Upcycling: Zuerst der Stoff, dann die Idee

(c) Christine Pichler
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Europa hat seine Solidarität mit der Umwelt verloren. Gibt es einen Weg zurück? Upcycling ist eine gute Möglichkeit, findet Designer Heath Nash.

Rostige Drähte, kleine Kabelberge, Restglas von Firmen, die an den Passionswegen der Vienna Design Week teilnahmen, und ein Haufen leerer Plastikflaschen lagen in der kleinen Maisonette des Design Space im Wiener MAK herum, als das „Schaufenster“ im Herbst zu Besuch war. Durch die Scheibe des „Wohnzimmers“ konnte man einen Designer schon vom Stubentor aus beobachten. Der Upcycling-Künstler Heath Nash trug dynamisch allerlei Sachen – also Kramuri – zwischen den kleinen Etagen herum. Nash ist nach Wien gekommen, um im Rahmen des Projekts „Südnovation“ mit Nachwuchsdesignern und Interessierten über einen flexiblen und umweltfreundlichen Umgang mit Werkstoffen zu sprechen. Er arbeitet mit Müll, den wertet er auf. Dazu sammelt der Südafrikaner auf, was andere nicht mehr brauchen, und baut daraus Skulpturen und Möbel. Sein bunter Lampenschirm „Bottleformball“ (rechts) aus Plastikabfall ist berühmt geworden. In Wien wurde ihm sogar ein ganz besonderer Abfall zuteil: Als er die Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr besucht hat, ist „etwas Unglaubliches passiert, ich habe Kristallglas bekommen, das sich nicht verkaufen ließ“. Was er daraus machen wollte, wusste er damals noch nicht, „aber es wird fantastisch“.

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Werkstattgespräch. Am Anfang war nicht alles klar. Wo darf man sich hinsetzen? Und hält es den Sitzenden aus? Mit ein bisschen Fantasie fanden sich dann doch noch einige Möbel, die das Gespräch mit dem Designer begleiten konnten – und immer wieder selbst zum Thema wurden. Da knautscht ein Hocker, weil sich die leeren Wasserflaschen gegen den Körper wehren. Ein anderes Möbel, dessen Sitzfläche nur aus Klebestreifen besteht, dehnt sich mehr als man glaubt, hält der Herausforderung aber tapfer stand. Seine Arbeit im MAK ist Nash nämlich ganz logisch angegangen, als Erstes hat er sich ein Atelier gebaut. Eine Werkbank aus Restholz, einen Denkersessel aus einem Obstkarton. „Ich baue funktionelle, praktische Möbel aus Dingen, die ich auf der Straße finde“, erklärt er, während er auf eine Maschine deutet, die er ebenfalls selbst konstruiert hat. „Mit der kann man Plastikflaschen schneller zerschneiden.“ Die Metallkonstruktion arbeitet wie ein Spiralschneider: Man spannt oben eine Flasche ein und zieht unten eine lange Plastikschlange heraus. Diese Streifen verwendet Nash zum Beispiel als Schraubenersatz. Mit einer Heißluftpistole lassen sich feste Seile schmelzen und Achsen wie Gelenke fixieren: „Schaut gut aus und ist stark.“

Zusammen mit Künstlern und Produktdesignern aus Lateinamerika wie Ivan Lopez oder Fabiola Muñoz diskutierte und entdeckte Nash, wie einfach es sein kann, mit der Umwelt mehr zusammenzuarbeiten, als wir es in Europa derzeit vielleicht tun. Selbst kommt der 36-Jährige aus Kapstadt, der schönen Stadt am Südzipfel Afrikas mit den beiden Ozeanen, dem flachen Berg und – auch nicht unwesentlich für seinen Besuch – der aktuellen Welthauptstadt des Designs. In Kapstadt hat er seinerzeit auch bildende Kunst studiert, sein Hauptfach war die Bildhauerei. Schon während der Studienzeit erforschte er, wie man Reststücke der Industrie nutzen kann. Anfangs arbeitete er noch mit Papier und Karton. „Skulpturen halten normalerweise für immer, meine aber haben die Garantie kaputtzugehen.“ Vom Papierfalten entwickelte er sich weiter zum Plastik, das ließ sich waschen und hielt mehr aus.

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Draht und Abfall. 2004 zeigte er seine bunten Lampenschirme erstmals vor einem größeren Publikum. „Die internationalen Experten fanden, dass sie nicht afrikanisch aussehen würden.“ Aber wie kreiert man ein Objekt, das ein Land reflektiert? „Ich sah mich nach den am häufigsten genutzten Materialien Südafrikas um: Draht und Abfall. In der afrikanischen Kultur geht nichts verloren. Es ist notwendig, alles zu nutzen, weil die Menschen einfach nicht viel haben.“ Für Heath Nash ging es nie darum, Möbel zu designen, es geht um den Respekt vor den Rohstoffen, um die Wiederverwertung von Bestehendem. „Upcycling ist aber nichts gegen richtiges Recycling.“ Man geht davon aus, dass pro Jahr auf der Welt mehr als 200 Millionen Tonnen Plastik produziert werden.

