Toan Nguyen: Stille Möbel sagen mehr

Toan Nguyen.
Toan Nguyen.(c) Andrea Basile
  • Drucken

Ein französischer Designer in Mailand: Toan Nguyen liebt die Weite. Und Luxus, der nicht unbedingt wie Gold glänzen muss.

Ganz dicht stehen die Möbelentwürfe auf den großen Messen beieinander. Auch inhaltlich trennen sie manchmal nur ein paar Nähte und manch eingesticktes Detail. Ganz schön dicht sind auch die Möbel und Produkte, die Toan Nguyen für Hersteller wie Dedon, Coalesse, Lema, Laufen oder auch Fendi Casa entwirft. Sie stecken aber voller Unterscheidungsmerkmale und Gründe, warum man Luxus und kostbare Werte auch ganz anders verstehen kann als in den gängigen Formen und Materialien, die schon von Weitem teuer wirken. Denn die Kunst bestehe darin, sagt Nguyen, ein Sofa zu kreieren, das keiner braucht, aber auf das alle gewartet haben. Zehn Jahre hat Nguyen, der in Paris geboren wurde, bei Antonio Citterio gearbeitet. Seit 2008 hat er sein eigenes Studio in Mailand. Und einen noch dichteren Terminkalender.

Von Paris nach Mailand. War das ein Schock, ein fließender Übergang oder irgendwie auch dasselbe?
Schon einen Monat, nachdem ich das erste Mal in Mailand war, habe ich beschlossen zu bleiben. Aber nicht unbedingt, weil ich mich auf den ersten Blick in die Stadt verliebt hätte. Ich habe gleich am ersten Tag ein Jobangebot bekommen, das war der Grund. Inzwischen sind es 19 Jahre geworden, die ich hier lebe. In Mailand gibt es zum Glück Stadtteile, die fast wie Dörfer sind, wo man auch fast jeden kennt. In Paris habe ich nicht einmal die Nachbarn im selben Stockwerk gekannt.

Durchdacht. Der Sessel erweitert die „Blixen“-Familie bei Fendi Casa.
Durchdacht. Der Sessel erweitert die „Blixen“-Familie bei Fendi Casa.(c) Beigestellt


So ein Möbelstück bleibt ja selten allein. Es ist fast immer Teil einer größeren Inszenierung. Inwieweit ist man als Möbeldesigner gleichzeitig auch Szenograf?
Natürlich hängt die Wirkung des Produktes stark mit dem Setting zusammen, in dem es präsentiert wird. Insofern ist man auch immer Set-Designer. Das Problem an der Inszenierung auf den Messen etwa ist, dass Sofas manchmal viel, viel Platz brauchen. In so einer Dichte an Dingen und visuellen Reizen wie bei kommerziellen Präsentationen auf einer Messe etwa können sich Sofas auch nicht wirklich entfalten. Da ist die Stimmung natürlich nicht so, wie ich sie mir als Designer wünschen würde. Doch in diese Art von Szenografie bin ich nicht wirklich involviert. 50 Prozent macht das Produkt aus, 50 Prozent seine Präsentation. Aber in einem Wohnraum ist das Sofa sicher das bestimmende Möbelstück. Es kann allein schon für sich einen Lifestyle und eine Wohnwelt definieren.


Die Weite großzügiger Räume, das scheint in der Gegenwart vor allem Luxus auszumachen beim Wohnen. In welches Luxuskonzept passen Sofas, wie Sie sie etwa für Fendi Casa gestalten?
Natürlich ist die räumliche Großzügigkeit vor allem etwas, was Luxus heute ausmacht. Vor allem, weil die Städte und das Leben immer dichter werden. Und ja: Weite, Ferne, eine schöne Aussicht, das alles gehört zum Thema Luxus. Wir haben die neuen Sofas für den Katalog von Fendi Casa für das Fotoshooting in ein Haus in der Nähe von Marrakesch gebracht. Es war das Haus, das auch im fünften Teil von „Mission Impossible“ auftaucht. Ein zeitgenössischer, nüchterner Bau, in dem wir die Sofas mit Licht und Farben atmosphärisch inszeniert haben.


