Gregor Eichinger: Nette Gäste und schöne Gesten

(c) Elfi Semotoan
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Gregor Eichingers Lokalentwürfe zeigen sich unaufdringlich zuvorkommend, erweisen Dienste und antizipieren Probleme.
Wie gute Wirte eben.

Wer Lokale gestaltet, muss verstehen, wie Gäste ticken und Gastronomen denken. Lang hatte Architekt und Designer Gregor Eichinger tief in die Kaffeehauskultur Wiens hineingeforscht. Zuletzt ist er den Wirtshäusern, ihrer Atmosphäre, ihren Ritualen und den Menschen, die sie prägen, genießen und lieben, auf den Grund gegangen.


Wie charakterisiert sich die Typologie des Wirtshauses?
Wien hat ein paar Formate, die ganz hervorragend funktionieren. Dazu gehört das Kaffeehaus genauso wie das Wirtshaus. In dem einen geht es um das Sichtbarwerden im öffentlichen Raum, es ist eine Art Catwalk. Im anderen geht es um das genussvolle Verschnaufen. Diese Formate haben sich ein bestimmtes Know-how erarbeitet, eine Kultur aus verschiedenen Gesten und Ritualen. Aber auch eine formale, materielle Erscheinungsform angeeignet, die sich über verschiedene Oberflächen, Farbigkeiten und Typologien manifestiert. Und das von der Vorstadt bis in die Innenstadt. Aber natürlich geht es auch um bestimmte Gerichte und Getränke, die sich einfach auf der Wirtshauskarte wiederfinden müssen.


Ähnlich wie bei der Kaffeehauskultur war man vor Jahren auch um das Wirtshaus besorgt. Heute fürchtet man eher, dass Bobos den Stammgästen das beste Gulasch der Stadt wegessen. Was ist geschehen?
Man glaubte eine Zeit lang eher an Designerrestaurants und Zeitgeist-Kaffeehäuser. Aber dann hat man erkannt, dass die Bedürfnisse der Menschen nicht modischer Natur sind, sondern substanzieller. In guten Wirtshäusern gibt es eben Kellner, die ihren Job noch als Handwerk verstehen. Das gute Wirtshaus zeigt mir mithilfe unterschiedlichster Gesten, dass man im besten Sinn Gast der Familie ist. Es gibt ja auch noch Wirte, die ihr Standesbewusstsein ganz selbstverständlich zeigen: mit einem weißen Arbeitsmantel.


Doch auch das Wirtshaus hat sich beschleunigt. Früher noch war die Option aufs Versumpern inkludiert, heute wird man eher hinauskomplimentiert nach dem Essen, indem ein „Reserviert“-Schild auf den Tisch geknallt wird.
Das ist natürlich beeinflusst durch verschiedene systemgastronomische Konzepte. Die Verweildauer hat sich tatsächlich geändert. Und viele Lokale schieben das auf die Gäste, die ja angeblich keine Zeit hätten. Und alles schnell, schnell wollen: gekocht, serviert, kassiert. Früher hat man nach dem Essen noch das Kartenspiel rausgeholt. Doch gestalterisch haben gute Wirtshäuser noch immer den Anspruch, Aufenthaltsorte und Treffpunkte sein zu wollen. Dazu gehören auch der Stammtisch und das Hinterzimmer. Im Wirtshaus entstehen Bindungen. Auch weil das Design unzählige stumme Einladungen ausspricht wie: Bleib. Fühl dich wohl. Lehn dich zurück. Und das Design schafft es sogar, dass man wahrnimmt, dass diese Einladungen an einen selbst gerichtet sind. Alles ist schummrig, holzig, riecht gut. Doch die gastronomischen Gesten, die Kellner und die Servicerituale sagen im Subtext oft das Gegenteil. Das ist die Diskrepanz und oft die Konfusion. An manchen Orten mit hoher Geschwindigkeit zählt eben eher die rasche Performance, wie der schnelle Espresso auf dem Bahnhof. Aber die Haltung des schnellen Wechselns hat nichts mit dem Format des Wirtshauses zu tun.


Wie funktioniert das Wirtshaus als niederschwelliger Ort?
Oft gibt es in den Räumlichkeiten eine Steigerungsform von vorn nach hinten. An der Schank, im Gassenverkauf, war es am billigsten. Vorn stehen die Resopaltische, hinten jene, die eingedeckt mit Stoff sind. Vorn kann man im Blauzeug ein gutes, einfaches Mittagessen bekommen. Hinten sitzen die Menschen im Anzug. Diese Vermischung ist das Großartige am Wirtshaus: Menschen unterschiedlicher Profession und sozialer Herkunft haben sich still darauf geeinigt, ein Angebot anzunehmen und die Qualität der Küche gemeinsam zu würdigen. Im Restaurant bleiben Gleichdenkende und die Milieus eher unter sich. Das Wirtshaus hingegen mischt alle. Und das bildet sich in guten Wirtshäusern auch auf der Speisekarte ab. Im besten Fall hat sie gute, günstige Gerichte genauso wie etwas ausgefallenere und ein wenig teurere.


Kann man aus Speisekarten auch anderes herauslesen als den Tagesteller und Nachspeisen?
Ja, schon die Gestaltung kann viel verraten. Dabei würde ein handgeschriebener Zettel gestalterisch absolut genügen: Schon wäre das Vertrauen zum Wirt aufgebaut. Am liebsten sind mir übrigens jene Speisekarten, auf denen auch Gerichte durchgestrichen sind. Dann hat man zwar Pech, aber dafür die Gewissheit, dass die Dinge frisch sind, wenn sie nicht immer verfügbar sind.


Im Figlmüller-Lokal Lugeck haben Sie zuletzt die Wirtshauskultur gestalterisch frisch aufgeladen. Auch mit Emaille an der Wand. Wie kam das?
Wir haben uns bemüht, Elemente der Wirtshauskultur neu zu interpretieren, ohne sie modernistisch geraten zu lassen. Emaille etwa ist ein traditionelles Material im Wirtshaus, bislang allerdings hauptsächlich in der Küche in Form von Kochtöpfen. Doch es ist hochaktuell, auch in der Weltraumtechnologie wird es verwendet. Wir haben es in Grün an die Wand gebracht, in der gelernten Wirtshausfarbe, die früher die gängige Flaschenfarbe war. Beim Design der Stühle „Lilith“ haben wir die Sitzfläche extrabreit angelegt, damit beide Platz finden: die Dame und ihre Tasche. Schon im Café Stein, dem ersten Lokal, das ich 1983 gestalten durfte, haben wir uns von einem Prinzip leiten lassen: Frauen müssen sich wohlfühlen, dann kommen auch die Männer, dann füllt sich das Lokal.


Können Sie als Designer auch tatsächlich in gastronomische Kulturen eingreifen?
Durchaus. Im Ansari in der Praterstraße wollten wir etwa unbedingt einen Trinkbrunnen installieren. So haben wir auch gestalterisch ein Statement zu einer damals aktuellen Diskussion geliefert. Nämlich, ob das Glas Wasser in der Gastronomie etwas kosten darf oder Teil der Serviceleistung ist. Jetzt kann sich jeder selbst das Wasser holen, oder auch seine Freunde am Tisch damit versorgen. 

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