Hella Jongerius: „Bin ja keine Design-Heilige“

Hella Jongerius.
Hella Jongerius.(c) Markus Jans
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Das Neue zu hinterfragen, auch das gehört zu den Aufgaben einer Designerin, meint Hella Jongerius. Genauso wie auch den Stoffen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Sie selbst kann ohne „neu“ nicht sein, sagt Hella Jongerius. Dafür ist die niederländische Designerin einfach auch zu neugierig. Aber es müssen nicht immer die Dinge sein, die sich verändern. Eine neue Stadt, wie Berlin, wo sie seit ein paar Jahren lebt, tut es auch. Das „Aktualisieren“ ist ohnehin eine der Hauptaufgaben als Artdirektorin bei Unternehmen wie Vitra oder Artek. Beim niederländischen Teppichhersteller Danskina hingegen legt Jongerius Wert darauf, dass sich das Neue zumindest auch in Fasern, Strukturen und haptischen Qualitäten manifestiert.

Junger Klassiker. Das Sofa „Polder“ wurde in kürzester Zeit legendär.
Junger Klassiker. Das Sofa „Polder“ wurde in kürzester Zeit legendär. (c) Vitra


Sie haben sich in Ihrem Manifest „Beyond the New“ mit der Dynamik des Neuen im Design auseinandergesetzt. Ist zu viel des Neuen auch zu viel des Guten?
Natürlich muss man auch neue Produkte auf den Markt bringen und kreieren. Das ist schließlich für uns Designer unser Beruf und unsere Aufgabe. Außerdem sollte auch jede Designergeneration die Gelegenheit haben, sich kulturell ausdrücken zu können, in den Dingen. Ebenso ist es wichtig, einen bestimmten Zeitgeist einer bestimmten Zeit in Produkten festzuhalten. Aber: Man sollte in Produkten neues Wissen und neue Inhalte verarbeiten, nicht nur den Anspruch des Marktes, der Hersteller und manchmal der Gestalter selbst, einfach nur ein neues Produkt herzustellen. Und das ist es, was ich in unserem Manifest auch ansprechen möchte: Wenn man mit einem neuen Objekt kommt, dann muss sich dahinter auch eine ganze Welt öffnen. Alle Ebenen, die ein solches Objekt durchziehen, müssen in einer gewissen Form optimiert oder neu gedacht sein. Man muss mit dem Objekt etwas verändern, für die Welt, für das professionelle Feld, in dem man tätig ist. Es muss einfach mehr sein als nur neu. Wir haben so viel Zeug. Man muss einfach auch einmal damit beginnen, verantwortungsvoll zu agieren.


Ganz so leicht kann man sich als Designer aber den Ansprüchen des Marktes auch nicht entziehen. Sie brauchen Aufträge. Sie haben Angestellte, die Sie beschäftigen. Wie kann man als Designer mit dem ökonomischen Druck umgehen?
Ich glaube, dass die klugen Konsumenten schon bereit sind für den verantwortungsvollen Umgang mit den Dingen. Es ist ähnlich wie in der Nahrungsmittelindustrie, wo man auch die Wende geschafft hat, nämlich die Bullshit-Nahrung aus der Industrie nicht mehr einfach so als Konsument zu akzeptieren, sondern gesundes, biologisch und verantwortungsvoll produziertes Essen zu verlangen. Die Konsumenten erkennen Produkte, die nicht nur neu sind, sondern auch dieses „Mehr“ haben. Design ist natürlich ein Business, wir machen die Dinge auch nicht einfach zum Spaß. Aber wir müssen auf unseren Planeten aufpassen. Und es ist natürlich nicht so, dass jedes Ding, das ich entwerfe, einen solchen Mehrwert hat, ich bin ja keine Design-Heilige. Aber ich versuche trotzdem eine Anstrengung in die richtige Richtung zu machen und darauf auch bei meinem Team, meinen Partnern, Zulieferern und Produzenten zu achten.

Faserfroh. Für Danskina übernahm Hella Jongerius 2014 die Art Direction.
Faserfroh. Für Danskina übernahm Hella Jongerius 2014 die Art Direction.(c) Beigestellt

Manchmal scheint es allerdings auch, dass es dem radikal Neuen recht schwer gemacht wird. Die Hersteller adaptieren gerne „gelernte“ Klassiker. Und junge Designer verlieren sich in Zukunftsbildern, die sich nicht realisieren lassen.
Die Industrie ist natürlich sehr konservativ. Das heißt: Viele Hersteller warten auf den Zeitpunkt, an dem die Konsumenten zum ersten Mal nach etwas fragen. Man muss als Designer auch die Produzenten ein wenig pushen und sagen: „Die Menschen sind längst bereit dafür.“ Man kann ja auch Antworten geben, ohne danach gefragt zu werden. Wenn wir nicht alle gemeinsam darüber nachdenken, was die Welt wirklich braucht, unsere Kräfte bündeln, dann wird es sehr schwer. Im Design gäbe es für junge Designer so viele Nischen, in denen man seine kreativen Zugänge und sein Talent zeigen kann. Doch manche verlieren sich tatsächlich in vom Computer gerenderten Zukunftsszenarien. So bewegen sie sich aber von unserer Kerndisziplin weg. Und das ist nun mal Industrial Design.


