Vietnam: Unterwegs unter Folie

Der Regen hüllt Hanoi in Melancholie und Plastik.
Der Regen hüllt Hanoi in Melancholie und Plastik. Reuters
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Selbst in der besten Reisezeit kann es in Hanoi länger regnen. Dann ist es, als drossle die Stadt ihr Tempo und verändere ihre Farben.

Es nieselt und sprüht aus grauem Himmel, seit zwei Tagen und Nächten schon. Tief hängt Dunst über dem moosgrünen Hoan-Kiem-See mitten in Hanoi. Wie von einer alten Tuschezeichnung sieht er aus mit der zierlichen Holzbrücke und dem kunstvoll getrimmtem Gesträuch. In Parks und Straßen tropft es von Bäumen und den dicken Bündeln der Stromkabel über den Passanten. Die Feuchte lässt die Dächer und Wände der Altstadt feucht schimmern. Verkäufer harren unter Markisen, Planen und Schirmen aus, Schuhe, Spielzeug, Töpfe, Lackwaren, Seidenschals warten da auf Kundschaft, vom Rest öffentlichen Terrains bleibt nicht viel, Mopeds sind hier geparkt, eng wie Ölsardinen.

Unterwegs unter Folie

In leise Melancholie hüllt der sanfte Regen alles. Dämpft Farben und Töne der Zeit, ihre Eile, untermalt die wehmütige Note, der Hanoi mit seiner verblichenen pariserischen Grazie bis heute eine eigene Anmut verleiht, diesen Hauch von Indochine. Rikscha-Fahrer verpacken ihre Kunden unter Plastikfolie und fahren mit dem Sightseeing fort. Auch die Marktfrau unterm Kegelhut, ihr Rad über und über mit Taschen voller Kräuter und Gemüse behängt und mit Bergen saftigen Grünzeugs auf dem Gepäckträger, hält hier und da, um auszuliefern, und tritt – von Kopf bis Fuß in Folie gehüllt – weiter in die Pedale. Ein Rikschafahrer macht mit einer Klingel auf seine Dienste aufmerksam, danke, aber es geht schon – mit Regenschirm. Die Boulevards der französischen Kolonialzeit entlang, streifen wir durch Galerien, durch die Stille des Kunstmuseums.

Das stete Nieseln spendiert Zeit für Innensichten – in so etwas wie die Seele der Stadt und ihre Narben. Wie ein roter Faden zieht sich der Kampf der Vietnamesen um Selbstbestimmung durch die Stätten historischer Erinnerung. Auch den wächsernen Onkel Ho im Mausoleum besuchten wir. Und uralte Tempel, die sich in den Häuserzeilen auftun, abends das Thang Long Wasserpuppentheater, danach auf ein paar Drinks unter den hölzernen Ventilatoren der Bar des „Metropole“, der perlweißen Grandhotel-Legende. Alles ein charmantes Durcheinander, das auch schon einmal als „tausendjährige Altstadt“ gepriesen wird. Dabei gibt es kaum ein Haus, das älter ist als hundertfünfzig Jahre. „Man kann davon ausgehen, dass alles, was höher ist als zwei Etagen, in den letzten zwanzig, dreißig Jahren erbaut wurde“, erzählt unser Mann aus Hanoi. Das meiste sieht älter aus, warum? „Der Mangel, das Klima“. In sechs, sieben Etagen türmen sich schmale Häuser empor, oft mit Türmchen, Balustraden, antiken Anleihen, und das Ganze ein Gemenge aus Wellblech, Plastik, Holz, Stahl, Stein, Beton, Pappe und vielerlei stilistischen Missverständnissen.

Leben zur Straße hin

An die hunderttausend der sieben Millionen Bewohner Hanois arbeiten, leben, schlafen und beten hier auf engstem Raum, in Häusern, Hütten, Werkstätten, dunklen Gassen und Gängen, auf Plätzen, in Lagerhäusern und Tempeln. Aus Pfannen, Töpfen, Bottichen, Woks und Teekesseln dampft es, überall wird in aller Öffentlichkeit gekocht, gegessen – auch bei dieser Witterung: Suppen und Reisnudeln, Hühnchen, Omeletts, Reis-Crepes, Fisch mit Kurkuma, Frühlingsrollen in Reispapier, prall gefüllte Banh My Baguettes, das Himmelsbrot Banh Troi. Aus Schüsseln, vom Teller, vom Spieß.

Samt ihrem Innenleben öffnen sich viele Häuser zur Straße. Vor uns erhebt sich behutsam eine alte Frau aus dem Bett, daneben werden Haare frisiert, zwei Meter weiter liegt Fleisch zum Verkauf auf einer Bank. Als Besucher lebt man mit in diesem schummrigen Kosmos, inmitten seiner Farben, privaten Momente, Gerüche und Geräusche. Immer weiter trägt einen diese altmodische Geschäftigkeit. Durch eine Metropole noch ohne den urbanen Kahlschlag globaler Fastfoodketten und die immer gleichen Inszenierungen von Begehren und Konsum. Als es Abend wird in Hanoi, ist es noch das alte Asien, das aufleuchtet. Das Leben aber wird schneller, selbst hier.

Die Franzosen hinterließen ihren Fingerabdruck auch in der Altstadt – kleinteilige Architektur mit verspielten Fassaden, denen heute oft Moos und Büsche entsprießen. Szenen des Verfalls, denen der sanfte Regen etwas Tröstendes verleiht. Gedeihen lässt er dieses fruchtbare Land, jede Mauerritze mit Grün erzählt davon. Es regnet überhaupt oft in Hanoi, und von Mai bis September öffnet der Monsun seine Schleusen.

