Privatsphärenhopping: Fast wie daheim

(c) Madeleine Napetschnig
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Grasende Zuchtbullen vor dem Gartenzaun, Vermieter in privaten Nöten und geschönte Wohnungsbeschreibungen: fünf Erfahrungsberichte aus der Welt der Buchungsplattformen.

Privat, privater, am privatesten

(c) Madeleine Napetschnig
(c) Madeleine Napetschnig

Seit San Francisco einen neuen Hightech-Boom verzeichnet, sind die Hotels teuer und die Immo-Preise zum Teil existenzbedrohend, vielleicht mit ein Grund, warum gerade hier die Privatquartier-Community Airbnb ihren Anfang nahm. 2007 stellten drei Silicon-Valley-Geeks Reisenden Luftmatratze und Frühstück über eine Buchungsplattform zur Verfügung – das System zog weite Kreise und ist mittlerweile so ausgereift, dass via Airbnb auch extranoble Ferienhäuser zu mieten sind. Naheliegend also, das System im Ursprungsland auszuprobieren – in unterschiedlichen Gradationen von Privatheit.

Für den Reisestart sollte ein gemütliches Zimmer mit Gemeinschaftsbad, das man sich mit einem anderen Gästepaar teilt, genügen. Tut es auch: Der Raum ist hübsch, das Bad okay. Weil man jener Spezies angehört, die erst im Flieger einen Reiseführer aufklappt und nur eine atmosphärische Idee über den Reiseverlauf hat, ist so ein Direkteinstieg ganz gut: Wir stehen morgens in Jeannies und Skates Küche im ersten Stock, plaudern, bekommen gute Tipps für die Stadt und hören ein paar Tracks, denn der Gastgeber ist Singer-Songwriter und Carl-Orff-Experte. Dass jede Woche andere Leute in ihrer Küche aufkreuzen, stört sie nicht, sagt Jeannie. Sie haben Platz genug, um sich zurückzuziehen: Das Asset ihres leuchtend blauen Hauses ist nämlich ein unglaublicher Garten. In Kleinstarbeit haben die beiden einem Hang, der ungefähr so steil wie die Streif ist, Terrassen abgewonnen, wo man lauschig sitzen kann. Die Lage in Bernal Heights zieht auch bei Locals: Beim Abreisen steht schon eine Partie in der Veranda, sie will den Garten plus das halbe Haus mieten, um hier Hochzeit zu feiern.

Zuchtbulle und Retrofeeling. Das West Sonoma County übertrifft die Erwartungen: Kristine meldet sich auf unsere spontane Anfrage prompt. In Österreich würde kaum ein Privatvermieter ein so geschmackvolles und blitzsauberes Apartment für nur zwei Tage hergeben. Die Ex-IT-Expertin und Neolandwirtin tut’s, sie putzt auch lieber selbst, sagt sie. Die Ferienwohnung ist ein separat begehbarer Annex der Twisted Horn Ranch, man trifft sich, wenn man will, auf der Terrasse. Oder beim Zaun, wo Rocky grast, ein Longhorn-Stier aus der Zuchtherde der Gastgeber. Rundherum liegt friedliches nordkalifornisches Farmland, nur eine halbe Stunde vom wilden Pazifik, nur eine halbe Stunde vom ersten biodynamischen Winzer. Alles sehr organic hier: Im Kühlschrank stehen Bioprodukte, tags darauf bringt Kristine duftende Scones vorbei. Wir plaudern kurz, lachen, die Gastgeberrolle scheint ihr Spaß zu machen. Tags darauf kommen schon die nächsten Gäste.

Zwischen hohen Nadelbäumen steht die kleine Ferienhausanlage in Tahoe Vista, am Nordufer dieses so tiefen wie tiefblauen Sees. Wir mailen mit Gabriela, die die Immobilie verwaltet, sich im Gespräch aber sehr engagiert zeigt: Vor einem Jahr hat ein Investor diese kleinen Lodges erworben und renovieren lassen. Das Resultat ist ansehnlich: Bei den Möbeln war ein Tischler am Werk, der sich auf Design versteht. Vom Diwan, der zwischen Schreibpult und Schrank so eingeschnitten ist wie ein Alkoven, hat man Weitblick bis ans Südufer und seine schneebedeckten Berge. Alles ist am Lake Tahoe ein wenig retro, aber auf eine anheimelnde Art. Fast, als wäre man auf Sommerfrische in Österreich. Aber eben doch nur fast. 

Madeleine Napetschnig

Ein Zimmer in der Pension für João

(c) Martin Amanshauser

João, 25, war dunkel, trug eine Goldkette, unter der die Haut rosa war, und zeigte uns seine Wohnung im 14. Stock, zwei Blocks von der Copacabana. João war einer von denen, die viel sprechen und alles doppelt sagen, vermutlich hatte er sich das angewöhnt, weil die Mädchen seine langen, schwarzen Haare, seine hellblauen Augen und alles, was sein Mund mit den feingeschnittenen Lippen an Tönen absonderte, aufsogen wie die Wüste das Wasser. 

