Marcio Kogan: Fließende Moderne

(c) Nelson Kon
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Der Brasilianer Marcio Kogan setzt Beton in rechten Winkeln an den Strand. Und füllt Wasser in flüssige Formen.

Fließende Formen. Davon hört man öfter im Design. Vor allem, wenn es um Wasser geht und jene Stellen, wo die Menschen versuchen, es rinnen und stehen zu lassen. Marcio Kogan und Mariana Ruzante, eine Mitarbeiterin aus seinem Architekturstudio MK27 in São Paulo, ließen deshalb auch von jenem Aggregatzustand etwas in ihre Entwurfsskizzen schwappen: Schließlich sollte eine Badewanne dabei rauskommen. Für Agape, den italienischen Hersteller. Eine Zeichnung von Ruzante illustrierte auch alsbald, welche Form das Wasser plus zwei Menschen am geschmeidigsten aufnehmen kann. Im Gespräch mit dem „Schaufenster“ erzählt Kogan, wie Brasilien das Design und seine Architektur mit einer neuen Generation und neuen Ideen auflädt. Denn während der dunklen Tage der Militärdiktatur hatten sie kaum Chancen, in Brasilien oder sonstwo in der Welt sinnvoll aufzuflackern.

In der Architekturgeschichte sind Brasilien und die Moderene eng verknüpft. Welche Rolle spielt sie noch für die heutige Generation von Architekten?

(c) Romulo Fialdini

Lassen Sie mich ein wenig ausholen. Was in Brasilien passierte, war folgendes: Le Corbusier kam in den 1930er Jahren nach Brasilien, um hier sein erstes Projekt zu leiten: das „Ministério de Educação e Saúde“ in Rio. Um ihn herum entstand eine Gruppe von Architekten, zu der auch Oscar Niemeyer und Lúcio Costa gehörten. Diese Generation hat sich brilliant entwickelt. Sie haben die Ideen von Le Corbusier zur brasilianischen Moderne weiterentwickelt. Eine Ausprägung, die meiner Meinung nach weitaus interessanter und freier war als die Moderne in Europa.

Inwiefern konnte sich die brasilianische Moderne freier entwickeln?  

In Brasilien hatte die Architekturmoderne die Freiheit, etwas Neues für ein neues Land zu kreieren. Man war nicht an die europäische Tradition gebunden. In Europa musste jedes Projekt ein großes Gewicht mittragen, die Geschichte, das Erbe. In Brasilien konnte die Moderne tun, was sie wollte, da gab es keine Geschichte, auf die man Bezug nehmen musste. Das gab der Moderne hier eine gewisse Kontinuität. Man muss auch bedenken, dass Brasilien damals ein isoliertes Land war. Es war Teil der sogenannten Dritten Welt. Und daraus erwuchs eine faszinierende Geschichte. Nämlich jene, wie ein solches Land eine solche Architektur produzieren konnte.

Danach kam der Stillstand mit der Militärdiktatur? 

Genauso war es. Zwei Jahre nach der Einweihung von Brasilia kam das Mitlitär–regime an die Macht. Das war 1964. Was folgte, war eine dunkle Epoche. Niemeyer war Kommunist, er musste emigrieren. Erst später kam er zurück.

Diese politischen Zäsuren werden in  der Wahrnehmung Brasiliens zwischen all den Klischees gerne ausgeblendet.

In Europa war ja auch der Faschismus und der Zweite Weltkrieg eine Zäsur in der Architekturgeschichte. Bei einer Recherche zu Niemeyer bin ich auf ein Interview mit Lúcio Costa gestoßen. Darin hat er erzählt, wie Walter Gropius nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihm gekommen ist und gesagt hat: „Europa hat sich selbst zerstört, und Brasilien baut gerade die neue Welt auf“. Denn gerade während jener Kriegsjahre entstand das „Ministério de Educação e Saúde“. Mit neuen Technologien, in Beton, in Glas. Damit hat man auch ganz neue Hoffnungen aufgebaut.

Die Architekturmoderne hat bei vielen Menschen eine schlechte Reputation. Auch Brasilia hinterlässt bei vielen einen seltsamen Eindruck.

Ja, Brasilia ist tatsächlich ein wenig seltsam geraten. Doch man muss seine Ent-stehungsgeschichte natürlich auch unter den Zeitumständen betrachten. Die Stadt wurde für das Auto geplant. Doch die meisten Einwohner lieben es heute sehr, dort zu wohnen, das zeigen Umfragen.

Auch die Architekturbiennale beschäftigt sich mit der Gleichschaltung der Architektur durch die Moderne. Wie bleibt brasilianische Architektur brasilianisch? 

Unser Studio steht unter großem Einfluss dieser Moderne aus den 1950er Jahren. Klima, Ventilation, Freiräume, solche Dinge waren schon damals relevant. Und wir versuchen, sie in einem zeitgenössischem Geist weiterzuentwickeln. Die Seele unserer Projekte ist nach wie vor die brasilianische Moderne. Eine Moderne, die schon auf die lokalen Gegebenheiten reagiert hat. Schauen Sie sich  nur das Gebäude auf der Avenida Paulista in São Paulo an, die Banco Sul-Americano do Brasil aus den 1960er Jahren. Energieeffizienter als vieles heute.

Architektur und Design können sich heute viel mehr Brasilianer leisten.  Werden die brasilianischen Designer jetzt zu puren Lifestyle-Dienstleistern?

Architektur und Design sind tatsächlich sehr viel zugänglicher geworden. Es war so etwas wie ein soziale Revolution. In den letzten zehn Jahren haben Millionen von Menschen ihre Lebenssituation verbessert, den sozialen Aufstieg geschafft. Während des Militärregimes gab es keine Architektur. Nur Ingenieursarbeit. Heute beginnt die neue Generation von Architekten, sich auch Projekten zu widmen, die die Lebensbedingungen aller verbessern. Ich habe mich schon nach dem Studium mit sozialem Wohnbau beschäftigt. Es ist ein langsamer Prozess, aber er gerät allmählich in Gang. Schauen Sie sich São Paolo an. Die Stadt hat jahrzehntelang den Individualverkehr gefördert. Erst jetzt hat man endlich kapiert, dass das nur der falsche Weg sein kann.

Schönes liebt sich leichter, sagt man. Für Außenstehende ist es auch deshalb manchmal schwer nachzuvollziehen, wie die Paulistanos ihre Heimatstadt São Paulo so sehr lieben können.  

Es ist eine schwierige Stadt. Sie ist hässlich. Aber sie hat eine komplexe Perösnlichkeit, die nicht sofort alle Informationen und verborgene Schönheiten preisgibt. São Paulo hat keinen urbanen Code, der sich in traditionell europäischer Weise lesen lässt.  Die Stadt erschließt sich schwer. Doch sie hat eine unglaubliche Energie.

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