Neri & Hu: „Wir sind keine Sterne“

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Ihre Arbeit ist nicht politisch, sagen die chinesischen Designer Neri & Hu.

Leises Design, dienende Möbel, chinesische Kopierkultur: Rossana Hu und Lyndon Neri zählen zu den gefragtesten Designern Asiens. 2004 gründeten sie ihr interdisziplinäres Architektur- und Designstudio Neri & Hu, heute entwickeln sie in ihren Offices in Shanghai und London mit insgesamt über 100 Mitarbeitern ihre geradlinigen und klaren Entwürfe. Während der Mailänder Möbelmesse gaben die beiden dem „Schaufenster“ ein Interview und erzählten unter anderem vom chinesischen Designverständnis.

Teppiche für Nanimarquina, Kerzenhalter für Driade, Lampen für Viabizzuno – Sie bringen heuer zehn Kollektionen heraus. Wo liegt die größte Herausforderung in Ihrer Arbeit?
Lyndon Neri: Die größte Herausforderung in unserer Arbeit ist es, Objekte zu kreieren, die im Hintergrund wirken. Wir interessieren uns nicht für das Ikonografische, das Monumentale, das schreit: „Das sind Neri und Hu!“ Wir tendieren zu leisen Dingen. In den vergangenen fünf Jahren waren wir erfolgreich, indem wir ausschließlich unsere Produkte gezeigt haben, nicht unsere Gesichter. Jetzt ist das nicht mehr möglich. Aber es bleibt nach wie vor schwierig für uns, laute Dinge zu machen.


„Ren“ – Ihre erste Kooperation mit Poltrona Frau – ist ebenfalls heuer erschienen. Eine Möbelserie für das Foyer. Warum gerade das Foyer?
Neri: Der Eingang ist ein Raum, der immer vernachlässigt wird. Wir haben sehr elementare Objekte kreiert, die überall stehen können. Auch im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer – ein Mensch in Möbelform, demütig und diskret, primär aus Holz und Metall. Wir haben ihn Ren genannt. Die Materialien sagen: „Ich bin ein Arbeitstier und diene dir, solange ich kann.“ Er trägt auch ein wenig Leder, weil er in einem Poltrona-Frau-Haushalt steht und eine Uniform braucht. Ren ist einfach ein Fest des Alltäglichen. Er verbindet das Mondäne mit dem Ordinären. Wer sich die Struktur ansieht, erkennt auch den Buchstaben Ren in den Möbeln (㆟, Chinesisch für Arbeitskraft, Anm.). Und in China haben wir viele Rens.


Sie haben zwei Offices, eines in Shanghai, eines in London. Wie unterscheiden sich chinesisches und europäisches Designverständnis?
Rossana Hu: China hat ein anderes Verständnis von Kreativität als die westliche Welt. Als wir vor über zehn Jahren mit unserer Arbeit begonnen haben, verstand niemand, worum es in unserem Beruf geht. Heute respektiert man Originalität, Menschen schätzen Design. Ein Unterschied zwischen Europa und China ist auch das Verständnis für Handwerk und Industrie. Nehmen wir die Kopierkultur: Eine Kopie muss ich in Europa niemandem erklären – in China kann ich sie gar nicht erklären. Die Menschen haben kein Verständnis von maßgeschneiderten Möbeln oder originalem Design.

„Arbeitstier“. „Ren“, Arbeitskraft also, heißt die Neri-&-Hu-Serie für Poltrona Frau – dazu gehören etwa ein Kaffeetisch (r.), eine Konsole (l.) und eine Garderobenleiste (oben).
„Arbeitstier“. „Ren“, Arbeitskraft also, heißt die Neri-&-Hu-Serie für Poltrona Frau – dazu gehören etwa ein Kaffeetisch (r.), eine Konsole (l.) und eine Garderobenleiste (oben).(c) Beigestellt


Wie gehen Sie damit um?
Hu: Wir müssen die Menschen bilden. Mit Beispielen, vollkommen unvoreingenommen. Es geht nicht darum zu sagen: „Ich habe recht, du nicht!“ Man muss geduldig erklären: „So läuft es in der Industrie.“ Man denke an den Beginn der Industriellen Revolution: Die Menschen mussten lernen, die Massenproduktion zu verstehen. Speziell, wenn wir heute an der Gestaltung von Innenräumen arbeiten, müssen wir viel erklären. Etwa, dass man von einem Antonio-Citterio-Stuhl nicht einfach eine Zeichnung machen lassen, diese zur nächsten Fabrik bringen und den Stuhl dort fertigen lassen kann. Ich finde, dass man Kopien vielleicht nicht nur kritisieren, sondern auch billigen sollte. In der Geschichte des Designs und der Kunst sind viele originäre Gedanken aus Kopien entstanden. Nur: China ist noch nicht so weit! Wir dürfen Kopien nicht billigen, nur weil sie passieren, noch dazu in einer ganz falschen Art und Weise.


Inwiefern mischt sich die Politik in Ihr Schaffen ein?
Neri: Anders als Ai Weiwei haben wir kaum eine politische Aussage. Er nimmt einen Standpunkt ein, und wir applaudieren ihm dafür, aber unsere Arbeit ist niemals politisch. Die Politiker sehen eher, dass sie Design brauchen: Wir sorgen dafür, dass China gut dasteht. Im Gegensatz dazu wollen einige große Medien der Welt manche unserer Arbeiten gar nicht vorstellen, weil sie sagen: „Das ist zu schön, um aus China zu sein.“


Ihr Studio gibt es seit über zehn Jahren, gerade in letzter Zeit wurden Sie immer wieder ausgezeichnet. Wo steht die nächste Designgeneration aus China?
Neri: Wir gelten als aufstrebend in vielen Bereichen – Architektur, Design, Interieur –, teilweise wohl, weil wir uns eben nicht auf eine Branche konzentrieren. Manches machen wir ganz bewusst, weil wir damit eine Brücke für die nächste Generation bauen. Wir sind keine Sterne, wir sind die Brücken. Wir hoffen, dass sich manche junge Designschaffende denken: „Wenn diese Chinesen Neri und Hu so weit gekommen sind, können wir das auch.“ Dieser Gedanke macht uns zufrieden. Immerhin hat China ein einmaliges Potenzial.


Wo liegt Ihre wahre Leidenschaft – im Design, in der Architektur, in der Innenraumgestaltung?
Neri: Zuallererst sind wir Architekten. Ich mag Raum in der Interaktion mit Menschen. Ich glaube, Architektur ist für die Gemeinschaft, die Öffentlichkeit. Es ist sehr schwierig für uns, private, exklusive Clubs oder Häuser zu machen. Wir haben die Tendenz, das Öffentliche und Private zu vermischen. Innenarchitektur, Grafik und Design liegen uns aber auch am Herzen, weil sie innerhalb der Architektur liegen, die wir designen.

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