João erzählte, dass er die Wohnung von seiner Mutter geerbt hatte und eigentlich selbst gar nicht hier wohnte. Er habe nach dem Tod der Mutter das Studium geschmissen und sich den wichtigen Dingen im Leben zugewandt: Surfen und Mädchen. João lächelte selbst über diesen Witz, der ihm immer gelang. Er würde, immer wenn er seine Wohnung über Airbnb an den Mann brachte, bei seiner Freundin wohnen, am Strand, eine Autostunde von Rio. Er zeigte uns ihr Foto und lobte die körperlichen Vorzüge der Frau. Sie sah unglücklich aus. War ihre Wange geschwollen?

João antwortete nur einmal auf unsere Kontaktaufnahmen – das Internet lief nicht, es gab kein heißes Wasser: Er schrieb, dass er sich bald melden würde. Am sechsten und vorletzten Tag hörten wir auf, uns darüber zu ärgern. Wir hatten uns eingerichtet. Am letzten Abend klingelte es herrisch an der Tür. João stand mit einer Reisetasche da. Die Freundin habe ihn vor die Tür gesetzt, ob er vielleicht bei uns im Hinterzimmer übernachten könne? Er würde nicht stören, ganz leise sein . . . morgen um sieben müsse er gleich los, um sie „zu überreden“ – er sagte nicht wozu. Wir zahlten João das Zimmer in einer Pension ums Eck.

Martin Amanshauser 

Das gebrochene Luxus-Versprechen

(c) Petra Percher

„Luxus ist unser Standard“ heißt es auf der Website von „One fine stay“. Geworben wird mit luxuriösen Apartments von schicken Leuten, die selbst gerade nicht zu Hause sind. Klingt perfekt für Silvester in London. Das gebuchte Apartment liegt in Notting Hill, dem hippen Grätzel mit vielen kleinen Geschäften, angesagten Restaurants und der Portobello Road samt Antiquitätenmarkt.

Die Übergabe klingt unkompliziert: Bei der Anreise am Vormittag werden wir im Apartment erwartet. Von außen sieht die Herberge stattlich und viktorianisch aus, innen allerdings kommt die Ernüchterung: dicker Baustaub im Hausaufgang, Möbelteile liegen herum, wir müssen uns mit den Koffern an einem großen Müllsack mit Schutt vorbeizwängen. In der Wohnung wartet eine freundliche Mitarbeiterin. Sie drückt uns einen Vertrag, die Hausschüssel und ein iPhone für den lokalen Gebrauch in die Hand, um uns postwendend wieder nach draußen zu befördern. Das Apartment sei noch nicht bezugsbereit. Ein Trupp Arbeiter verstaut noch die Sachen des Vermieters und putzt notdürftig. Wir genehmigen uns erst einmal einen Kaffee um die Ecke.

Wie ein Voyeur. Spätnachmittags nehmen wir unsere Bleibe in Augenschein. Eine Wohnküche, zwei Zimmer, zwei Bäder. Wir sollten zu viert mit Baby anreisen, sind aber letztlich nur zwei. Gott sei Dank. Denn die Realität ist kleinräumiger, als die Fotos im Internet versprechen. Vor allem aber total voll geräumt. Überall Koffer und Taschen, voll gestopft mit Dingen des Vermieters. Auspacken? Unmöglich, bis auf einen Teil eines Kastens sind sämtliche Schränke, Kommoden und Laden versiegelt. Die Atmosphäre erinnert an einen Tatort. Dann das Bad: Die Dusche ist nicht nur schmutzig, sie hat auch keinen Duschkopf. Bei der Toilette fehlt der Spülhebel. Luxus? Fleckige Teppichböden, kaputte Lampen, zugige, weil verzogene Fenster. Aus einem „feinen Aufenthalt“ wird eine typisch britische Middleclass-Living-Experience. Im
Prospekt nennt sich diese Art des Wohnens übrigens „charaktervoll“. Der Vermieter ist außerdem anwesend – auf unzähligen Fotos: Hochzeitsbilder der Schwester, mit dem Vater beim Fliegenfischen, mit Freunden beim Golfspiel, mit der Freundin in Asien. Und wer hinschaut, fühlt sich als Voyeur.  

Petra Percher

Im Zweifel immer für die Frauenwohnung

Bei Airbnb und ähnlichen Anbietern gilt eine Faustregel, die oft unausgesprochen bleibt: Im Zweifel sind die Wohnungen von Frauen zu bevorzugen. Die Gründe sind uns bei einem Trip nach Schottland ganz klar vor Augen geführt worden. Nein, die Wohnung des Musikers in Glasgow war nicht furchtbar. Die Bettwäsche war frisch, der Vermieter nett und die Gegend schön.

