Schauräume: Kinoarchitektur für die Sinne

(c) Martin Kuijper/2013 interieurfotograaf.com
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Bevor der Film beginnt, schreiben die Architekten das Drehbuch: vom Foyer bis in den Kinosaal. Zumindest in den historischen Lichtspielhäusern.

Platsch. Einfach so hineingeworfen. Viele Filme ersparen sich inzwischen die Phase eins: das sanfte Akklimatisieren, den behutsamen Übergang von einem Kosmos in den anderen. Das Einstimmen des Publikums auf das, was kommt. Umso engagierter starren Cineasten dann oft auf den Abspann, um noch ein paar Momente in der Welt zu verharren, die sich auflöst, wenn das Licht angeht. Doch es hilft nichts. Das eigene Leben saugt uns wieder hinaus aus jenem Raum, in dem wir kurz in das Leben der anderen abgetaucht sind.

Das Kino selbst, seine Architektur vor allem, könnte der Vorspann sein. Einer, der gestalterisch mehr sagt als: „Kauf Popcorn und nimm Platz.“ Ein baulicher Prolog, der die Besucher kollektiv einschwört. Darauf, dass da gleich hinter dieser Tür, wo ein Student die Karten abreißt, etwas Großes passiert. „Großes Kino“ im besten Fall. Doch es sind meist nur die historischen Filmhäuser, die sich oft sogar als „Paläste“ verstanden, denen etwas gelingt, was das Wohnzimmer und der kleine Screen am Schoß nicht vermögen: das künstlerisch wertvolle Gefangennehmen. Die schönsten Kinoarchitekturen beginnen damit schon auf der Straße, eine sanft-freundliche Entführung inszenieren sie, leiten in Foyers, die alle Besucher gemeinsam freundlich umarmen. Langsam sickert es von allen Seiten in die Gefühlslage: Da kommt noch was. Aufgeregte Alarmbereitschaft. Schließlich will der Film danach, mit allen Mitteln, subtilen und drastischen, wirken, im Auge, Ohr, Hirn und Herz. Dafür muss die Architektur, so lange der Film läuft, gänzlich verschwinden. Licht aus.

Sequenzen. Bevor Ton und Bild auf das Publikum eintrommeln, lassen Gestalter auch die Architektur die Sinne reizen: Robert Kotas war so einer. Ein Architekt und dabei auch Dramaturg. Schließlich waren seine Darsteller die Kinobesucher. Über 40 Kinos hat er in Österreich gestaltet. Berühmte, die längst abgerissen wurden. Wie das Forum Kino in Wien. Einst das größte seiner Art, gebaut 1950. Andere ehemalige Lichtspielhäuser folgen heute als Supermärkte oder Lagerräume ganz anderen Raumdramaturgien. Als einziges Kino nach Kotas’ Entwurf rettete das Gartenbaukino in Wien eine Zeitschicht ins Heute, in der Kinoarchitektur überhaupt noch diskutiert und wahrgenommen wurde. So hat sich das Gartenbau auch die Theatralik bewahrt, die Kotas dem Foyer gönnte. Genauso wie die Raumsequenz, die die Spannung kurz vor dem Saal noch mal verdichtet. Damit sich Kino nach der Saaltür erst recht richtig groß anfühlen kann.

Die Architektur schleust das Publikum sanft in eine andere Welt, lässt ihm großzügig Raum, den Kinobesuch als kulturelles Ereignis zu verstehen und zu empfinden, aber auch Rituale zu pflegen. Zuerst zum Buffet, dann noch schnell aufs Klo und schließlich auf dem Kinosessel den Zeiten nachtrauern, als man vor dem Film noch Botschaften las wie: „Nach dem Kino in die Pizzeria Amici.“ Mit dem Sportgummi-Sackerl auf dem Schoß merkt man, wie sich die Sinne langsam zuspitzen, man wird gewahr: Der Film hat längst begonnen, noch bevor das Licht ausgeht. Bis dahin hat die Kinoarchitektur schon geleistet, was danach der Film erledigt: dichte Atmosphäre schaffen. An diesem unsichtbaren Zauber sind auch die Besucher selbst beteiligt. Tausende, die auf dem Kinosessel geweint, gelacht und gebröselt haben. Genauso wie die Stars und Premierengäste, die die Inszenierung zu Glanzzeiten ähnlich beherrschten wie Regisseure und Architekten.

So ein atmosphärischer Gefühlsverstärker ist auch das Filmcasino in Wien, in der Margaretenstraße 78. Dort beginnt der Film, sobald man das Foyer betritt. Man schlüpft dabei nicht nur in die Welt, die die Filmbilder beschwören, sondern auch in eine Zeit, als Kino auch architektonisch noch ein wenig gefeiert wurde. Albrecht F. Hrzan hat das Filmcasino in den 1950er-Jahren gestaltet, seit 1911 existierte an jener Adresse bereits ein Lichtspielhaus. Seitdem legte sich Patina auf Patina, erlebte das Haus Dürren und Blütezeiten, sperrte zu und wieder auf. 1989 wurde es von den Architekten Elsa Prochazka und Silvin Seelich renoviert.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Als die Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg boomte, blühte auch das Kino. Genauso wie die Kinoarchitektur: Aus Theaterentwürfen wurden richtige Kinoentwürfe. Die frühesten Kinos waren ja vorwiegend der Theaterarchitektur nachempfunden, samt Galerie und Logen. Wie etwa im eindrucksvollen Pathé Tuschinski in Amsterdam, das 1921 eröffnete. Und aus Lichtspielhäusern wurden Paläste. Wie auch einer der berühmtesten in Europa: der Zoo Palast, der 1957 von Gerhard Fritsche, dem deutschen Spezialisten für das Genre, entworfen wurde. Nach wechselvoller Geschichte und gestalterischer Multiplex-Verirrung wurde die Architektur vor einigen Jahren in die farbintensive Vergangenheit zurückversetzt.

Eine fast „archäologische Arbeit“, wie das Architekturbüro Maske + Suhren berichtete. Inzwischen fungiert der Zoo Palast wieder als Premierenkino. So wie es die Lichtburg in Essen in den 1960er-Jahren war: Das Kino, das 1928 eröffnet worden war, gilt als der größte Kinosaal Deutschlands, mit 1250 Sitzplätzen. Im Krieg wurde das Haus stark beschädigt, der Kinosaal 1950 gestaltet und im Jahr 2000 renoviert.

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