Gam Fratesi: Langweilig trifft exaltiert

Symbiose. Gam (l.) und Fratesi (r.)  vereinen Designkulturen, wie beim Stuhl „Voyage“  für Porro.
Symbiose. Gam (l.) und Fratesi (r.) vereinen Designkulturen, wie beim Stuhl „Voyage“ für Porro.(c) Beigestellt
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Gam Fratesi vereinen dänisches und italienisches Design. Auch, um mit Konventionen zu brechen.

Gam Fratesi, das ist nicht nur ein loser Wortverbund aus den Nachnamen einer Dänin und eines Italieners. Stine Gam und Enrico Fratesi verknüpfen in ihren Entwürfen auch die Designkulturen, aus denen sie stammen. Inzwischen arbeiten sie erfolgreich von Kopenhagen aus, für dänische Hersteller wie Gubi ebenso wie für italienische wie etwa Porro. Für dessen aktuelle Kollektion, anlässlich des 90. Geburtstags des Hauses, versuchten Gam Fratesi in Form des Stuhls „Voyage“ sowie des Tischs „Collector“ ihre dänisch und italienisch geprägten Zugänge zu materialisieren: das handfeste Handwerkliche und das Konzeptuelle. Beim „Schaufenster“-Interview erzählen sie, dass sie sich bei ihrer Zusammenarbeit an einiges gewöhnen mussten – auch an den Gedanken, dass das Dänische für Italiener gar nicht langweilig sein muss. Oder das Italienische für Däninnen gar nicht so exaltiert.

Geschmack ist erblich, sagt man. Glauben Sie daran, dass unsere Kinder dieselben Tapeten mögen werden wie wir selbst? Und ihre Wohnung ähnlich einrichten?

Stine Gam: Ich glaube, dass man ästhetisches Empfinden einerseits schon erbt, aber andererseits sehr wohl auch trainieren kann. Bei uns beiden war es ja auch eine relativ lange Reise, bis wir wertschätzen konnten, was der jeweils andere aus seiner Designkultur in die gemeinsame Arbeit miteinbringt.

Enrico Fratesi: Diese Theorie, dass man Geschmack von den Eltern erbt, hat schon etwas für sich. Sie stimmt sicher, wenn man nicht im Designbereich arbeitet und dadurch nicht zwangsläufig mit der Erfahrung auch sein ästhetisches Empfinden reifen lässt. Man mag, was man kennt. Wenn man aber ständig wie wir als Designer zu ergründen versucht, warum die Dinge so sind, wie sie sind, und warum sie genau so aussehen, dann kann man das, was man nicht kennt – was man nicht gewohnt ist – sogar noch mehr wertschätzen. Als ich das erste Mal nach Dänemark kam, war vieles neu für mich. Das Materialverständnis etwa. Gleichzeitig erschien mir vieles schlichtweg auch langweilig. Die Produkte waren gute Produkte aus der Manufaktur, ja. Aber für meinen Geschmack zu wenig konzeptuell. Mit der Zeit habe ich begonnen, die Einfachheit auch zu schätzen – und den Wert der Werkstatt. Natürlich hat mich Stine auch ein wenig gecoacht.

Gam: Mir ging es umgekehrt so mit dem italienischen Zugang. Ich dachte, man muss ja mit den Mitteln des Designs auch nicht unbedingt alles, was einem am Herzen liegt, lauthals herausschreien. Bis ich schließlich begann, den Wert hinter dieser extrovertierten Haltung zu begreifen und den intellektuellen Zugang, der dem italienischen Design auch oft zugrunde liegt.

Handwerk  und Konzept.  Der Schreibtisch  „Collector“ für  die ­aktuelle  Porro-Kollektion.
Handwerk und Konzept. Der Schreibtisch „Collector“ für die ­aktuelle Porro-Kollektion.(c) Beigestellt

Interkulturelle Designerfahrungen können Augenöffner sein, die Gestaltern helfen, aus dem antrainierten Schema auszubrechen.
Gam: In unserer Arbeit sind solche kulturellen Kontraste sehr wichtig. Aber auch im alltäglichen Leben sollte man die scheinbar gegebenen Dinge immer wieder analysieren – und hinterfragen, was man landläufig als „normal“ empfindet. Denn im Grunde ist nichts normal. Man muss sich schon ein bisschen dazu zwingen, regelmäßig die Dinge zu überdenken, von denen man glaubte, dass sie ohnehin schon zu Ende gedacht wären.


Ist das nicht eine der grundlegendsten Designaufgaben überhaupt? Das ständige Überdenken?

Fratesi: Es gibt immer eine Logik hinter den Dingen, die uns umgeben. Und leider sind wir selbst natürlich Menschen, die nicht aufhören können, ständig unsere Umwelt zu analysieren. Das kann klarerweise auch recht anstrengend sein. Wenn man einmal eine Pause vom Design haben will, ist es manchmal schon erholsam, in Umgebungen zu sein, die nicht bis ins Detail durchgeplant und durchkonzipiert sind.

Gam: In unserem Arbeitsfeld stecken wir tatsächlich in einer kontinuierlichen Analyse. Auch unser Background als Architekten lässt uns ständig nachdenken: Warum haben die Häuser diese Farbe, sind aus diesen Steinen gebaut, und warum sind die Gehsteige davor so breit, wie sie sind? Es kann einen selbst aber auch ganz schön verrückt machen.


Ein anderer Zugang zur Gewohnheit im Design ist: Wenn man nur lang genug denselben Dingen ausgesetzt ist, beginnt man sie auch irgendwann zu mögen. Stimmen Sie diesem Ansatz zu?

Fratesi: Ich weiß nicht. Als Designer gewöhnt man sich an gewisse Sachen nie. Wenn man mit einem Detail an einem Produkt hadert, dann ärgert man sich noch Jahre später darüber.

Neue Typologie.  Der „Traveller“ für  Porro soll die Lücke zwischen Liegen und Stehen  schließen.
Neue Typologie. Der „Traveller“ für Porro soll die Lücke zwischen Liegen und Stehen schließen.(c) Beigestellt

Für den Hersteller Porro haben Sie zuletzt ein Daybed entworfen, „Traveller“ heißt es. Dabei ist es ja gar kein Daybed im engeren Sinn.

Fratesi: Das stimmt. Es ist im Grunde eine neue Typologie. Eine, die sich bemüht, eine Verhaltensänderung auszulösen. Schließlich kann man sich auf dem „Traveller“ gegenüberliegen. Normalerweise ist im Wohnzimmer das Gegenüber der Fernseher. Diese Ausrichtung wollten wir auflösen.

Gam: Das Möbel soll dazu einladen, sich aufeinander einzulassen, miteinander zu reden – und vor allem auch dazu, sich eine neue Möbeltypologie zu erobern. Eine, die man so noch nicht kannte.

Fratesi: Man tritt mit dem „Traveller“ automatisch in ein näheres Verhältnis zueinander. In Skandinavien ziehen sich Gäste auch die Schuhe aus, wenn sie in die Wohnung kommen. Und auf dem neuen Daybed geht es dann auch sehr informell zu, alle versammeln sich dort, die ganze Familie kommt dort zusammen.

Gam: Es ist ein Platz, den man selbst besetzen kann. Auch inhaltlich. Man entscheidet selbst, was dort passieren soll. Die Römer haben das Liegen ja auch ziemlich intensiv praktiziert, sie haben sogar im Liegen gegessen. Wir sind heutzutage eher am Tisch. Wir sitzen. Oder wir liegen. Etwas dazwischen gibt es meistens nicht. Und diese Lücke soll das Daybed schließen.

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