Für Vietnamesen sind solche Häuser mit ihren zwei Etagen übrigens völlig uninteressant. Damit ist kein Geld zu machen, und so wartet man darauf, bis man das Erbe antritt. Dann reißt man ab und setzt Stockwerke verschnörkelter Spargelstangen in die Stadt. Siebzig Prozent der Menschen sind unter Dreißig, und man wird wohl sehen, wie die Altstadt rasant ihr Gesicht verliert. Die Parzellen, schmal und lang, waren einst Reisfelder. Je weniger Fläche das darauf gebaute Haus zur Straße aufwies, desto weniger Steuern waren fällig. Deshalb gibt es all diese „Tunnelhäuser“ mit tiefgestaffelten, fensterlosen Räumen. Tunnelhaus – da muss man sich für ein Restaurant einiges einfallen lassen, um es attraktiv zu gestalten. Wie beispielsweise im „Green Mango“. Innenhöfe wurden einbezogen, eine geschwungene Theke zieht die Blicke auf sich.

Vorhänge zwischen den einzelnen Hausteilen zitieren das Boudoir, dazu gibt es zierliche Blumengestecke, Fotografien. Das Ergebnis ist loungig und sehr kommod bei diesem Wetter. Die Küche bietet Vietnam, Frankreich und Italien, so in die Richtung „Safran and Lemongrass Seafood Risotto“. Der passende Wein? In Hanoi ganz einfach. „Do you have a nice white wine, please?“ „Yes.“ Wir zeigen auf die Karte... „this Sauvignon Blanc is nice?“ „Is white wine.“ „Not too much acidity?“ „Yes.“

In Garküchen längs des Weges köchelt die leicht zimtige Pho (in etwa foer ausgesprochen), Leib- und Magenspeise der Hauptstädter. Für kleinstes Geld gibt es die heiße Suppe mit Reisnudeln und Rind oder Huhn. Auf Plastikhockern nehmen wir bei einer Greisin Platz, die gerade acht Gäste hat. Büschel von Kräutern und Gewürzen gibt es dazu, Chili, Limettenstücke und Fischsauce, derweil der Regen auf die Plane über uns rinnt.

Erstaunlich viele Vietnamesen leisten sich teure Restaurants. Zigarren aus Kuba gibt es da schon einmal und Weinkühlschränke voller Barolo und Gevrey-Chambertin, 100 Euro die Flasche, auch Weine für 400 Euro. Das bei einem jährlichen Durchschnittseinkommen von gut 1200 Euro in einem kommunistischen Land, wo sich – wie etwa neben der Kaffeestube – Tag für Tag Männer mit Sägen als Tagelöhner anbieten müssen. Sie sitzen im Regen. 1986 ging im Land Doi Moi an den Start, eine Marktwirtschaft unter kommunistischer Regie. Wie das geht? Sie produziert ihre eigenen Widersprüche. Den Menschen geht es heute sicher besser, aber die Kluft zwischen bettelarm und der Elite scheint unüberwindbar.

Konfuzius bis heute

„Das Land war immer zweigeteilt, allein ethnisch ist das so,“ erzählt ein Einheimischer bei einem frischen „Bia hoi“, dem lokalen Bier, das man locker auf der Straße trinkt. Auf Schemeln, es ist Feierabend, Kult, ob es nieselt oder die Sonne brennt. „Der Süden sagt, die im Norden sind doch nur Bauern und Kommunisten, und die hier im Norden sagen: Die da unten machen nur Party und verprassen das Geld.“ Das geht in Hanoi sicher auch gut, bei all den neuesten Rolls Royce mit jungen Männern am Steuer. Und wie das: Nobelbrands wie Versace und Dior in der schicken Trang Tien Plaza? „Es gibt Privilegierte“, sagt er. „Konfuzianismus, Hierarchie, Kommunismus – das geht hier im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand.“

Intim und einladend

Und vielleicht deshalb ist der Literaturtempel die wahre Sehenswürdigkeit Hanois. Hier, in der ersten Akademie des Landes, ruht die konfuzianische Seele von Stadt und Nation und des hierarchischen Systems einer Gesellschaft, die Wissen und Wohlstand huldigt und einer Harmonie, der Veränderungen nicht viel bedeuten. Damit ist sie nicht allein. Japaner und Koreaner besuchen gerade den weihevollen Ort, verneigen sich dreimal vor der großen Konfuzius-Statue, ziehen ihre Regencapes wieder an und gut gelaunt weiter. Erstmals seit Tagen kommt die Sonne heraus und taucht das nachmittägliche Hanoi in warmes, gelbes Licht. Behaglich fühlt sich die Stadt an, intim und einladend.

Hauptstadtinfo

Unterwegs: Führungen auf Deutsch mit Christian Oster. www.hanoikultour.com

Hotels: Metropole Hanoi, Hotellegende, Kolonialstil. www.sofitel-legend.com. Hotel de l'Opéra, Haus der Accor-Gruppe, nahe der Oper. www.hoteldelopera.com

Essen: Günstiges Streetfood in der Altstadt, bei der Markthalle Dong Xuan
Bia hoi, frisches, preiswertes, lokales Bier in kleinen Bars, oft an Straßenecken, dazu Snacks wie kurz Gebratenes aus dem Wok. Gehobene Küche mit französisch-europäisch-asiatischen Anleihen: www.greentangerinehanoi.com, www.greenmango.vn, www.hanoi-press- club.com, www.facebook.com/madamehienrestaurant

Info:www.vietnamtourism.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2.9.2017)

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