Verliert der Designnachwuchs etwa die grundlegenden Aufgaben der Profession aus den Augen?
Ich glaube, dass manchen Designern, die von den Schulen kommen, ein Reality-Check nicht schaden würde. Für Danskina etwa habe ich für ein Projekt mit jungen Designern von Eindhoven zusammengearbeitet, ich habe sie eingeladen. Ich habe gemerkt, dass es für sie tatsächlich manchmal schwierig ist, ein industrielles Produkt zu verstehen. Sie sind eher ausgebildet in Konzepten. Doch diese bleiben oft große Ideen ohne Berührungspunkte mit der Realität. Ich musste ihnen erst zeigen, wie der industrielle Prozess funktioniert. Ich fühle mich schon verantwortlich dafür, auch ein Beispiel zu geben. Und ich freue mich, dass ich bei Danskina auch dazu die Möglichkeit habe.


Designer erzählen, dass zuviel Erfahrung auch hinderlich sein kann, etwas Neues zu schaffen – eine Art Scheuklappeneffekt. Glauben Sie das auch?
Ich fühle mich eigentlich ganz wohl in der Welt des Neuen. Natürlich genieße ich die Erfahrung, die ich über die Jahre gesammelt habe. Ich denke, den guten Designern und Architekten gelingt es, sich selbst und auch ihre Arbeit immer wieder neu zu erfinden. Ich für meinen Teil bin auch sehr schnell gelangweilt, wenn sich nichts verändert.

Stofflich. Für Vitra entwarf Jongerius den „East River Chair“.
Stofflich. Für Vitra entwarf Jongerius den „East River Chair“.(c) Marc Eggimann


Sie beschäftigen sich sehr auch mit der textilen Welt, der taktilen Erfahrung mit Stoffen und Teppichen, wie etwa für den niederländischen Hersteller Danskina. Verstehen Sie es, wenn man an Dingen in Geschäften oder Märkten Schilder befestigt: „Bitte nicht berühren“?
Die haptischen Qualitäten der Dinge sind überaus wichtig, ja. Denn schließlich treten Menschen über diese Kontaktpunkte in Beziehung mit den Objekten. Ich beschäftige mich immer sehr intensiv nicht nur mit der Farbwelt, sondern auch mit den taktilen Eigenschaften. Das ist eine große Herausforderung, denn wir gestalten dadurch die Beziehung zwischen den Menschen und dem Objekt. Nicht überall ist das Bewusstsein so groß, wie essenziell die Welt des Textilen ist. Wir haben zwar ein großes Wissen und eine große Wahrnehmung für Mode, für Kleidung. Darüber, was Menschen anziehen. Aber beim Wohnen und im Design wissen wir wenig darüber. Mit welchen Stoffen und Materialien das Sofa zu Hause bezogen ist, das wissen die wenigsten. Das ist so ähnlich wie beim Boden. Über den denkt auch kaum jemand nach.


Laufen nicht auch über Textilien und Stoffe gern die emotionalen Beziehungen zu den Dingen ab?
Mich wundert es immer sehr, dass im Design verhältnismäßig wenig über Stoffe und die textilen Qualitäten nachgedacht wird. Und das muss jetzt nicht immer etwas Felliges oder Wollenes bedeuten. Es gibt kaum jemanden unter den Designern, der wirklich tief in die Welt der Kunststoffe und seiner haptischen Möglichkeiten eintaucht. Im Bereich der taktilen Qualitäten könnte sich da eine riesige Welt öffnen. Der emotionale Wert ist ja auch ein funktionaler Wert. Wenn man keine Beziehung mit dem Objekt eingehen kann, dann funktioniert das Produkt doch auch nicht gut. Es ist wichtig, dass man auch mit einem Produkt eine Verbindung eingehen kann. Dass man es pflegt, behält, sich darum kümmert, säubert und Ähnliches.

Tipp

Vitra Showroom. Während der Vienna Design Week werden Produkte und Ideen von Hella Jongerius gezeigt. Bis 3. Oktober, Schottenring 12, 1010 Wien.

Neu oder Neuauflage

„Beyond the New“, ein Manifest. Da ist diese implizite Dynamik in der Designwelt. Die kann man aufregend finden. Oder absurd. Je nach Alter und Berufsverständnis. Die jungen Designer rendern, visualisieren, skizzieren ihre Ideen in die Welt hinaus, per Blog, per Pinterest. Den älteren, die schon ein paar Klassiker in ihrem Portfolio haben, wie etwa Peter Maly, ist dieser Druck, immer neu sein zu müssen, nicht ganz geheuer. Ligne Roset hat erst kürzlich seinen Klassiker „Peter Maly Bett“ neu aufgelegt. Leicht adaptiert, behutsam angepasst, an Erfordernisse und Ansprüche der Zeit. Doch die Basisbedürfnisse der Wohnens haben sich, seit man wohnt, kaum geändert. Hella Jongerius zog in diesem Jahr konsequenterweise in einem Manifest die Neuheits-Doktrin des Designs in Zweifel: „Beyond the New. A Search for New Ideals in Design“ heißt es. Darin kritisiert sie gemeinsam mit Designtheoretikerin Louise Schouwenberg den vom Markt getriebenen Anspruch, ständig Neues zu produzieren. Vor allem dann, wenn das Merkmal neu das Einzige ist, was das Produkt von anderen zu unterscheiden scheint. Hier kann man das Manifest online lesen:

beyondthenew.jongeriuslab.com

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