Snøhetta: ”Wir sind eine Einheit“

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Architektur, eine Männerdomäne? Auf das norwegische Kreativstudio Snøhetta lässt sich dieses Stereotyp nicht anwenden.

Snøhetta bedeutet Schneekrone, und so heißt auch einer der höchsten Berge Norwegens. Zugleich ist es der Name des wohl erfolgreichsten norwegischen Architekturbüros. Am bekanntesten – zumindest im Ausland – ist wohl das Kreativunternehmen, das 1989 von dem Norweger Kjetil Thorsen mit dem Amerikaner Craig Dykers und sechs weiteren Architekten gegründet wurde. Der internationale Türöffner war 2008 die Oper in Olso, die sich aus weißem Marmor und Granit sanft aus dem Hafenbecken erhebt, mittendrin ein gläserner Kubus, der an einen Eisberg erinnert – oder eine Schneekrone, wenn man so will. Das „Schaufenster“ traf den Snøhetta-Mitgründer Kjetil Thorsen und die seit 2001 im Büro tätige Architektin Astrid Van Veen zum Office-Lunch in Oslo und unterhielt sich mit den beiden über norwegische und österreichische Architektur und warum es von Vorteil ist, wenn Frauen und Männer zusammenarbeiten.


Herr Thorsen, Sie haben an der TU Graz Architektur studiert. Hat Sie die Lehrzeit in Österreich beinflusst?
Kjetil Thorsen: Das Studium in Graz gab mir eine Basis, von der ich noch heute profitiere. Das Leben dort, aber auch die österreichische Literatur, die Architektur und die Kunst haben mich sehr beeindruckt und auf bestimmte Art von konservativen Sichtweisen befreit. Ich studierte aber auch in einer spannenden Zeit, die von der gedanklichen Freiheit der 1968er-Generation geprägt war. Wir hatten Dozenten wie Coop Himmelb(l)au und Günther Domenig, die uns beibrachten, gestalterische Grenzen zu hinterfragen und zu überschreiten. Diese österreichischen Kreativen hatten einen großen Einfluss auf mich. Der ‚Zeichensaal 3‘ war auch die Vorlage für das heutige Büro von Snøhetta.


Wie würden Sie österreichische Architektur heute beschreiben?
Thorsen: Die österreichische Architektur ist entweder radikal oder konservativ, da herrscht eine große Diskrepanz. Als einzige Gemeinsamkeit könnte man vielleicht den Willen zum Experimentieren nennen. Sonst gibt es einen allgemein gültigen Ansatz, wie etwa bei nordischem Design. Es gibt einzelne Büros und Schulen, wie etwa die ‚Grazer Schule‘, die sich hervortun und einen bestimmten Stil prägen.


Norwegen und Österreich haben landschaftliche Gemeinsamkeiten, viel Schnee und hohe Berge. Gibt es das auch in der Architektur?
Thorsen: Die Natur beeinflusst die Bauwerke in Österreich ebenso wie bei uns. Das sieht man an den unterschiedlichen Gebäuden in den einzelnen Regionen. Da gibt es die Holzarchitektur in Tirol und die lang gestreckte Landschaften- und Weingartenarchitektur in der südlichen Steiermark. 

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Was sind die Unterschiede zur norwegischen Gestaltung?
Thorsen: In Norwegen konzentrieren wir uns vor allem auf gemeinschaftliche Ziele und suchen nach demokratischen Entscheidungen für die Gesellschaft. In Österreich wird eher autonom gebaut. Meiner Ansicht nach wäre eine Kombination beider Arbeitsweisen ideal.


Sprechen wir über Ihr Büro in Oslo: Was eigentlich auf den ersten Blick deutlich wird, ist der vergleichsweise hohe Anteil an Frauen, die hier arbeiten.
Astrid Van Veen: Bei uns arbeiten in der Tat genauso viele Frauen wie Männer. Die Frauen üben auch die gleiche Art von Tätigkeiten aus, es gibt etwa fünfzig Prozent Projektleiterinnen. Das ist nicht verwunderlich, denn in den norwegischen Universitäten, auch für Architektur, gibt es mehr Studentinnen als Studenten. Bei Snøhetta herrscht eine sehr gute Arbeitsatmosphäre, nicht nur weil wir jeden Tag gemeinsam zu Mittag essen. Wir arbeiten teamorientiert, es gibt keine Ellbogenkultur bei uns und keine Kompetenzschwierigkeiten. Ich denke, das kann man auch darauf zurückführen, dass wir ein feministisches Büro sind.

