Vincent van Duysen: Der Kopfzeichner

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Die Entwürfe von Vincent van Duysen sprechen Esperanto, rein formal. Selbst wenn sie aus Italien kommen.

Am Anfang war das Wort. Auch die Genese des Designs, der Entstehungsprozess der Möbel, fängt damit an. Doch bevor der belgische Architekt und Designer Vincent van Duysen seine Ideen formuliert, skizziert er sie im Kopf – in Gedanken. Und wenn er dann darüber spricht, mit den Entscheidungsträgern in den Unternehmen, für die er arbeitet, oder mit den Handwerkern in den Werkstätten, die seine Entwürfe schlussendlich fertigen, dann spricht er auch gern in fließendem Italienisch. Die Formen hingegen, die er kreiert, kommunizieren einen anderen Code: ein Design-Esperanto gleichsam, das überall auf der Welt sein Zuhause und seinen passenden Kontext finden kann. Mit einem doch wahrnehmbaren italienischen Akzent – schließlich ist van Duysen inzwischen der Creative Director des italienischen Möbelherstellers Molteni. Dabei setzt er lieber auf lang anhaltende gestalterische Töne, erzählt van Duysen im Gespräch mit dem „Schaufenster“: „Wir sind modern. Aber wir sind nicht Hype“.

Sie sprechen fließend Italienisch, fast wie Ihre Muttersprache Flämisch. Wie wichtig ist das für Ihre Profession und Position?
1985 war ich mit meinem Studium in Mailand fertig. Vielleicht habe ich ja ein Sprachtalent, aber das Italienische habe ich in drei Monaten komplett aufgesogen. Meine Verbindung mit Italien war immer eine starke, beruflich genauso wie persönlich. Italien ist mein zweites Zuhause. Und für den Dialog während des Entwurfs- und Designprozesses ist es fast unabdingbar, schließlich sprechen viele Italiener bevorzugt Italienisch. Es ist wichtig für die Konversation mit den Geschäftsführern genauso wie für das Gespräch mit den Menschen, die in den Werkstätten an den Möbeln arbeiten. Der ästhetische Kontext der Produkte, die Technologien, die man für die Produktion anwendet, es gibt so viel zu besprechen . . .

Pur.  Nur nicht zu viel: Auch das Haus „BS“ in Zwevegem hält sich gestalterisch zurück.
Pur. Nur nicht zu viel: Auch das Haus „BS“ in Zwevegem hält sich gestalterisch zurück.(c) Juan Rodriquez


Also ist der Anfang aller Architektur, jedes Designs auch die Kommunikation?
Ja. Es beginnt mit dem Miteinanderreden. Und natürlich dem guten Zuhören oder auch damit, die richtigen Fragen zu stellen. Auch die Zusammenarbeit mit Molteni hat so angefangen. Man tauschte die Vorstellungen über die Zukunft aus, die Blickwinkel, stellte fest, wo es Verbindungen gibt, stilistisch und visionär. Wie können wir die Marke stärken? Wahrnehmbar machen für die Menschen und auch zugänglicher? Wir wollen ja nicht für die Architekten gestalten, sondern letztendlich für die Menschen, die Architektur und Design nutzen. Die Möbel von Molteni sollen schließlich auch Teil eines Zuhauses werden, das überall auf der Welt sein kann. Und dafür brauchen wir eine Designsprache, die auch global verständlich ist. Natürlich mit einer Konnotation, die gleichzeitig auch klar italienisch ist, aber doch in jedem Kontext Sinn haben würde.


Beschwören Sie mit Ihren Entwürfen die stilistische Neutralität, die gestalterische Unverbindlichkeit?
Vor allem geht es bei Möbeln darum, dass sie das Wohlbefinden unterstützen und den Komfort, aber auch die Empfindung, beschützt zu sein. Mit diesen Aspekten habe ich mich stets auch in der Architektur auseinandergesetzt. Alles dreht sich schneller und schneller in unserer Welt, da ist es an der Zeit, durch die Gestaltung, durch unsere Möbel auch ein wenig Geschwindigkeit herauszunehmen. Und genau das ist auch meine Intention: das Tempo ein wenig zu drosseln. Es sind Entwürfe, die keinen Trends oder Moden folgen, da halte ich mich gern heraus. Vielleicht kann man mich neokonservativ nennen. Das könnte meinen Zugang beschreiben. Ich bin jemand, der Traditionen wertschätzt. Und sie in eine gewisse Lebensart, in ästhetisch gestaltete Dinge und Architekturen übersetzt. Dabei ist mir das Handgemachte auch sehr wichtig. Ich muss die Hand, die etwas geschaffen hat, spüren, genauso wie das Hirn dahinter. Die Dinge sollen menschlich sein und bleiben, aber auch angreifbar, sinnlich, haptisch. Die Variationen dieses Konzepts und so manche Besonderheiten, die wir auch in den Molteni-Möbeln verarbeiten, sind nicht immer gleich augenfällig, verstecken sich oft ein wenig, im Detailbereich oder auch in der Technologie, die angewendet wird, um die Produkte herzustellen. Doch diese Möbel strahlen natürlich auch immer einen eleganten Chic aus, der ist nun einmal erblich bedingt, als Teil der italienischen Kultur ganz allgemein.

