Filmdesign: Lügen wie gedruckt

Designgreißlerei. Requisiteure kommen zu Martin Stattler.
Designgreißlerei. Requisiteure kommen zu Martin Stattler.(c) Katharina F-RossbothR
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Martin Stattler designt die Fiktion: Fernsehkommissare trinken sein Bier. Filmhelden schlucken seine Pillen.

Sie sind schon selten geworden, diese Geschäfte, in denen man gefühlt alles bekommt. In denen der Inhaber unter der Ladentheke immer genau das hervorzieht, was man gesucht hat. Smartcraft, die kleine Firma von Martin Stattler, ist so eine Anlaufstelle. Er hat’s ja zugegebenermaßen ein wenig leichter als der Greißler an der Ecke früher: Denn was es nicht gibt, kann er kurzerhand erfinden. „Tatort“-Kommissare trinken sein Bier am Würstelstand. Filmhelden mit Stimmungsschwankungen nehmen seine Antidepressiva. Und Gangster stehlen Autos, für die Stattler die ukrainischen Kennzeichen gepinselt hat. Smartcraft gestaltet die Produktwelt der Fiktion, füllt Kühlschränke und Tische in Filmen mit Produktdesigns, die es so gar nicht gibt. Aber von denen die Zuschauer trotzdem meinen, sie schon mal so oder so ähnlich irgendwo gesehen zu haben.

In der Wiener Gartengasse liegt das „Geschäft“, das Apotheke, Getränkehandel und Trafik zugleich ist – zumindest für Filmproduktionsfirmen. Im Sortiment hat Stattler neuerdings auch Rauchwaren aus dem Jahr 1937. Schließlich hat er auch den Film „Der Trafikant“, der vor Kurzem gedreht wurde, mit Tabakwaren bestückt. Die Requisiteure mussten nur noch die Zigarillos unter die eigens glanzbedruckten Folien in die Packungen schieben, die Stattler natürlich auch selbst bedruckt und gebastelt hat. Auch die Chipssackerl aus seiner Druckwerkstatt glitzern und knistern wie jene aus dem Supermarkt. Und die Medikamente, die auf den Nachtkastln der Filmprotagonisten liegen, schauen auch nicht weniger seriös aus als die, für die man ein Rezept braucht. Auch das Bier aus dem Filmrequisiten-Sortiment beschwört Reinheitsgebot und Tradition wie die Wirklichkeitsverwandten aus Ottakring, Göss und Zipf. Bei Stattler heißt es dann halt Kahlenbergbräu oder Kremser Bräu.

Fakes für die Filmwirklichkeit. Aber nicht nur die Guten in Film und Fernsehen kaufen bei ihm Tschick der Marke „Milagro“. Auch die Bösen aus den Drehbüchern holen sich bei Martin Stattler ihr Geld. Gleich bündelweise. Doch natürlich, sagt Stattler, „sind die Scheine so gestaltet, dass sie nur im Film funktionieren“. Sie wirken wie echt, aber unter der Banderole bleibt das Bündel weiß. Realitätsnah genug jedoch für die nächste fiktive Lösegeldübergabe.

Klein wie Briefmarken. Riesig wie Wandtapeten. Alles, was sich drucken lässt, zählt Stattler zu seinem Sortiment. „Wir freuen uns immer über Sonderwünsche“, sagt Stattler. Und Produktionsfirmen haben immer welche auf ihrer Einkaufsliste. Auch wenn ein ganzer Boden mal täuschend echt wirken soll: Da wird per Folie aus billigem Laminat schnell ein historisches Sterneparkett.

Bilderrauschen. Martin Stattler hat selbst am Set gearbeitet, als Requisiteur. Etwa für über 100 Folgen der Serie „Schloss Orth“, wie er erzählt. Heute entwirft er Corporate Identitys für Joghurt, Kräuterschnäpse und Geflügelhöfe, die nur in der Fiktion existieren. Er kopiert, fakt, gestaltet, retuschiert, druckt, faltet Kartons, schneidet Folien, bemalt Schilder. Und drückt den Requisiteuren für das Set „drehfertig“ detailliert beschriftete Pakete in die Hand. „Früher haben viele schon zu schwitzen begonnen, wenn sie in Drehbüchern so etwas wie ‚Zeitung‘ gelesen haben“, erzählt Stattler. Heute sind seine Schubladen voll mit aktuellen und historischen Ausgaben. Früher ver­­schwam­men so manche Details am Filmset noch im Bildrauschen des analogen Filmmaterials. „Heute“, meint Stattler, „zeigt die High-Definition-Auflösung auch die kleinsten Details“. Und natürlich Fehler. Umso wichtiger, dass die Filmszenen ihre Authentizität bis in Produktdetails hinunterdeklinieren. „Mich hat es immer gestört, wenn man Autokennzeichen von Weitem angesehen hat, dass sie Fakes sind.“

Denn Fakes müssen es meistens sein: Weil es zum einen im Fernsehen verboten ist, Produkte ins Bild zu rücken. Und zum anderen von den Herstellern oft alles andere als erwünscht. „Denn es kommt natürlich immer auf den Kontext an, in dem ein Produkt gezeigt wird“, erzählt Stattler. Schließlich müssen etwa Medikamente auch für manche Bösartigkeiten im Film herhalten. Da geben Pharmafirmen ihre Markennamen nur ungern her. Verständlich. Dann doch lieber das Schlafmittel, das Martin Stattler erfunden und designt hat. Oder wenn sich der Hauptdarsteller auf Regiewunsch den letzten Rest Zahnpasta aus einer alten Blechtube rausdrücken soll: Dann gehen Requisiteure doch gern zum Greißler, da sie wissen: Wenn es Martin Stattler nicht schon hätte, dann würde er’s sicher erfinden.

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