Designer gestalten Buchstaben. Zwischen den Buchdeckeln und auch außerhalb davon.
16.01.2019 um 00:35
Buchstabenraum Typografie findet schon längst nicht mehr nur zwischen und auf Buchdeckeln statt. Bücher werden inzwischen dreidimensional und haptisch gedacht, manchmal sogar als Einrichtungsgegenstände. Grafikdesigner werden Produktdesigner, dann dürfen ja auch die Buchstaben zu – Objekten werden. Da schreiben dann Möbel Schlagwörter wie Liebe, Design und Musik quer durch die Dreidimensionalität. Oder Halbsätze wie „Have been read“ und „Will be read“: Das „Typographic Bookshelf“ des Designers Mebrure Oral teilt den Bücherschatz in zwei Lager (www.meb-rure.com).
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Typografen formen die Buchstaben im Millimeterbereich. Produktdesigner denken größer: Da sind die Bäuche, Nischen, Schnörkel und vertikalen Linien plötzlich ganz praktisch, um CDs, Bücher und andere Dinge unterzubringen. Auch das Regalsystem „Anita“ des spanischen Herstellers Quattria macht sich das zunutze.
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Die Wörter aus Acrylglas lassen sich individuell online konfigurieren (unter www.quattria.com).
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Schriftbild ist auch Stadtbild. So kann man Wien auch einmal sehen. Vor allem, wenn man die Zeitschrift „Typotopographie“ aus dem August Dreesbach Verlag aufschlägt. In ihrer fünften Ausgabe folgt sie den Schriftspuren kreuz und quer durch Wien.
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Da trifft man in Interviews auf Gestalter wie Erwin K. Bauer und Gabriele Lenz, Verleger Nikolaus Brandstätter, den Salon für Kunstbuch, stolpert über verschwundene Leuchtbuchstaben und Menschen, die sie sammeln und ausstellen, landet schließlich auch in der Typopassage im Museumsquartier und im Wien-Museum. Dort prangen die Lettern „Südbahnhof“ aus den 1950er-Jahren über dem Eingang. Der dazugehörige Bahnhof ist längst verschwunden.
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Diese schlauen Konzepthotels: Natürlich ist es nirgendwo schöner als bei Mama. Diese Geborgenheit, diese bedingungslose Freundlichkeit. Da hat sich das französische Hotel „Mama Shelter“ eine schöne Geschichte zusammengereimt, Storytelling ist ja neuerdings Designaufgabe. Früher hat man nur mündlich Geschichten überliefert. Erst später waren die Schriftzeichen die Vehikel. Würde man sich im „Mama Shelter“ in Marseille auf den Rücken legen, nicht im Bett, dann hätte man einiges zu lesen.
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Philippe Starck erzählt die Designstory tatsächlich auch typografisch, an den Decken, an den Wänden. Zwischen Trash-Schwimmreifen, Gitarren, Tischfußball und anderen stark lifestylekonnotierten Dingen. Und das Ganze im Kreativquartier von Marseille: wo rauer Charme und glatter Chic allmählich zusammenfinden, am Cours Julien.
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Willkommen heißen, guten Appetit wünschen, den Tagesteller ankündigen. Da kann man auch gern die Kreidetafeln sprechen lassen oder gleich ganze Wände. In der Labstelle im ersten Bezirk Wiens greift dafür nicht der Wirt zum Stift, sondern der Gestalter. Leo Scheichenost vom Kreativteam Luftfabrik malt freihändig die passenden Buchstaben auf zwei Kreidewände im Lokal. Und zur Punschsaison ebenso auf Tafeln im Innenhof. Schließlich verdienen auch Glühwein und Eierlikör typografische Zuwendung. „Freehand Lettering“ nennt Scheichenost das, was er macht. Manchmal hat er auf Papier schon eine Grundstruktur skizziert. Ansonsten malt er die Wörter ohne Vorlage auf die Wand, zitiert aus dem gängigen Schriftenkanon, verziert sie mit individuellen Eigenheiten, gibt dem Wichtigen Größe und auch dem scheinbar ganz Banalen visuelles Gewicht.
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„Schön schreiben“, das musste Scheichenost schon in der Schule keiner sagen, erzählt er. Und heute gestaltet er mit Vorliebe typografisch. Wie auch das Booklet für das kommende erste Album seiner Band Olympique, in der er Klavier und Bass spielt. „Da hat jedes Lied seine eigene typografische Gestaltung.“
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Irene Rick liebt Wörter. Vor allem die fröhlichen, sagt sie. Und fröhlicher als ein „Pfitschipfeil“ kann man ja gar nicht durch die Luft sausen. „Mögen die schönen Dinge nicht in Vergessenheit geraten“ heißt das Buch, das die Grafikdesignerin Rick gestaltet hat. Denn bald könnte man vergessen haben, meint sie, dass man einmal so schöne Wörter wie „Gschisti-gschasti“, „Kramuri“ oder „Spompanadln“ in den Mund genommen hat. Und die Lautketten klingen als Buchstabenreihen noch einmal so schön – mit der richtigen visuellen Stimme. Rick hat dafür parallel gekramt: in der Geschichte der Typografie. Auch in der Wortschatztruhe der Vergangenheit. Und hat beides verknüpft, von „Adabei“ bis „Zores“, von der Texturaschrift aus dem 15. Jahrhundert bis zur „Prokyon“ aus dem Jahr 2005.
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Die Gestaltungsidee ist Rick zufällig in die Hände gefallen: in Form eines Zoetrops, auch Wundertrommel genannt. Ein altes Spielzeug, das Einzelbilder durch Drehung in Bewegung bringt. Jeden Buchstaben hat Rick noch dazu mit Holzlettern und Handpresse gedruckt und Fotos davon zwischen die Wortperlen aus dem österreichischen Wörterbuch gesetzt. Das Buch ist unter www.trias.com und u. a. in der Buchhandlung Leporello in Wien erhältlich.
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Typografie
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