Am Anfang des Designprozesses haben Sie allerdings noch die Formen und Linien ganz isoliert vor sich, ganz ohne atmosphärisches Nebenrauschen. Ganz ohne Landschaftszenerie.
Man muss sich natürlich eine ganze Menge rund um das Produkt ausmalen und vorstellen können: Wie das Sofa schlussendlich in den Räumen wirkt, oder wie es sich in Umgebungen und Kontexte einfügen kann. Das fordert viel Vorstellungskraft. Aber die Sofas brauchen nicht nur Räume, in denen man sie inszeniert, sie kreieren selbst Räume. Manche Chaiselongue ist dann groß und offen genug, um sie von allen Seiten und ganz unterschiedlich zu nutzen.


Bevor sie die Kunden nach Hause geliefert bekommen, tragen viele Hersteller die Möbelmodelle in die Wüste, auf die Berggipfel, in die Regenwälder. Für die Katalogfotos. Warum holt man die Möbel so gern aus ihrem eigentlichen Kontext?
Wir haben diese Sofas von Fendi Casa auch bewusst aus dem üblichen Kontext und auch aus der üblichen Vorstellungswelt von Luxus herausgenommen. Auch um sie frei zu machen von den gängigen Luxusassoziationen. Für mich sind diese Sofas ja positioniert an der Grenze zwischen bourgeois und luxuriös. Und wenn Luxus, dann auch nicht ausschließlich im Sinn edler Materialien und Gold. Die Werte, die diese Stücke kostbar machen, liegen in dem Prozess, wie sie entstehen, entwickelt und gemacht werden. Und kostbar ist es heute auch – deshalb auch Marrakesch und das Atlasgebirge als Kulisse – einen fantastischen Blick zu haben, ins Weite zu schauen.

Hauchdünn. Für den Hersteller Laufen setzte Nguyen auf Saphirkeramik.
Hauchdünn. Für den Hersteller Laufen setzte Nguyen auf Saphirkeramik.(c) Beigestellt



Können Handwerklichkeit oder technologische Komplexität auch Werte sein, die Möbel teuer, kostbar oder gar luxuriös machen?

Wir verarbeiten in den Möbeln Werte, ja. Aber nicht Werte, die man sich traditionell kaufen kann, wenn man nur genug Geld dafür hinlegt. Wir versuchen auch die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Möbelnutzer darauf zu legen, was nicht sofort oberflächlich wahrgenommen wird. Natürlich geht es zunächst einmal um Komfort. Man muss sich hinsetzen und sich wohlfühlen. Aber darüber hinaus geht es auch um die Details. Meine Arbeit ist natürlich auch eine visuelle. Aber Luxus, wie ich ihn verstehe, glänzt nicht wie Gold, sondern liegt unsichtbar in der Verarbeitung und im Prozess. Man muss den Dingen nicht sofort ansehen, dass sie wertvoll und teuer sind. In Europa ist es oft so: Was teuer ausschaut, ist es auch. Aber in anderen Kulturen bezahlt man auch für scheinbar ganz einfache Dinge viel, viel Geld. Viele Werte drängen sich eben nicht visuell auf. Aber die Käufer und die Nutzer brauchen auch keine Gebrauchsanweisung, um sie zu entdecken. Sie spüren sie.


Viele Werte allerdings, die Labels und Hersteller mitverkaufen, sind oft nur hohle Markenwerte. Wie füllt man als Designer diese Blase?
Es gibt Hersteller, die ihre Werte hauptsächlich oberflächlich verkaufen, in Kulturkreisen und Ländern, die sich dafür eignen. Ich muss auch zugeben, dass meine Kollektionen in solchen Märkten nicht so gut gehen. Aber in anderen Ländern erwartet man unter dem Label auch tatsächliche Werte. Ich wehre mich auch dagegen, große Logos auf die Möbelstücke zu applizieren. Gute Möbel müssen auch ohne das Label funktionieren. Wie ein Wein, den man kostet und für gut befindet, ohne auf das Etikett zu schauen.