Minimalistisch. „DC2“, ein privates Landhaus in Temse, Belgien, verbindet Tradition und Moderne.
Minimalistisch. „DC2“, ein privates Landhaus in Temse, Belgien, verbindet Tradition und Moderne. (c) Beigestellt


In den vergangenen 30 Jahren haben Sie vorwiegend, aber nicht nur als Architekt gearbeitet. Wie sehr passt ein Architekt als Creative Director zu einer italienischen Möbelmarke?
Ich hatte als Architekt immer den natürlichen Zugang im Fokus, das gilt bei den Farben genauso wie bei den Materialien. Das stilistische elegante Understatement war mir immer wichtig, und genau das verbindet mich auch mit der Kultur von Molteni. Und mit dem Auge eines Architekten kann ich noch eine viel weitere Perspektive einbringen, einen Blick auf das Ganze – den Lebensraum des Menschen. Noch dazu hat Molteni wie andere italienische Möbelmarken auch eine lange Geschichte der Kooperation mit großen Namen der Architektur, von denen viele zu meinen Vorbildern zählen. Auch einer der Gründe, warum ich bei der Anfrage, ob ich Creative Director sein möchte, Ja gesagt habe. In diese riesigen Fußstapfen der großen Architekten treten zu dürfen, ist eine große Ehre und macht mich stolz.


Traditionen bewahren auf der einen Seite, Neues hervorbringen auf der anderen, eventuell auch einmal Konventionen brechen – wie balancieren Sie das aus als Gestalter?
Wenn ich mich mit einer Möbelmarke beschäftige, kreiere ich eine Welt, einen Lebensraum, ein Heim. Sogar der Messestand soll alle Schichten und Elemente, die dafür wichtig sind, enthalten. Auch bei den Fotoshootings für die neue Kampagne wollten wir die Produkte nicht nur vor einem oberflächlichen Hintergrund arrangieren, sondern in Umgebungen und Kontexte aus meinem Archiv einbetten, um ihnen auch inhaltliche Tiefe zu geben. Wir wollen aus den Traditionen Neues schöpfen. Und meine Aufgabe als Creative Director ist es, die richtigen kreativen Entscheidungen dafür zu treffen. Es gibt eine große Gruppe von Architekten, die sich kaum mit dem Interieur auseinandersetzt. Ich hingegen versuche die Verbindung von Architektur und Interieur bewusst herzustellen.


Welche sind die Räume, in denen Sie sich selbst ausklinken aus dem rasanten Alltagsleben?
Das ist mein Zuhause. Dort kappe ich gern immer wieder die Verbindung mit der Außenwelt. Jeder braucht so einen Platz, ich auch. Mein Leben ist zum Teil ein superhektisches. Ich bin viel auf Reisen, das kostet Zeit. Auf Reisen versuche ich zwar zu rasten, aber der einzige Platz, an dem ich mich wirklich ausklinken kann aus all dem, ist mein Zuhause, für mich ist es ein kontemplativer Ort, eine Stadtoase, die mich mit neuem Sauerstoff versorgt für meine Kreativität. Dort kann ich das Tempo drosseln. Manchmal höre ich nicht einmal Musik zu Hause, sondern genieße die Schönheit der Stille. Mit meinen Büchern, Magazinen und meinen Hunden. Das ist für mich die beste Möglichkeit, meine Kreativität und meine Inspiration neu zu befeuern.

Richtung. Auch für die Küchenmarke Dada ist van Duysen Creative Director.
Richtung. Auch für die Küchenmarke Dada ist van Duysen Creative Director. (c) Beigestellt


Die Kreativen gelten bei manchen als extrovertierte Teamworker. Dabei ist der kreative Prozess doch ein nach innen gerichteter. Gehören Sie auch zu den eher introvertierten Gestaltern?
Ich denke, schon. Ich zeichne zwar beim Entwerfen, aber ich zeichne vor allem in meinem Kopf. Man könnte es fast mentale Skizzen nennen. Mein Hirn befindet sich im Nonstop-Kreations- und Denkmodus. Ich bin ein sehr visuell orientierter Mensch, ich absorbiere automatisch sehr viel von dem, was ich wahrnehme. Von irgendwoher kommt dann die Inspiration. Im Endeffekt ist es mein Kopf, der die Eindrücke verarbeitet. Der Designprozess startet dann in dem Moment, wenn ich meine mentalen Skizzen nach außen an jemanden vermittle. Ich brauche unbedingt diese Momente, in denen ich ganz allein bin. Eine Umgebung, die mich wieder runterbringt. Das ist nicht Mailand, nicht Paris. Das ist eben nur mein Zuhause.


Ist es nicht auch irgendwie eine Last, einen sensiblen Kopf zu haben, der ständig auf Empfang steht?
Irgendwie schon. Aber ich habe zum Glück gelernt, meinen Kopf auch regelmäßig zu leeren, durch Meditation etwa. Oder auch durch andere Techniken und Strategien, die ich mir angeeignet habe und durch die ich mich und meinen Kopf ausruhen kann.


Sie wohnen in Antwerpen, das sich einen Ruf als dynamisch-kreative Stadt erarbeitet hat. Wie empfinden Sie selbst diese Stadt?
Es ist tatsächlich eine aufregende, kreative Stadt. Mode, Theater, Malerei, Tanz – die Stadt strotzt vor Kreativität. Antwerpen ist zwar eine kleine Stadt, die sich aber auf dem kulturellen und kreativen Sektor wie eine Metropole gibt. Dabei liegt hier alles in der Nähe, alles ist gut sichtbar, mehr als ein Rad braucht man nicht, um sich in der Stadt zu bewegen. Es ist eine Stadt am Fluss, das ist auch eine Qualität, genauso wie die vielen historischen schönen Häuser. Aber Antwerpen ist auch offen für neues Design und Architektur. Das zeigt auch das Beispiel „Havenhuis“ von Zaha Hadid, das vergangenes Jahr fertig wurde.

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