Elke Delugan-Meissl: Architektur, die Lösungen findet

Brandaktuell. Die Architektur-Biennale zeigt, wie Integration funktionieren könnte. Hier der Österreich-Pavillon in Venedig.
Brandaktuell. Die Architektur-Biennale zeigt, wie Integration funktionieren könnte. Hier der Österreich-Pavillon in Venedig.(c) Archiv HZ Georg Petermichl, Visualisierung: grafisches Büro
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Zum Start der Biennale in Venedig spricht Elke Delugan-Meissl
über innovative Quartierbeschaffung für Flüchtlinge.

Vom Bau einer Stadt in einer zunehmend kälter werdenden Welt sangen 2009 Cassandra Steen und Adel Tawil: „Ich bau ’ne Stadt für dich, aus Glas und Gold und Stein“, hieß es in dem Hit. Wie wäre es, wenn das tatsächlich völkerverbindend möglich wäre? Darüber hat sich Elke Delugan-Meissl mit ihren Partnern Gedanken gemacht. Die engagierte Architektin ist Kommissärin des Österreich-Beitrags der Architektur-Biennale, die in einigen Tagen eröffnet wird. Unter dem Titel „Orte für Menschen“ hat Delugan-Meissl Kollegen eingeladen, architektonische Lösungen für temporäres Wohnen zu bauen und zu realisieren. „Wir müssen uns dem Social Turn durch die Flüchtlingskrise stellen“, ist sie überzeugt.

Sie sind eine gefragte Architektin. Waren Sie auf die Berufung zur Biennale-Kommissärin vorbereitet?
Nein, nicht wirklich – den österreichischen Biennale-Beitrag zu kuratieren ist eine spannende neue Erfahrung. Es gibt viele Parallelen zwischen meinem Aufgabenbereich als Architektin und dem Kuratieren, auch wenn mir die Komplexität des Projektes anfangs in diesem Umfang nicht bewusst war.


Wie kam es zur Idee „Orte für Menschen“?
Es stand für mich von Anfang an fest, dass ich keine Personale oder Gruppenausstellung zeigen werde. Ich wollte einen Prozess abbilden, der die Rolle der Architektur und ihre Protagonisten in den Fokus der Wahrnehmung rückt. Beim ersten Brainstorming mit meinen Büropartnern wurden diverse Fragestellungen diskutiert, wie etwa die Auseinandersetzung mit dem Stellenwert einer Architekturbiennale. Mit Sabine Dreher und Christian Muhr von Liquid Frontiers, mit denen wir seit Langem zusammenarbeiten und die mir als Ko-Kuratoren auch beim Biennale-Projekt zur Seite stehen, haben wir das Konzept für „Orte für Menschen“ konkretisiert. Das alles fand zu der Zeit statt, als die Flüchtlingsströme massiv zunahmen, Traiskirchen überfüllt war, die Zustände in den Quartieren untragbar, damit verbundene Schicksale wie bei der Katastrophe mit 71 toten Flüchtlingen in einem Schlepper-Lkw sichtbar wurden. Wir sahen die Verpflichtung, uns diesem Social Turn zu stellen.

Praxisorientiert. Kommissärin Elke Delugan-Meissl suchte energisch Lösungsansätze für aktuelle Krisen.
Praxisorientiert. Kommissärin Elke Delugan-Meissl suchte energisch Lösungsansätze für aktuelle Krisen.(c) Christine Ebenthal


Wie Biennale-kompatibel ist so eine Aufgabenstellung?
Die Herausforderung war, dass wir Realisierungen zeigen wollten – also Prozesse, die während der acht bis neun Monate Vorbereitung bis zur Eröffnung initiiert werden konnten. Wir wollten uns keinen schon bestehenden Projekten widmen, wir zeigen anhand von realen Interventionen, wie integrativ gearbeitet sowie weiterführende Impulse gesetzt werden können. Eine Prämisse war, im urbanen Kontext zu agieren. Wir haben uns deshalb entschieden, uns auf innerstädtische Leerstände zu fokussieren. Das Konzept beinhaltet, diese Maßnahmen über den aktuellen Anlassfall hi­naus in zukünftige städtebauliche Ansätze zu integrieren – zum Beispiel über neue Formen des Wohnbaus nachzudenken, dessen heutige Standards nicht mehr allen Anforderungen gerecht werden.


Warum ist Ihre Auswahl ausgerechnet auf die drei Teams Caramel, EOOS und the next ENTERprise – architects gefallen?
Diese drei Teams haben sich in ihren bisherigen Arbeiten schon auf sehr individuelle Weise mit Aspekten befasst, die im Konzept von „Orte für Menschen“ wesentlich sind. Die drei eigenständigen interdisziplinären Zugänge in einem gemeinsamen Aufgabenfeld zu verbinden, war für das Gesamtkonzept entscheidend.


