit „News“ in die Medienlandschaft einfallen. Die Botschaften wurden in die Hirne gehämmert statt subtil injiziert. „Man hat damals zum Teil noch größere Budgets gehabt. Und so konnte man langweilige, simple Botschaften durch ewige Wiederholungen doch noch unter die Leute bringen“, sagt Demner. Vielleicht halten sich die Botschaften deshalb so hartnäckig im So-weich-dass-man-es-blind-erkennt-Register des Hirns. Dort, wo auch die „zarteste Versuchung“ und „putzt so sauber, dass man sich drin spiegeln kann“ zu Hause sind.
Manche Werbefiguren der 70er-Jahre sind heute noch vertraut wie Familienmitglieder. Meister Propper hat noch Gastauftritte, der rosa Cosy-Tiger lebt im Internet weiter. Dafür kommen die Familie Putz von Möbel Lutz oder das Schweinderl und der Bauer von „Ja! Natürlich“ so regelmäßig wie gute Freunde nach Hause. Demner, Merlicek & Bergmann schickt sie dorthin. Die 70er-Jahre brachten der Konsumwelt auch die ersten Krisenerfahrungen. Und prompt gebärdeten sich auch Werbesujets und -figuren retroromantisch. Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit verdrängte kurzfristig den Glauben an Fortschritt und Wachstum. Den Konsumenten brachte Antje deshalb den Käse aus Heile-Welt-Holland. Und die lila Kuh versorgte sie mit Schokolade aus den Alles-ist-gut-Alpen. Heute ist die Suche nach Beständigkeit, Verlässlichkeit und die Suche nach der Utopie in der Vergangenheit statt in der Zukunft wieder Thema. Auch in den Werbesujets.

Die Ideenwirtschaft. „Was bringt das beste Marketingkonzept, wenn Sie nicht die Aufmerksamkeit der Menschen finden können“, sagt Demner. „Sie kriegen ja den Fuß nicht in die Tür, indem sie die Tür eintreten.“ Eine gute Idee sucht sich andere Wege ins Bewusstsein. Als das „Schaufenster“ geboren wurde, waren die Leser noch Leser. „Das Zeitunglesen war noch ein Ritual“, sagt Demner. „Wir sind heute vielmehr ‚Wahrnehmer‘ oder ‚Seher‘. Etwas fällt uns auf oder nicht“, glaubt er. Und viele Magazine und Zeitungen sind gestaltet, als wären sie elektronische Medien. Zergliedert in Häppchen, die sich bequem durchscannen lassen. „Früher waren die Anzeigen noch wesentlich textlastiger“, erklärt Gerlinde Spicko vom Institut für Werbewissenschaft und Marktforschung der WU Wien. „Heute hat eine Anzeige durchschnittlich zwei Sekunden Zeit.“ Um ihren Job zu erfüllen, nämlich, Aufmerksamkeit zu erregen. Deshalb dominiert das Bild. „Weil die Information einfach schneller transportiert wird“, sagt Spicko. Textanzeigen haben hingegen nur dann eine Chance, sagt Demner, „wenn sie selbst zum Bild werden.“  

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