Verena Altenberger: Aus dem Bauch heraus

„Telefon“-Kleid von Miu Miu, Ohrringe von Céline.
„Telefon“-Kleid von Miu Miu, Ohrringe von Céline.(c) Yannick Schuette
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Schauspielerin Verena Altenberger über ihre Liebe zu instinktgesteuerten Figuren.

Vielleicht wäre ja alles ganz anders gekommen, hätte Verena Altenberger damals, mit achtzehn, beim Vorsprechen am Max-Reinhardt-Seminar, ihren Text auswendig gewusst und nicht aus dem Reclam-Heft abgelesen – und wäre sie dabei nicht so grandios gescheitert mit ihrem ersten Versuch, Schauspielerin zu werden. Hätte sie nicht stattdessen Publizistik studiert, ohne den Traum je aus den Augen zu lassen, hätte sie nicht jede Möglichkeit genutzt, um Erfahrungen zu sammeln, hätte sie sich zum Beispiel nicht beim Nachwuchsprogramm des Burgtheaters und bei einer Statistenagentur angemeldet und dort jeden einzelnen Job angenommen, der ihr angeboten wurde, einfach um die Arbeit am Filmset kennen zu lernen – und dabei in ihrem Wunsch nur bestärkt zu werden. Hätte sie es nicht am Wiener Konservatorium doch noch (erfolgreich!) versucht mit dem Schauspielstudium und hätte sie sich nicht von kleinen TV-Rollen hochgearbeitet und wäre sie schließlich nicht gleich für ihre erste Kinohauptrolle mit dem Schauspielpreis der Diagonale ausgezeichnet worden.

So ist es nämlich gekommen: In „Die beste aller Welten“, dem Spielfilmdebüt des Salzburger Regisseurs Adrian Goiginger, spielt sie die heroinabhängige Helga, die ihrem Sohn zwischen Junkie-Gelagen und existenziellen Nöten mit Kräften ein Gefühl von Sicherheit und Normalität zu vermitteln versucht. Für Goiginger ist es die Geschichte seiner eigenen Kindheit: Als seine Mutter 2012 starb, beschloss Goiginger, ihr ein filmisches Denkmal zu setzen – und ließ sie von Altenberger spielen. Diese arbeitete sich intensiv in die Rolle ein: Um sich in die Lebenswelt Helgas einzufühlen und ihre innere Leere zu verstehen, die sie mit Drogen zu füllen versuchte, las sie ihre Tagebücher, schaute sich alte Fotos und Videos an, sprach mit Helgas Freunden und ihrer Familie, führte lange Gespräche mit dem Regisseur.

Seidenbluse und Kette von Céline, Strickrock von Prada.
Seidenbluse und Kette von Céline, Strickrock von Prada.(c) Yannick Schuette

Zudem traf sie Ärzte, um neben den psychischen auch die körperlichen Reaktionen auf den Drogenkonsum spielen zu können. „Ich musste wissen: Wann wird der Herzschlag schneller, wann wird die Pupille groß, wann kommt der Schweiß, wann werde ich müde, wann bin ich wach?“, erzählt Altenberger. Mit dem Wissen ging sie – „ganz banal“ – auf den Salzburger Hauptbahnhof und sprach Drogensüchtige an. „Mein großes Glück war, dass ich sofort Leute getroffen habe, die offen mit mir umgegangen sind. Sie haben mich mit nach Hause genommen, mich ihren Freunden vorgestellt, mir ihre Geschichten erzählt. Das war für mich schwierig, aber wahnsinnig bereichernd: Denn wie soll ich den Alltag einer Heroinabhängigen verstehen, wenn ich das nicht gesehen habe?“

Ohne falsche Vorsicht. Klischees nachzuspielen, die sie selbst nur aus Filmen oder Dokus kannte, kam für sie nicht in Frage, sie wollte die Rolle der Helga ehrlich angehen. Für Altenberger bedeutete das, die Rolle auch zu kritisieren und ohne falsche Vorsicht anzugreifen – eine heikle Aufgabe, wenn es sich dabei um die Mutter des Regisseurs handelt. Dieser habe aber vollstes Verständnis gehabt: „Kurz vor dem Dreh haben wir uns zusammen gesetzt und er hat gesagt. Jetzt vergessen wir, dass das meine Mama war. Das ist jetzt deine Rolle, fertig aus.“ Das größte Kompliment sei es für sie dennoch gewesen, wenn Goiginger nach einer improvisierten Szene zu ihr sagte: „Das hätte meine Mama auch so gesagt.“

Die 29-jährige Altenberger wuchs auch selbst in Salzburg auf, in einer naturverbundenen, sportaffinen Familie, die auch durchaus kulturliebend war – „aber null praktizierend. Ich war, bis ich 18 war, vielleicht zwei Mal im Theater“, erzählt Altenberger. Der Berufswunsch Schauspielerin sei trotzdem schon immer da gewesen: „Ich kann gar nicht sagen, woher das kommt. Ich war erst drei oder vier, als ich das zum ersten Mal artikuliert habe.“ Ihre Karriere führte sie von kleinen Nebenrollen in Fernsehkrimis in die Welt des Spielfilms, so war sie etwa auch in Stefan Ruzowitzkys „Die Hölle“ zu sehen. Oder im aktuellsten „Mission: Impossible“-Film, der ja in Wien gedreht wurde – allerdings nur etwa 2,5 Sekunden lang, wie sie lachend erzählt: Ursprünglich als Statistin eingeplant, wurde sie am Set kurzfristig zu einer Mini-Rolle befördert.

