Ein Gestalter und Gentleman

Zu Besuch bei Antonio Citterio in Mailand. Hier zeichnet er Hochhäuser genauso wie Sofas. Seine Stücke stehen bis 9. April auf der Messe Salone del Mobile.

Typisch Mailand. Kann man das überhaupt behaupten von Dingen, die Designer gestaltet haben? Die noch dazu entworfen wurden von Mailändern in Mailand wie etwa Antonio Citterio, dessen Studio dort liegt, wo die Gassen hinter dem Dom ein wenig enger werden. Vor Kurzem wurde er in einem italienischen Designmagazin so genannt: „designer gentiluomo“, In seinen 66 Lebensjahren wurde er oftmals preisgekrönt, 1987 und 1995 mit dem prestigeträchtigsten unter den Designpreisen, dem Compasso d’Oro, ausgezeichnet. In Meda wurde er geboren, in der Kleinstadt in der Nähe von Mailand ist er auch aufgewachsen. Dort war die Möbelindustrie schon immer zu Hause. Von klein auf hat er Tischlern und Tapezierern bei der Arbeit zugesehen; nach dem Studium gründete er 1970 sein Architekturbüro in Mailand, bewegte sich aber seit Anfang an auf dem internationalen Parkett. Zu seinen Auftraggebern gehören renommierte Hersteller wie Vitra oder italienische Unternehmen wie B & B Italia, Kartell oder Flexform.

Zuletzt arbeitete er intensiv mit seinem Studio an dem Projekt „Grand Sofa“ für Vitra. Ab 4. April wird es auf der größten Möbelmesse der Welt in Mailand, dem Salone del Mobile, zu sehen sein. Ist es ein Sofa, dem man die Mailänder Provenienz ansieht? „Ich würde es so sagen: In erster Linie begreife ich mich als ein Architekt, der international tätig ist. Unser Büro mit 85 Mitarbeitern in Mailand und fünf in New York zählt zu den wichtigsten in Italien. Was das Design wiederum betrifft, so bezeichne ich mich in der Tat als Mailänder, als Mailänder Designer.“ Und diese Stadt hat so einige große Namen auf dem Terrain von Architektur und Design hervorgebracht. Von Luigi Caccia Dominioni, Piero Portaluppi über Giò Ponti bis Vico Magistretti. „Sie alle setzten stets beim architektonischen Entwurf an, hatten aber auch gleichzeitig das Interior im Kopf“, sagt Citterio.

Beispielhaft. Die Villa Necchi Campiglio etwa, entstanden in den 1930er-Jahren, liegt eingebettet im historischen Kern Mailands – Portaluppi hatte sie entworfen und eingerichtet, ein beeindruckendes Beispiel für das Zusammenspiel von Architektur und Design, so wie es auch Antonio Citterio gern in seinen Projekten vorexerziert – gemeinsam mit seiner Studiopartnerin Patricia Viel, mit der er unter „Antonio Citterio Patrizia Viel and Partners“ firmiert. Dieses Entwurfsverständnis bildet sich auch ab in Projekten wie etwa dem Bulgari Hotel in London, dem internationalen Flughafen Hamad in Doha oder dem Firmensitz von Ermenegildo Zegna in Mailand. Auch sieben Wolkenkratzer und sechs Bürobauten weltweit, an denen das Studio gerade arbeitet, bereichern mit seiner ganzheitlichen Sicht das Portfolio des Studios. „Und deshalb wäre es falsch, mich als Designer zu bezeichnen, ohne hinzuzufügen, dass ich Italiener, genauer noch – Mailänder bin.“ Dass sich seine und die Generationen davor in erster Linie als Architekten wahrgenommen haben, könnte man auch damit erklären, dass es damals noch keine Designausbildung gab. Trotzdem weiß Citterio, dass ihn viele gerade wegen seiner Designobjekte kennen und verehren. Dazu gehören auch der bunte Rollcontainer „Oxo“ von Kartell etwa, die Stehleuchte „Kelvin“ für Flos oder auch der „T-Chair“ für Vitra. Und natürlich ist auch das Sofa eine Möbeltypologie, mit der sich Citterio immer wieder intensiv auseinandergesetzt hat. Zuletzt mit dem „Grand Sofa“, das er für die Vitra Home Collection entwarf.