Plastik kann hunderte Jahre fortbestehen, löst sich in mikroskopisch kleine Teilchen auf, die Pflanzen und Tiere gefährden. Im nördlichen Teil der Weltkugel ist mittlerweile nicht nur der Upcycling-Ansatz, sondern auch Recycling schwach vertreten. Was kann Europa Nashs Meinung nach von Afrika lernen? „In Europa gehen die Leute oft zu konzeptionell an die Dinge heran, ohne wirklich auf die Probleme zu schauen.“ Außerdem gehe es darum, kaputte Objekte zu reparieren. Wie zum Beweis hält er seinen Schalenkoffer in die Luft. Der landete in Wien mit einem Riss. Jetzt müsse er sich überlegen, wie man ihn flicken könne. Beim Upcycling gibt es eben keine Grenzen. Vor allem, weil es nie eine Frage der Quantität oder Ästhetik ist; es ist eine Lebenseinstellung. Auch Sèdjro Mensah von der Kunst- und Kulturinitiative „Kulturen in Bewegung“ beschäftigt sich schon länger mit dem Thema. Er beklagt, dass eben „diese Lebenseinstellung in Nordeuropa fehlt. Allerdings ist es nicht so, dass es sie nie gegeben hat. Die Upcycling-Idee ist einfach verloren gegangen.“ Mensah leitet das Projekt Südnovation am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit, für das Heath Nash auch nach Wien gekommen ist.

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Immer flexibel bleiben. Im Rahmen dieses Projekts wurde der Entwicklungsansatz umgedreht und nicht gefragt: Wie kann der Norden den Süden retten, sondern: Wie kann der Süden die Welt retten? Die Rettung kommt in vielen Facetten: Es geht um den respektvollen Umgang mit Ressourcen und Rohstoffen. Es geht darum, mit dem zu arbeiten, was man hat, ohne ihm eine Wertigkeit zu geben. Der stromlose Kühlschrank hat in Afrika zum Beispiel eine lange Tradition, er besteht aus zwei Lehmzylindern, zwischen denen eine Wassersandmischung in der Sonne für Verdunstungskälte und konstante sechs Grad Celsius im Innenraum sorgt. Außerdem soll man sich beim Produktdesign eine gewisse Flexibilität bewahren. Ein fertiges Objekt birgt vielleicht noch mehr Potenzial. Vinay Venkatraman von Frugal Digital wandelte einen Wecker in ein Messgerät um, das die Vitalfunktionen eines Patienten messen kann. Wird er an einen Computer angeschlossen, kann das Pflegepersonal in ärztearmen Infrastrukturen schnell eine Erstdiagnose stellen. Einige aus dem Süden stammende Designklassiker kennt man in Europa aber sehr gut.

Der Aroyoneo aus Paraquay war die Vorlage für „Chairless“ von Vitra Design. Der bekannte Sitzgurt zeigt, dass die nomadische, nicht materielle Gesellschaft, die ihn erfunden hat, sehr gut den Werten einer postindustriellen Gesellschaft entsprechen kann, in der Information immer wichtiger wird als Geld. „Immerhin ist die Storyline, über die ein Produkt verkauft wird, manchmal schon wichtiger als das Produkt selbst“, so Sèdjro Mensah. „Bei Südnovation geht es aber nicht um Export. Wenn Europäer in der Lage sind, südliche Denkweisen und Objekte zu schätzen, gewinnen diese Länder Selbstbewusstsein, und diese Anerkennung ist wichtig.“ Heath Nash gibt noch einen anderen Rat: Vom Süden generell könne man Relaxing lernen: „Die Leute hier sind ein bisschen schlecht drauf.“

Südnovation

Bewegung: Design, Künstler und Creative Industries wirken immer stärker als Hebel zur Stärkung des privaten Sektors in den sogenannten Entwicklungsländern. Die österreichische Ideenwerkstatt „Kulturen in Bewegung“ weiß und fördert das. Sie stellt seit 2013 immer wieder Innovationen und faire Ansätze aus Südländern vor. Die Initiative des Wiener Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit ist seitdem zur Anlaufstelle für Kunst aus Afrika, Asien und Latei­namerika in Österreich geworden. Kann der Süden den Norden retten? Diese Frage stellte sich „Kultur in Bewegung“ zuletzt auch in Zusammenarbeit mit Heath Nash auf der Vienna Design Week. Im Rahmen eines Workshops konnten die Teilnehmer viel über die Denkweise des Upcyclings erfahren und darüber nachdenken, warum ein Kühlschrank nicht immer Strom braucht. (www.kultureninbewegung.org).

World Design Capital

Kapstadt: Die Welthauptstadt des Designs ist ein Wandertitel für Metropolen, die Design als Instrument einer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung erkennen. 2014 hat sich Kapstadt mit 460 Designprojekten dem Wandel verschrieben. In der Ausstellung „Design Discourse: Austria–South Africa“ wurden Projekte beider Länder gegenübergestellt. Von 27. Jänner bis 8. März fliegt die Schau von Kapstadt weiter ins Designforum Wien. (www.worlddesigncapital.com, www.designforum.at).

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