Lina Bo Bardi: Schüsselerlebnis

Runde Sache. Der Bowl Chair von  Lina Bo Bardi wird jetzt von Arper hergestellt.
Runde Sache. Der Bowl Chair von Lina Bo Bardi wird jetzt von Arper hergestellt. (c) Beigestellt
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Lina Bo Bardi stellte den Bowl Chair in ihr gläsernes Haus. Das war 1951. Jetzt rückt ein Hersteller ihren Entwurf zum ersten Mal in die Auslage der Showrooms.

Halbkugel. Ein Nest für die brasilianische Architekturmoderne: der Bowl Chair von Lina Bo Bardi.
Halbkugel. Ein Nest für die brasilianische Architekturmoderne: der Bowl Chair von Lina Bo Bardi.(c) Beigestellt
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Seiner Zeit voraus zu sein – auch so ein Designerschicksal. Doch manchmal erscheinen recht große Ideen noch einmal so groß, wenn es ein wenig dauert, bis ihr Moment gekommen scheint. Viele Konzepte, die da durchs Universum schweben, brauchen eben einen Anlass, um sich zu materialisieren.

Die Möbel sollen den Menschen folgen. Nicht umgekehrt. So sah es Lina Bo Bardi, eine italienisch-brasilianische Architektin, die viel mehr war als nur das. Sie war ebenso als Kuratorin, Illustratorin, Herausgeberin und Autorin tätig. Ihr Entwurf des Bowl Chairs gehorcht dieser Idee: Man kann ihn drehen und wenden, wie man will. Zumindest die Halbkugel, besser gesagt die Schüssel oder noch besser die Sitzmuschel, die auf einem Metallgestell ruht. Und lange, lange, seit 1951, als Bo Bardi den Sessel in ihre Casa de Vidro in São Paulo, ins „gläserne Haus“ gestellt hatte, ruhte auch ihr Designkonzept der Individualisierung. Der Bowl Chair kann einmal introvertiertes Nest sein und einmal interaktiver Sozialraum. Je nachdem, wie man die „Schüssel“ stellt. Und wonach man sich gerade fühlt.

Das Wieder- und Neuentdecken ist eine besondere Disziplin in Architektur und Design. Auch Kuratoren üben sich darin. Noemi Blager hat die Austellung „Together“ über Lina Bo Bardi zusammengestellt, die gerade durch Europa tourt und im letzten Jahr bereits in Wien zu Gast war. Blager musste zugeben: „Als ich in den 1980er-Jahren in Buenos Aires mein Studium abschloss, hatte ich noch nie von Lina Bo Bardi gehört.“ Aufmerksam auf den Namen und die Konzepte, die sie vertrat, wurde auch Claudio Feltrin, der Geschäftsführer des italienischen Möbelherstellers Arper. Zunächst kam er als Sponsor der Ausstellung ins Spiel, dann kam er als fast regelmäßiger Gast in die Casa de Vidro im Jardim Morumbi. Dort hatte Lina Bo Bardi gewohnt. Dort ist heute das Instituto Lina Bo & P. M. Bardi beheimatet. „Eine transparente Plattform inmitten von Baumwipfeln“, so beschreibt der Direktor des Instituts, Renato Anelli, das Haus. „Die Bäume hat sie selbst gepflanzt. Ihr ging es auch um die besondere Beziehung zur Natur.“ Ein Prototyp des Bowl Chair von damals steht noch heute dort. Doch die brasilianischen Möbelproduzenten, erzählt Anelli, zeigten kein Interesse.

Kulturelle Verbindung. Doch jetzt zog Arper die Ideen aus den Schubladen, die das Institut für sie öffnete. Der Hersteller überführte ein paar Skizzen aus dem Vermächtnis Bo Bardis, aber auch „die Handwerksqualität des Prototyps“, wie Feltrin betont, in den industriellen Produktionsprozess. Eine Auflage von 500 Stück wird daraus. Eine gute Gelegenheit zur Express-Profilierung eines Möbelproduzenten, dem man das junge Alter gar nicht so recht zutrauen wollte. Schon gar nicht, nachdem jetzt die Entwürfe aus den 1950er-Jahren in den Showroom-Auslagen stehen.

„Es ist toll, dass man jetzt den kulturellen Konzepten von Lina Bo Bardi neues Leben einhaucht“, freut sich Renato Anelli. Schließlich würde sie auch diesen Dezember ihren hundertsten Geburtstag feiern. Sein Institut versteht sich nicht nur als Archivar ihrer Entwürfe, sondern vor allem auch als Verwalter ihrer Ideen. Sogar die Führung des MASP, des Museo de Arte de São Paulo nach einem Entwurf von Lina Bo Bardi, hat diese nicht ganz durchschaut. Das Gebäude, ein simpler rechteckiger Block, steht auf vier Säulen. Den öffentlichen Raum darunter, erzählt Anelli, wollte das Museum sperren. Denn, wie es öffentlicher Raum nun einmal mit sich bringt, manchmal wird unter der Kunst in São Paulo auch demonstriert. Wie etwa kürzlich gegen die herannahende Fußball-WM. Nur: Lina Bo Bardi hatte den Raum bewusst für die Öffentlichkeit vorgesehen. Und schon war die nächste Protestbewegung mit Transparenten vor Ort. Diesmal gegen die Museumsführung.

Die Ideen bewahren, das braucht auch Geld. Die Einnahmen aus dem Verkauf des Bowl Chairs kommen laut Feltrin dem Institut zugute. Und auch der Wanderausstellung „Together“, die gerade durch Europa zieht und „mehr die Einstellung Bo Bardis als ihre Entwürfe“ abbilden will, wie Kuratorin Blager anmerkt.
Zumindest nach Amsterdam, Berlin und Mailand wird sie noch reisen, um auch dort zu demonstrieren, was Claudio Feltrin an der Architektin so faszinierend fand: „Nämlich den Menschen in den Mittelpunkt jedes Projektes zu stellen. Dadurch fühlten wir uns zu Lina hingezogen.“ Diese Sympathie hat in den Schüsseln ihre Form gefunden, die in der Clerkwell Road, wo die bekanntesten Designhersteller ihre Stücke in die Auslage stellen, präsentiert wurden. Und dort in den Farben und Mustern des brasilianischen Designers Dani Moura dem grauen Londoner Februar trotzen.

Info

Lina Bo Bardi wurde 1914 geboren. Sie arbeitete als Architektin, Redakteurin und Illustratorin, gemeinsam mit Gio Ponti gründete sie das „Lo Stile“-Magazin. Gemeinsam mit Carlo Pagani war sie bis 1945 Chefredakteurin von „Domus“. 1946 zog sie nach Brasilien, wo sie den Galeristen und Kunstkritiker Pietro Maria Bardi heiratete, der das MASP, das Museo de Arte de São Paulo gründete und führte. 1968 wurde schließlich der Gebäudeentwurf Bo Bardis an der Avenida Paulista realisiert. In ihrer Casa de Vidro (oben rechts) wohnte sie im Stadtteil Morumbi von São Paulo gemeinsam mit ihrem Mann. Heute ist dort das Instituto Lina Bo & P. M. Bardi beheimatet.

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