An der Anordnung der Arbeitstische kann man keine Hierarchie herauslesen.
Van Veen: Ja, das ist beabsichtigt. Sie würden nicht sagen können, ob ich oder jemand anderes aus dem Team das Projekt leitet, wir sind eine Einheit, arbeiten uns zu. Die Tische sind gleichmäßig und offen im weiten Raum verteilt, es gibt keine Türen, damit man jeden ganz einfach ansprechen kann, wenn man einmal eine Frage hat. In diesem Büro arbeiten nur hoch qualifizierte Leute, da wäre es sehr einschränkend, wenn man nur einen hat, der den anderen sagt, was zu tun ist. Teamwork ist für uns die beste Garantie, das ganze vorhandene kreative Potential auszuschöpfen. 


Gab es schon einmal Kunden, die irritiert waren, als haupt-sächlich weibliche Projektleiter anreisten?
Van Veen: Irritiert vielleicht, aber es gab noch nie Probleme deshalb. Noch nicht einmal bei unserem aktuellen Projekt King Abdulaziz Centre for World Culture in Dhahran. Dort sind wir bei der Präsentation mit mehr Teamleaderinnen angereist. Es wurde nur gesagt: ‚Naja, jetzt wissen wir, wie euer Land funktioniert.‘ Unsere Entwürfe, egal ob von Männern oder Frauen, sprechen
für sich. 


Frau Van Veen, Sie leiten derzeit das Projekt der Kunstschule in Bergen, die 2016 eröffnet wird. Wird das die nächste Oper?
Van Veen: Die Oper ist in ihrer Bedeutung einzigartig, dennoch setzen wir auch mit diesem öffentlichen Gebäude wieder ein einzigartiges, gestalterisches Statement. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, was Kunststudenten benötigen: Licht und viel Platz. Deshalb gibt es im Inneren der Schule eine bis zu 22 Meter hohe Halle, ein Werkraum, in den das Licht von außen einfällt und in dem man große Kunstprojekte anfertigen und auch mit einem Lastenkran transportieren kann. Es ist ein sehr puristisches, funktionales Gebäude, das an eine große Fabrikhalle erinnert. 


Auch in Bergen ist die Umgebung wieder in das Konzept miteinbezogen. Ist die Natur die wichtigste Inspirationsquelle von Snøhetta?
Thorsen: Ja, die Natur in all ihren unterschiedlichen Formen ist eine großartige Quelle der Inspiration. Wir kopieren aber nicht einfach ihre Formen, sondern nehmen ihre Qualitäten aus dem Kontext heraus und setzen sie in Beziehung zur Umgebung. Allerdings ist uns auch bewusst, dass Architektur niemals die Natur übertreffen kann. Inspiration sind für uns aber auch die Kunst, die Musik, Wissenschaft, andere Menschen oder manchmal ganz einfach Erlebnisse. Wir mögen es aber auch, wenn wir von unseren Kunden vor neue Herausforderungen gestellt werden und ganz neue Dinge entwickeln können. 


Haben Sie dazu ein Beispiel?
Thorsen: Ende April eröffnete Swarovski in Wattens einen Pavillon im Park als Erweiterung der Kristallwelten, den wir entworfen hatten. Dort gibt es auch einen mehrgeschoßigen Spielplatz mit Turm, für die Kinder der Besucher. Dieses Projekt ist für uns von großer Bedeutung, denn wir haben dadurch die Möglichkeit gehabt, etwas komplett Neues zu schaffen. Wir konnten eine neue Architekturtypologie für Kinder entwickeln. 


Sind weitere Projekte in Österreich geplant?
Thorsen: Wir haben vor Kurzem ein Snøhetta-Büro in Innsbruck eröffnet. Geführt wird es von unserem österreichischen Kollegen Patrick Lüth, der viele Jahre bei uns in Olso im Büro tätig war. Derzeit entwerfen wir im Bereich Architektur, aber auch auf dem Gebiet des Grafikdesigns für Zumtobel.

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