Fliesen: Brennen für den Zufall

Heiß und dreckig. Bei 850 Grad härten die Fliesenunikate. im Ofen.
Heiß und dreckig. Bei 850 Grad härten die Fliesenunikate. im Ofen.(c) Beigestellt
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Die Vorarlberger Fliesenmanufaktur Karak produziert nach japanischer Tradition Unikate, die sich zu sinnlichen Gesamtbildern verbinden.

Die Zukunft darf kommen. Auch in Schlins in Vorarlberg kann sie natürlich Einzug halten. Gern darf sie auch Neues bringen. Auch Sebastian Rauch mag Innovation, vor allem die ästhetische – schließlich ist er Grafikdesigner. Doch genauso gern darf die Zukunft Dinge bringen, die man schon seit Jahrhunderten kennt.

Denn so wie sich die Set-Designer von Science-Fiction-Filmen oder manche Produktdesigner die Zukunft ausmalen, ist sie Rauch doch viel zu „glatt, clean, zu perfekt, einfach zu makellos“. Gröber, rauer, menschlicher, sinnlicher darf auch die Gestaltung der Lebensräume sein, meint er. Makel und Unregelmäßigkeiten gehören da auch dazu. Wie in den Prozessen, die in der Schlinser Keramik-werkstatt vonstattengehen. Sebastian Rauch ist ein gebranntes Kind: Sein Vater baut Lehmwände, seine Mutter, Marta Rauch-Debevec, hat jahrelang als Keramikkünstlerin die japanische Raku-Brandtechnik kultiviert. Eine uralte Handwerkskunst, die Rauch gemeinsam mit seiner Mutter und Thomas Rösler weiter pflegt – um Fliesen herzustellen.

Struktur. Die Muster entstehen digital, die feine Rissstruktur im Ofen.
Struktur. Die Muster entstehen digital, die feine Rissstruktur im Ofen. (c) Beigestellt

Choreografie des Brennens. Unter dem Namen Karak legen die drei einer japanischen Keramiktradition ein völlig neues Terrain aus – in Design und Architektur, auf den Böden und Wänden der Räume, in denen Menschen leben. Mehr als 500 Quadratmeter im Jahr können sie zurzeit allerdings nicht verkleiden, mehr gibt die Kapazität der Werkstatt einfach nicht her. Doch jeder Quadratmeter, gemischt nach einer Rezeptur aus verschiedenen Scha-motten, Tonen und Lehmen, ist ein Unikat. Gebrannt und verdichtet zum haptisch spürbaren Exempel eines alten ästhetischen Konzepts, des buddhistischen Wabi-Sabi, der „Schönheit des Unperfekten“.

In der Schlinser Werkstatt trudeln regelmäßig Säcke ein. In den einen die Sägespäne. In den anderen der weiße Ton aus dem Westerwald, die Grundsubstanz der „Scherben“, die später geometrische, digital generierte Muster tragen.

„Wir sehen Handwerk ganz und gar nicht aus einer romantisch verklärten Perspektive“, sagt Rösler. Doch Herstellungsprozess klingt trotzdem fast zu profan, wenn die Fliesen bis zu ihrer Fertigstellung mehr als 30-mal in die Hand genommen werden. Eine dreckige, heiße Zeremonie ist es, bei der Erde auf ihre Transformation durch das Feuer wartet. Die Fliese wird. Und sie passiert. Die Individualisierung der Werkstücke, sie erfolgt wie von selbst. „Der Raku-Brand wurde traditionell für Einzelstücke angewendet“, erzählt Rösler.

Erdarchitektur.  Die Keramikfliesen erden die architektonische Gestaltung.
Erdarchitektur. Die Keramikfliesen erden die architektonische Gestaltung. (c) Beigestellt

Eine Karak-Fliese ist nicht wiederholbar: Denn selbst das Wetter während des Brennens kann sich auswirken: darauf, was am Ende des Prozesses herauskommt. Genauso, ob die Sägespäne, auf denen die heißen „Scherben“ landen, noch frisch sind oder schon leicht angebrannt. „Wir haben auch schon mal Laub statt Spänen verwendet“, sagt Rösler. Das Ergebnis: wieder ein anders.

Das Krakelee, das feine Netz von kleinen Rissen und Sprüngen, das beim Brennen entsteht, ist der Fingerabdruck der Herstellungszeremonie. Genauso wie das Brandmal, das zeigt, wo die Zange zugepackt hat. „Wir verstehen es jetzt quasi als visuelles Qualitätsmerkmal“, erklärt Rösler.
Das Grobe, das Raue, das Sinnliche – all das, was Sebastian Rauch an der allzu glatt stilisierten Zukunft vermisst, in den Karak-Fliesen und darin, wie sie zustande kommen, findet er es. „Wir mögen gern Dinge, die auch Patina anlegen dürfen, die einfach eine gewisse Sinnlichkeit in sich tragen.“ Die Sterilität eines funktionsbestimmten Minimalismus, das sei nichts für Räume, in denen Menschen leben.

Gut geerdet. „Der Prozess basiert zum großen Teil auf dem Zufall“, sagt Rösler. Doch dass das kleine Unternehmen Karak in Schlins jetzt Fliesen brennt, kann man aus der Entfernung auch ein bisschen als Bestimmung sehen. Rauchs Vater, Martin Rauch, war schon seit jeher mit Erde verbunden: Er stellt Lehmwände her. Das Elternhaus selbst, das als „Haus Rauch“ durch die Architekturblogs und -magazine kursierte, wurde zu 80 Prozent aus dem eigenen Aushubmaterial gebaut: ein Lehmhaus, in dem Fliesen aus der familieneigenen Werkstatt zum Teil die Böden und Wände verkleiden sollten. Der Schweizer Architekt des Hauses, Roger Boltshauser, präferierte bei den Fliesen ursprünglich den minimalistischen Zugang. Doch die Familie plädierte für Muster. Und mit dem Haus machten plötzlich auch die Fliesen in Fachkreisen Furore. Die ersten Anfragen trudelten ein.

Handarbeit. Die Muster gelangen per Siebdruck auf die Fliesen.
Handarbeit. Die Muster gelangen per Siebdruck auf die Fliesen. (c) Beigestellt

Rösler, ein gelernter Werkzeugmacher, der an der New Design University in St. Pölten Manual & Material Culture studiert hatte, optimierte den Produktionsprozess in der kleinen Werkstatt. Und Rauch tüftelte als Grafikdesigner am Computer an den Mustern, die schließlich per Siebdruck und per Hand auf die Fliesen gelangen sollten. „Ich spiele gern mit Kippeffekten“, sagt Rauch, „oder mit unsichtbaren Linien, die auch plötzlich visuelle Verbindungen zulassen.“

Rösler und Rauch waren schon seit Jugendjahren freundschaftlich verbunden, jetzt sind sie auch geschäftlich Partner. In einem Projekt, das für die beiden im Anfangsstadium trotz vieler absolvierter internationaler Messeauftritte und Aufträge noch immer Abenteuerspielplatz und Experimentierfeld ist. Schon mit dem Namen Karak begann das Experiment – ein lautmalerisches Palindrom. Als Einstieg in das Abenteuer Fliese, eine Reise ins manchmal Ungewisse bei 850 Grad.

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