Analyse. Citterio setzte sich intensiv mit den Wohngewohnheiten rund ums Sofa auseinander.
Analyse. Citterio setzte sich intensiv mit den Wohngewohnheiten rund ums Sofa auseinander. (c) Beigestellt

Möbel-Analyse. Sofas gehören zu jenen Möbeln, die auch den Wandel der Gesellschaft gestalterisch abbilden, davon war Citterio schon immer überzeugt, weswegen er schon Anfang der 70er-Jahre zu diesem Thema recherchierte. Damals wagten die Hersteller und Designer schon neue Formen, Farben und unkonventionellere Stile. Bei der Aufstellung und Positionierung blieb man jedoch lange konservativ: Ein Sofa und ein Polstersessel dazu, fertig. Den Anstoß zur Sofarecherche verdankte Citterio einem Professor an der Kunstschule: „Der ließ uns Stühle von Charles Eames und Harry Bertoias Stück für Stück auseinandernehmen“, erzählt Citterio. „So lernte ich den Unterschied zwischen der amerikanischen und der italienischen Designschule.“ Die amerikanische hätte sich eher an dem Produkt orientiert, meint er, die italienische eher am Rationalismus der 1930er-Jahre und dem Bauhaus. „Doch die Zielgruppe der Bauhaus-Architekten war die Arbeiterklasse, die Mailänder Architekten dagegen entwarfen für das wohlhabende Bürgertum.“ Das italienische Wirtschaftswunder der 1950er- und 1960er-Jahre brachte verbreiteten Wohlstand, die Milieus und Klassen vermischten sich. Die Raumgestaltung und die Innenarchitektur reflektierten in ihren Entwürfen diese Entwicklung. Schließlich trat auch der Fernseher in das Leben fast aller und somit auch ins Zentrum des Wohnzimmers und seiner Blickachsen. „Das Wohnzimmer wurde zum ‚Living Room‘, wo man sich, statt steif herumzusitzen, entspannte. Dabei wurde das Sofa zum zentralen Element, auf dem man fernsah, es sich mit Chips und Getränken gemütlich machte, zusammengerollt ein Buch las und eventuell auch schlief. Und: Das Sofa eroberte die Mitte des Raumes“, erklärt Citterio.

Zeitbefreit. All diese Überlegungen der frühen Recherchen flossen auch bei der Entwicklung des „Grand Sofa“ für Vitra mit ein. „Für mich ist ein Sofa letztendlich nicht mehr als ein großes Kissen und eine leichte, tragende Struktur. Beim ‚Grand Sofa‘ könnte man sogar behaupten, die Rückseite sei interessanter als die Vorderseite.“ Die zur Seite offenen Elemente erlauben es zum Beispiel, zwischen den Sitzelementen auch mal ein Tischchen einzufügen. Ein schlichtes Aluminiumgestell trägt die großflächigen gepolsterten Elemente, die sich zu Sitz- oder Schlafkombinationen verbinden lassen. „Ganz am Anfang meiner Karriere, in den 70er-Jahren, habe ich sechs Monate an einem Entwurf für ein kleines Geschäft gearbeitet. Heute heißt es, in eineinhalb Monaten den Vorentwurf für einen Wolkenkratzer fertig zu haben.“ Die Zeiten ändern sich, das bekommt auch Citterio als Designer zu spüren: „Auf dem Markt gibt es so viele Designobjekte, dass die Unterscheidung immer schwieriger wird. Doch ausgefallene Zugänge lösen das Problem nicht. Trendy zu sein, das hat mich noch nie interessiert.“ Viel wichtiger findet Citterio einen Faktor: die Zeit, die man den Dingen und Gebäuden möglichst nicht ansehen kann. Nicht jene, in denen sie entstanden sind. Und nicht jene, die seitdem verstrichen ist.

Salone del Mobile. Vom 4. bis 9. April in der Messe Mailand. Auf dem Stand von Vitra, Halle 20, Stand D09 ist das „Grand Sofa“ zu sehen.

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