Sie sind mit dem Projekt in medias res gegangen. Wie sieht die Praxis eines solchen Vorhabens aus?
Wir haben lang-, mittel- und kurzfristige Lösungen in temporären Leerständen entwickelt. Der erste Schritt war, geeignete Immobilien zu lokalisieren, NGOs wie die Caritas, den Arbeitersamariterbund sowie den Fonds Soziales Wien für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Die wirkliche Herausforderung war die Kurzfristigkeit unseres Projekts – ein lehrreicher Prozess für alle Beteiligten, ohne deren Offenheit und Bereitschaft die Interventionen nicht umsetzbar gewesen wären. Geholfen hat auch eine Interpretation der Bauordnung, die für diese neue Form des temporären Wohnens den Begriff „Pufferquartiere“ einführte. Wir zeigen, dass Architekten fähig sind, Synergien einzugehen; dass Architektur einen essenziellen Part auch zur sozialen Lösungsfindung beiträgt – bei der Notwendigkeit von Schnellinterventionen geht es aber letztlich darum, die in der Architektur errungenen Erkenntnisse und Qualitäten beizubehalten und auch umzusetzen.


Welche Vorbedingungen haben die Architektenteams vorgefunden? Worauf war zu reagieren?
Es gibt drei Immobilien in drei Größen, drei unterschiedliche Zugänge und Konzepte, die sich in ihren Ansprüchen aber ähneln. Zu Projektbeginn waren zwei Immobilien bereits bewohnt. Die Konzepte sind darauf ausgerichtet, den Bewohnern Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu geben und über den Zeitraum der Biennale hinaus Impulse zu setzen.


Wie sehen die Lösungen im Einzelnen aus?
Das Team Caramel bespielt ein Notquartier, eine Büroimmobilie mit basaler Ausstattung für 280 Bewohner, die sich dort jeweils nur für zwei bis drei Monate aufhalten. Unter dem Motto „Wir bauen ein Haus gemeinsam“ haben Caramel ein Konzept entwickelt, welches die Bewohner mit ihren jeweiligen Fähigkeiten integriert. Das Projekt wird als Open Source zur Verfügung gestellt; es wurde so konzipiert, dass es auch in andere Quartiere transferierbar ist. Mit EOOS haben wir ein Designer-Team nominiert, das eine weitere wichtige Position einbringt. Es wird die Immobilie Erdberg bespielen, deren Charakteristikum neben der Nutzung des Gebäudes durch mehrere Interessengruppen eine zellenartige Struktur für jeweils ein bis zwei Bewohner mit so gut wie keinen Kommunikationszonen ist. Das Konzept sieht die Produktion einer ganzen Gruppe von Möbeln sowie die Einführung von neuen Funktionen, zum Beispiel Shops und Werkstätten, vor. Der Schwerpunkt der Intervention liegt nicht allein auf der Möblierung, sondern vor allem in der Schaffung von Arbeits- und in weiterer Folge von Tauschmöglichkeiten in Form einer hauseigenen Gemeinschaftsökonomie, für deren Transaktionen unter anderem eine entsprechende App entwickelt wurde. Das Projekt von the next ENTERprise – architects beschäftigt sich verstärkt mit Stadtraum und Umfeld. Es werden zum einen Raum-im-Raum-Elemente geschaffen und ein Konzept für experimentelles gemeinschaftliches Wohnen angedacht. Zum anderen wird die ursprünglich geschlossene parkartige Anlage durch punktuelle Interventionen im Außenraum geöffnet, um die Kommunikation und Begegnung zwischen Bewohnern und Anrainern zu fördern.


Wie werden die Ergebnisse für Venedig aufbereitet? Wie kann man sich die Darstellung und Vermittlung im Kontext der Biennale vorstellen?
Eigentlich sind es zwei Biennalen – eine in Wien, eine in Venedig. Wir haben uns für eine reduzierte Präsentation entschieden, behalten die Installation, die Heimo Zobernig für die Kunstbiennale 2015 entwickelte, und nützen diese als Präsentationsplattform für unsere Ausstellung. Ein Hauptbestandteil und wesentliches Element der Präsentation ist eine visuelle Dokumentation des Fotografen Paul Kranzler sowie eine kostenlose Zeitung, die sämtliche Informationen zu den drei Interventionen, Reportagen über ihre Entstehungsprozesse, Essays sowie Interviews mit Akteuren von 14 weiteren innovativen Projekten in Österreich enthält.

Tipp

La Biennale di Venezia. Die 15. Internationale Architekturausstellung findet von 28. 5. bis 27. 11. in Venedig statt. Informationen auf labiennale.org

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