Rotes Seidenkleid von Céline, Ohrring von Louis Vuitton.
Rotes Seidenkleid von Céline, Ohrring von Louis Vuitton. (c) Yannick Schuette

Bis heute sind ihr die bauchgesteuerten Figuren am liebsten, jene, die instinktiv handeln statt von streng praktischen, analytischen Überlegungen gesteuert. Vielleicht, weil Altenberger selbst so ein Mensch zu sein scheint, der sich mit offenem Herzen und viel Einsatz in Unternehmungen stürzt, statt die Dinge verkopft und kalkuliert anzugehen. Etwa, wenn sie in ihrer Freizeit – zusätzlich zu vielen anderen Sprachen, die sie beherrscht – Jiddisch lernte: „Es ist eine Sprache, die am Aussterben ist, da macht es ja immer Sinn, wenn irgendwer das lernt.“ Oder wenn sie für die Rolle der drogensüchtigen Helga zusätzlich zu den vielen Tricks der Maske, die sie kränklich und fahl aussehen lassen sollten, auf Körperrasur und Augenbrauenzupfen verzichtete – und damit gleich einige Monate vor dem eigentlichen Dreh begann: „Wenn schon, denn schon!“

Spaß in der Maske. Die Entwicklung der Maske, die täglich eineinhalb Stunden in Anspruch nahm, habe ihr überhaupt Spaß gemacht: „Unser Maskenbildner, der Tim Scheidig und ich, haben uns zusammengesetzt und fünf Stufen von ‚Draufsein‘ definiert: Von clean bis gerade frisch gedrückt“, erzählt Altenberger. In gesünderen Phasen ist sie im Film – bis auf die gefärbten Zähne – komplett ungeschminkt zu sehen, in extremeren trägt sie aufgemalten Ausschlag, eine Fieberblase aus Silikon und Schattierungen, die ihr Gesicht grauer und die Wangen eingefallener aussehen lassen. Eitelkeit kann man ihr nicht attestieren – eine Rolle zu spielen, die sich nicht durch ihre Attraktivität definiert, die nicht schön oder erfolgreich sein muss, um eine Heldin zu sein, fand sie „extrem befreiend“. Schwer waren die zwei Monate des Probens und Drehens trotzdem, die Themen und Situationen des Films seien ihr sehr nahe gegangen. Gerade, weil auch viel improvisiert wurde und sie die Rolle aus sich selbst herausholen musste: „Das kannst du nicht abschütteln am Abend.“

Kleid von Stella McCartney, Boots von Louis Vuitton.
Kleid von Stella McCartney, Boots von Louis Vuitton. (c) Yannick Schuette

Den vielleicht größtmöglichen Kontrast bot ihr eine andere Rolle. Seit Jahresanfang ist sie in der Titelrolle der RTL-Comedyserie „Magda macht das schon!“ zu sehen: Eine polnische Altenpflegerin in einer deutschen Familie, die grell und überzeichnet wirkt, aber „in Wirklichkeit sehr weit weg von Klischees“ sei: Immerhin gebe es in der ganzen Serie kein romantisches Interesse an Magda, und wenn sie in Minirock und High Heels Polster aufschüttelt, dann tue sie es schlicht, weil es ihr gefällt. Altenberger lächelt viel, während sie spricht, in starkem Salzburger Dialekt – für RTL-Interviews packt sie hingegen ihr Bundesdeutsch aus, die Magda spielt sie mit einem überspitzten polnischen Akzent. Den lernte sie mit der Hilfe der polnischstämmigen Köchin der Kantine am „Kons“, die gerade zugegen war, als Altenberger die Casting-Einladung für die Serie erhielt – und die ihr bis heute den Text sämtlicher Drehbücher aufs Handy spricht: „Eine wahnsinnige Hack‘n“. An Comedy liebt Altenberger die Lizenz zur Übertreibung. „Es ist schön, eine Figur zu spielen, die so cool ist, der alles leicht von der Hand geht.“
Es fällt schwer, diese Worte nicht auch auf Verena Altenberger zu übertragen.

Tipp

„Die beste aller Welten“. Von Adrian Goiginger, mit Verena Altenberger und Jeremy Miliker. Ab 8. September im Kino. diebesteallerwelten.at

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