Es ist ein Vorteil und ein Nachteil zugleich, für große Marken zu arbeiten. Man muss Erwartungshaltungen erfüllen und sich manchmal auch doppelt ins Zeug legen, so wie die Kinder von berühmten Persönlichkeiten, wenn sie sich eigenständig profilieren wollen.
Wenn man als Designer Werte verarbeitet, braucht man auch Kunden, die sie wertschätzen. Was schätzen die Kunden von Möbelherstellern heute außer die omnipräsente Handwerklichkeit?
Ich vergleiche gern, was ich tue, mit ganz anderen Bereichen. Vielleicht ist es wie in der Küche, beim Essen. Die Menschen suchen nicht mehr nach größeren Portionen von teurem Kaviar. Die Köche suchen nach den Besonderheiten des Einfachen, an den Wurzeln, bei den grundlegenden Dingen und Nahrungsmitteln. So ist es im Möbeldesign auch.


Sind Sofas komplizierte Möbelstücke, weil sie sehr viele Gedanken in sich aufnehmen können? Oder sind sie gerade deshalb Produkte, deren Entwurfsprozess leicht von der Hand geht?
Für mich sind Sofas schwierig, weil alles schwierig ist. Die erste Frage, die man sich bei jedem Produkt stellen muss, ist: warum? Warum schon wieder das? Wir lösen mit neuen Modellen derselben Typologie keine Probleme. Wir brauchen keine neuen Modelle. Aber trotzdem versuche ich, etwas zu kreieren, was man an anderen Messeständen eben in dieser Form nicht wiederfindet. Ein Sofa zu entwerfen, kann in fünf Minuten erledigt sein. Ein gutes Sofa zu entwerfen, kann sehr lang dauern. Ich hoffe, dass man die Ideen und Werte, die in den Möbeln stecken, nachvollziehen kann.

Solide. Den Tisch „Wow“ gestaltete der französische Designer für Lema.
Solide. Den Tisch „Wow“ gestaltete der französische Designer für Lema.(c) Beigestellt


Aber es muss sich jetzt nicht jeder Gedanke beim Entwerfen für den Nutzer von selbst erschließen?
Objekte sollten generell nicht zu viel erzählen. Ich hatte diese Kooperation mit Laufen, dem Schweizer Hersteller. Wir durften mit diesem wunderbaren, faszinierenden Material, das extrem dünnwandige Formen und enge Radien erlaubt, arbeiten: Saphirkeramik. Aber wenn wir im Badezimmer stehen, müssen wir nicht jeden Tag erinnert werden, wie komplex diese Materialtechnologie eigentlich ist. Und die Objekte müssen nicht schreien: Seht her, wir sind die Einzigen, die das können. Es ist wie im Film „Der Himmel über Berlin“. Wenn der Engel in der U-Bahn fährt und plötzlich die Gedanken jedes einzelnen Passagiers hören kann. Wenn jedes Objekt schreit: Ich bin toll. Ich bin komfortabel. Ich bin besonders. Das wäre ein Albtraum.


Wasser ist ja schon ein Element, dem eine eigene Poesie innewohnt. Macht das die Arbeit gleich noch faszinierender?
Ich habe lang bei Antonio Citterio gearbeitet, da hatte ich schon viel mit Design im Badezimmer zu tun. Das Flüssige ist natürlich ein spezielles Merkmal. Und es ist etwas Besonderes, mit einem so grundlegenden Element zu arbeiten. Aber auch die Keramik ist ein interessantes Feld, in dem unglaublich viele Innovationen passieren. Keramik war schon immer das beste Material in Verbindung mit Wasser. Es würde ja auch keiner guten Espresso aus dem Plastikbecher trinken. Da passt nur eine Keramiktasse dazu. Und Keramik hat tiefe Wurzeln, eine lange Geschichte und sehr viel Potenzial. Das macht es so attraktiv als Material für einen Designer. Und ich arbeite gern „im Feld“. Ich muss die Dinge berühren, angreifen, riechen und auch darüber diskutieren können. In der Welt der Keramik ist alles weiß. Und ich bin immer schwarz angezogen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.