Doch es war kein Vergleich zur Fast-schon-fünf-Sterne-Erfahrung bei Anna in Edinburgh. Bei ihr war alles perfekt, das Zimmer supersauber und allein den Gästen vorbehalten, die Internetverbindung schnell und das Frühstück (in Glasgow inexistent) sehr gut. Für diese Regeln gibt es sicherlich Ausnahmen, in beide Richtungen. Aber wer auf der sicheren Seite sein will, entscheidet sich im Zweifelsfall für eine Dame als Vermieterin. Dass Plattformen wie Airbnb auch Bewertungen und Erfahrungsberichte beinhalten, hilft natürlich ungemein – sie sind aber nicht immer verlässlich. Anna hat von uns eine tolle Review bekommen. Aber den Schimmel im Bad in Glasgow erwähne ich heute zum ersten Mal. Für diesen Fall gibt es freilich eine ganz simple Lösung: Glasgow meiden, man versäumt ohnehin nichts. 

Nikolaus Jilch

Ortstypische Camouflage hilft

Die Bed-and-Breakfast-Alternativen für das 21. Jahrhundert

Man ist mittlerweile umgeben von Menschen, die ihre Reiseplanung komplett auf Airbnb stützen, aber Hotels wird es vermutlich ewig geben, so wie den Schilling, niedrige Mieten und Telex. Nein, im Ernst: Airbnb mag nicht für jeden das Richtige sein, aber einen Familienurlaub in Berlin oder Salzburg kann ich mir im Hotel nimmer vorstellen. In Berlin war es eine kleine, freundliche Wohnung, aus der man ganz anders auf die Straße tritt als aus einem Hotel, nämlich wie jemand, der dort wohnt. Komplettiert wird die Camouflage durch ein (gemietetes) Fahrrad, das man aus dem Hof rollt wie alle anderen Hausbewohner, und auf dem ein Kind sitzt, das nach Action krächzt. Touristen sehen einen und denken: Ah, ein typischer Berliner, der sein Kind in den Kindergarten bringt, um halb elf! – so sind die halt, die Berliner. Authentisches Berlinern also, plus Küche zum Selbstversorgen, wie soll das ein Hotel schlagen, abgesehen davon, dass es Ecke Friedelstraße/Maybachufer gar keins gibt? Airbnb führte uns auch in eine Wohngegend am Sazburger Mönchsberg, ebenfalls weit und breit ohne Hotel. Das Haus der Musikerfamilie war groß genug, um den Keller anzubieten, und wir wohnten darin wie gute Bekannte. Da in einer Musikerfamilie ständig wer am Üben ist, lagen tagsüber Cello, Geige und Klavier in der Luft, und, höflich angefragt, war es kein Problem, sich lauschend dazuzusetzen. Japaner würden weinen vor Glück, und niemand würde es ihnen zu Hause glauben.  

Timo Völker

Weltweit privat. Airbnb, eine Abkürzung für Air Bed and Breakfast (Luftmatratze und Frühstück), nahm 2007/2008 seinen Betrieb auf. Mittlerweile ist das Netzwerk weltumspannend, Millionen Nächtigungen werden darüber gebucht. Man findet private Quartiere in über 190 Ländern und in zehntausenden Städten. Vom Zimmer in einer bewohnten Wohnung, in der man man Bad und Küche mitbenutzen kann, zum Apartment, das als Ganzes vermietet wird, ohne dass der Vermieter anwesend ist, bis hin zum Ferienhaus, Lodge oder Chalet, das exklusiv eingerichtet und genauso teuer oder noch teurer wie ein nobles Urlaubsdomizil auf anderen kommerziellen Plattformen ist. Die Gastgeber erstellen ein genaues Profil des Quartiers und geben ihre Hausregeln bekannt. Auch der Gast muss sich registrieren und sollte ein Profil anlegen, um den Gastgeber über sich zu informieren. Nach dem Besuch besteht die Möglichkeit, einander zu bewerten (Review). Diese Bewertungen sind für Nachreisende oft sehr aufschlussreich, aber nicht hundertprozentig verlässlich. www.airbnb.com

Für Architekturinteressiertelohnt sich ein Blick auf www.urlaubsarchitektur.de. Hier finden sich besondere Objekte, die man ganz oder zum Teil mieten kann. Die Plattform selbst ist nur eine Sammlung – sie ist nicht kommerziell ausgerichtet.

Besonders schöne Quartiere bietet etwa die Plattform onefinestay.com an – hier sollen nur Premium-Wohnungen zur Vermietung gelangen, ein dementsprechend „angenehmer Aufenthalt“ sollte sich daraus ergeben. Mit exklusiven Objekten wirbt zum Teil auch villas.com: Auf dieser Booking.com-Tochter sollen im Speziellen Ferienhäuser und Cottages zur Vermietung gelangen.

Weitere Anbieter in diesem Bereich sind zum Beispiel house-trip.com,homelidays.com oder wimdu.at, die ähnlich wie die anderen funktionieren.

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Vermieter dürfen verdienen, Dienstleister jedoch nur Selbstkosten erlösen. Das Gewerberecht erfasst nur Tätigkeiten, die in der Absicht verrichtet werden, einen Gewinn zu erzielen.

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